Lisa und Sean (Jane Levy und Blake Jenner) lieben einander. Sie lieben einander so sehr, dass sie alles füreinander tun würden. Wie im Märchen. Er zieht lächerliche Gewänder an und tanzt zu einem Song der Backstreet Boys, sie lacht über ihn und ist gerührt. "Alles wird gut", sagt Sean. "Weil wir einander lieben."

Bis zu einem möglichen guten Ende ist aber noch ein weiter Weg in der zehnteiligen Serie What/If, die auf Netflix abrufbar ist. Denn das junge Glück ist am Zerbrechen, und die Schuld daran trägt SIE: Anne Montgomery, stinkreiche Risikoinvestorin, die Sean und Lisa zu einem teuflischen Deal überredet, der ihr Leben zur Hölle machen wird: eine Nacht mit Sean gegen viel Geld für Lisas medizinisches Projekt, mit dem sie kranke Kinder retten will.

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"Wie in einem miesen Film aus den 90er-Jahren" klingt das zunächst für Lisa und spielt in der ersten Folge auf Adrian Lynes Erotikthriller Ein unmoralisches Angebot an. "So schlecht war der doch gar nicht", widerspricht Anne. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, wobei Kritiker eher Lisas Urteil zustimmen würden: Ein unmoralisches Angebot, in dem Robert Redford Demi Moore und Woody Harrelson mit Geld gegen Sex aus finanziellen Nöten helfen muss, gilt als misslungene und streckenweise unfreiwillig komische Parabel auf die Käuflichkeit des Menschen.

Einfaches Rezept

Und tatsächlich geht What/If von derselben Ausgangssituation aus, spielt das Szenario eins zu eins durch, dreht den Spieß aber um: Das unmoralische Angebot stammt dieses Mal nicht von einem Mann, sondern von einer Frau. Der Fachausdruck dafür lautet Gender flipping und ist neuerdings in Hollywood wieder schwer in Mode.

Das Rezept ist so einfach wie effektiv: Man nehme Stoffe, Filme oder Serien, besetze bisher männliche Rollen mit Frauen und weibliche mit Männern. Der Tausch soll Überraschungsmomente garantieren, weil so Geschlechterbilder durcheinandergewürfelt werden können.

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What/If ist nur das jüngste Beispiel von mehreren, die so verfahren: Noch direkter spielten Ghostbusters, Ocean's 8 und The Hustle mit feminin angehauchtem Genderchic.

Im Idealfall werden Erzählungen und Stoffe weiterentwickelt, im Film zum Beispiel beim Oscar-gekrönten The Favourite mit proaktiven britischen Ladys oder bei Serien zuletzt mit dem Genderswitch des Dr. Who, der nach 50 Jahren erstmals weiblich ist. In John Le Carrés The Night Manager übernahm Oscar-Preisträgerin Olivia Colman den männlichen Part als Geheimagentin. Grenzen im Frauenbild lotet Killing Eve aus, in dem Frauen zentrale genretypische Positionen besetzen: die Ermittlerin, die Geheimdienstchefin, die eiskalte Serienkillerin. Killing Eve hebt die Frauenquote nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera mit Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge (Fleabag).

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Die Steigerung der Frauenquote durch Gender flipping hat aber nicht zuletzt auch ökonomische Motive: Frauen in handlungsleitenden Rollen sind an den Kinokassen erfolgreicher, als wenn Männer zentrale Rollen besetzen, ergab eine Studie des amerikanischen Geena-Davis-Instituts.

Die Frage, ob der Geschlechtertausch bei Remakes Frauen nützt, sehen Filmfrauen skeptisch. Lieber wäre es ihnen, einen eigenen Weg einzuschlagen und Stoffe aus weiblicher Perspektive zu schaffen.

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Bei What/If ist das eher nicht der Fall: "Frauen wie wir haben Erfolg, weil wir ergebnisorientiert sind", haucht die böse Anne und bemüht sämtliche abgegriffene Klischees des Vamps und der machtbesessenen Verführerin bis zur Lächerlichkeit und sagt dabei nichts anderes, als dass erfolgreiche Frauen gleichzeitig Biester sein müssen. Darüber glaubte man schon hinweg zu sein. (Doris Priesching, 4.6.2019)