Flüchtlinge vor der Grundschule im Ort Kajuru. "Sie sind gekommen, haben unsere Häuser angesteckt und unsere Leute ermordet", erzählt eine Betroffene.

Foto: Katrin Gänsler

Lara Karmu sitzt im Schatten eines Baumes, der auf dem Hof der Grundschule von Kajuru steht. Es ist die Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, der im Süden Kadunas in Nordnigeria liegt. Im Hintergrund lärmen Kinder.

Gemeinsam mit einer anderen Frau hat Karmu eine Holzbank aus einem der Zimmer nach draußen getragen: Im Gebäude ist es viel zu stickig, besonders für die kleine Tochter, die die 24-Jährige auf dem Arm hin- und herschaukelt. Die Augen der Kleinen tränen. Sie wolle nichts essen, sagt die Mutter. Immer wieder wimmert das Kind.

Dass Karmu hier zur Ruhe kommen kann, glaubt sie nicht. Die Schule ist zur Notunterkunft für dutzende Eltern mit ihren Kindern geworden, die aus dem Dorf Maro geflüchtet sind. Maro wurde Ende Februar angegriffen. Es heißt, dass 40 Menschen starben. "Sie sind gekommen, haben unsere Häuser angesteckt und unsere Leute ermordet. Wir sind um unser Leben gelaufen."

"Warum sie kommen, weiß ich nicht"

Es sei auch nicht der erste Überfall gewesen. "Sie kommen regelmäßig. Aber warum sie kommen, weiß ich nicht."

Mit "sie" meint Lara Karmu die Fulani, eine der zahlreichen ethnischen Gruppen, die Viehzüchter sind und überall im Norden Nigerias leben, auch im Süden Kadunas. Es ist jene ethnische Gruppe, der Amina Jibrin angehört. Eine knappe Autostunde weiter südöstlich sitzt auch sie als Flüchtling unter einem Baum, mit ein paar Matten, einem Plastikfass und Kochtöpfen, alles Spenden.

180 Tote allein im Februar

Auch ihr Dorf Anguwan Dorawa wurde angegriffen. Eine andere ethnische Gruppe, die Kadara – auch Adara genannt –, habe das Massaker verübt. Und auch Jibrin versteht nicht, warum es dazu kam.

Allein im Februar sind in Kaduna mindestens 180 Menschen durch Überfälle ums Leben gekommen. Jener Angriff, bei dem auch Amina Jibril zum Flüchtling wurde, sorgte überall für Entsetzen. In kurzer Zeit sollen 130 Menschen ermordet worden sein. Fotos zeigen Bilder von toten Kindern, Schwangeren und Alten.

Keine zwei Wochen später ging das Morden in Maro weiter. Anfang März starben erneut 16 Menschen, im April 20 weitere. Seitdem sind 12.400 Personen zu Binnenflüchtlingen geworden, schätzt die Southern Kaduna Peoples' Union (Sokapu), ein Interessenverband. Offiziell bestätigt ist diese Zahl jedoch nicht.

Ethnizität benutzt

Dass es sich bei den Überfällen um eskalierende Streitigkeiten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen handelt, davon gehen Beobachter schon lange nicht mehr aus. "In Kaduna wird Ethnizität genutzt, um Konflikte anzuheizen. Durch die anhaltende Gewalt vertiefen sich die Gräben", sagt Saleh B. Momale. Er ist der Chef der Friedenskommission. Die staatliche Einrichtung wurde 2017 gegründet und untersucht die Gründe für die anhaltende Gewalt.

Außer Acht gelassen werde oft, dass Gewaltdelikte im Norden Nigerias seit zehn Jahren stark zugenommen haben. Die Täter kämen aus "Netzwerken von Banden, wie im Drogenhandel auch", sagt Momale.

Kreislauf der Gewalt

Auf lokaler Ebene wird ein Überfall jedoch häufig einer anderen ethnischen Gruppe angelastet, was wiederum zu Vergeltungen führt. "Deshalb kann dieser Kreislauf nicht durchbrochen werden", sagt John Joseph Hayab. Er ist Vorsitzender der Christlichen Vereinigung Nigerias (CAN) im Bundesstaat.

Entscheidend dafür sei das Verhalten von Politikern. "Vorfälle werden schlecht aufgearbeitet. Auch wenn sie nur die Opfer der einen Seite nennen, provoziert das."

Hayab fordert mehr Geschlossenheit von staatlicher Seite, Sicherheitsdiensten und privaten Organisationen. Immerhin: Mittlerweile hat der Gouverneur von Kaduna, Nasir Ahmad el-Rufai, eine Untersuchungskommission für die Vorfälle im Februar eingesetzt. Ergebnisse gibt es noch keine. (Katrin Gänsler aus Kaduna und Kajuru, 4.6.2019)