Erst als Herrscherin wie Maria Theresia darf eine Frau hoffen, ohne Einschränkung als politisches Subjekt wahrgenommen zu werden.

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Seufzer der Erleichterung sind landauf, landab zu vernehmen: Mit der Angelobung von Brigitte Bierlein als erster Bundeskanzlerin wurde der Republik Österreich ein Stück jener Würde zurückerstattet, die man auf Ibiza mit Füßen getreten hat. Völlig zu Recht wurde die Makellosigkeit betont, mit der die vormalige VfGH-Präsidentin ihre beruflichen Pflichten ausgeübt hat. Weltanschaulich ist Bierlein kein unbeschriebenes Blatt. Dass die Juristin ihre politische Gesinnung dennoch nie zur Richtschnur ihres Wirkens gemacht hat, hält man hier, wo man sich nach Entscheidungsfreude sehnt, dafür aber die politische Auseinandersetzung scheut, bereits für eine Besonderheit.

Das Lob für die erste Frau im wichtigsten Exekutivamt des Staates ist daher auch ein vergiftetes. Zumindest hinterlässt es einen Nachgeschmack. "Die gesamte Geschichte der Frau ist von Männern gemacht worden", schrieb die emanzipierte französische Autorin Simone de Beauvoir in "Das andere Geschlecht" (1949). 70 Jahre später wird der Vorzug, das Land von einer klugen Frau verwaltet zu wissen, geradezu zum Ausweg aus einer Sackgasse deklariert, die man landläufig Politik nennt.

Im Reproduktionskäfig

Bundeskanzlerin Bierlein darf verwalten; nur soll sie im Verein mit ihren Ministerkolleginnen keine Fußabdrücke hinterlassen. Man denkt unwillkürlich an verflossene Jahrhunderte. Damals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, waren Frauen entweder bürgerlich verheiratet – oder aber sie wurden als Arbeiterinnen noch schamloser ausgebeutet als ihre männlichen Pendants. Das Damoklesschwert der Fremdbestimmung hing selbst dann noch über der weiblichen Hälfte der Menschheit, wenn deren Rechtsfähigkeit – etwa durch die Reform des Eherechts – stückweise erweitert wurde.

Sobald Frauen nicht nur im Reproduktionskäfig als untätige "Schmarotzerinnen" (de Beauvoir) gefangen saßen, wurden sie neuerlich versklavt. In der herrschenden Klasse stand die Frau unter der Botmäßigkeit ihres Ehemannes. Als Arbeiterin aber wurde sie nicht nur in den Fabrikspinnereien des Manchester-Kapitalismus systematisch unterdrückt.

Man darf getrost rekapitulieren, wie spät Frauen in den so genannten zivilisierten Ländern als politikfähig erachtet wurden. Und es bedurfte des überaus energischen Auftretens von "Suffragetten" in der angelsächsischen Welt, um die Sache der politischen Artikulation von Frauen voranzutreiben. Um gehört zu werden, mussten Frauen in England zum Beispiel mit Steinen werfen, in den Hungerstreik treten oder Blumenbeete zertrampeln. Ihr Stimmrecht erhielten die Engländerinnen uneingeschränkt übrigens erst 1928.

Umsicht als Klischee

Es ist mehr als nützlich, sich die Jahrtausende alte Ohnmacht weiblichen Wähnens zu vergegenwärtigen. Die Gönnerhaftigkeit, mit der man sich über den hohen Frauenanteil eines Kabinetts erfreut zeigt, das ohnedies nichts zu melden hat, hallt unangenehm nach. Verwaltungskram macht sich gut in weiblichen Händen. Man wird nicht müde, die Umsicht zu betonen, mit der sich weibliche Instanzen auf die Haushaltsführung verstehen.

Es gehören eben besondere Umstände dazu, damit einer Frau das Recht zugestanden wird, eine politisch umstürzende Wirkung zu erzielen. Maria Theresia bildete vielleicht eine Ausnahme; Elisabeth von England oder Margarete Thatcher waren weder männliche noch weibliche Wesen, sondern Herrschergestalten.

Ins Bild passt da schon eher die Taktik der Demontage. Diese lässt man bevorzugt solchen Politikerinnen angedeihen, die man mit der Aufgabe betraut hatte, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Man muss die SPD-Politikerin Andrea Nahles nicht gleich eine Trümmerfrau nennen, um ihr Scheitern dem desaströsen Zustand zuzuschreiben, in dem sich ihre Partei befindet. Auch Theresa Mays tragikomisches Ringen um einen Brexit-Kompromiss eignet sich vortrefflich als Zielscheibe maskulinen Hohns.

Nur bei Wegfall der sozialen Einschränkung bedeutete das Frauentum kein Handicap: "Es hat im Verhältnis viel mehr Königinnen als Könige gegeben, deren Regierungszeit für ihr Land eine Ära der Größe war", schreibt de Beauvoir. Auf den zeitlichen Umfang einer Ära wird Bierlein dann Anspruch erheben können, wenn die Regierungsverhandlungen eine wahre Ewigkeit dauern. (Ronald Pohl, 4.6.2019)