Eine Szene aus einem Video eines Demo-Beobachters: ein Aktivist wird beinahe von einem Auto überrollt, während er von Polizisten fixiert wird.

Foto: Twitter / Ende GeländeWagen @RADikalAutofrei

Frage: Was war das für eine Aktion am vergangenen Freitag, aus der die Gewaltvorwürfe gegen die Polizei resultieren?

Antwort: Es gab an diesem Tag zahlreiche Aktivitäten im Sinne des Klimaschutzes. Auch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg war in Wien zu Gast und hat am Protestmarsch von "Fridays for Future" teilgenommen. Einige Organisatoren – u.a. die Gruppierung Ende Geländewagen und die Teilnehmer des Klimacamps – haben sich entschlossen, eine unangemeldete Protestaktion durchzuführen, um noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diese haben sie bekommen – der Franz-Josefs-Kai war für mehrere Stunden blockiert. Die Aktivisten wollten auf die Verkehrsproblematik hinweisen. Es waren 100 Demonstranten vor Ort und etwa 200 Polizisten. Die Aufmerksamkeit ist natürlich auch aufgrund der Medienberichte zur Gewaltanwendung gegeben.

Frage: Ist es den Polizisten erlaubt, bei der Räumung einer Protestaktion Gewalt anzuwenden?

Antwort: Um eine solche Demonstration aufzulösen und Demonstranten festzunehmen, hat die Polizei auch die Möglichkeit Gewalt anzuwenden. Allerdings geht es hier immer um die Verhältnismäßigkeit. Die Frage, die nun viele beschäftigt, ist, wie diese Verhältnismäßigkeit definiert wird. Das im Netz kursierende Video zeigt, wie ein Polizist mit Fäusten auf einen am Boden fixierten Mann einschlägt. Für viele steht das in keiner Relation. Die Ermittlungen werden zeigen, ob der Polizist rechtmäßig oder unrechtmäßig gehandelt hat.

Frage: In Berichten zum Polizeieinsatz gibt es unterschiedliche Angaben zur Zahl von verletzten oder attackierten Aktivisten. Gibt es eine vorläufige Bilanz?

Antwort: Bis Dienstag wurden vier aufklärungsbedürftige Fälle bekannt:

  • Ein Mann wurde, wie ein Video zeigt, am Boden fixiert und in die Nieren geschlagen.

  • Außerdem behaupten die Initiatoren der Straßenblockade, dass eine Person eine Platzwunde erlitten habe, als sie von der Polizei zu Boden gedrückt worden sei.

  • Beim STANDARD meldete sich ein 35-jähriger Mann aus Linz, der angab, dass ihm die Hand gebrochen worden sei, als er von der Polizei aus der Sitzblockade weggetragen worden sei. Dass ihm die Verletzung von dem Polizisten zugefügt worden sei, der auch für die Nierenschläge verantwortlich ist, hat der Linzer inzwischen revidiert. Es sei ein anderer Polizist gewesen, teilte er am Dienstag mit.

  • Und schließlich tauchte zuletzt ein weiteres Video auf, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann, der von Beamten am Boden fixiert wird, beinahe von einem Polizeiauto überrollt wird. Im letzten Moment reißen ihn Beamte weg.

Frage: Was sagt die Polizei?

Antwort: Die Wiener Polizei teilte mit, dass im Zuge der Klima-Demonstrationen im Bereich der Aspernbrücke insgesamt 96 Personen vorläufig festgenommen worden seien. Zur Durchsetzung der Festnahmen sei die Anwendung von Körperkraft durch einschreitende Polizeibeamte erforderlich gewesen. Derzeit sei der Polizei nur ein Misshandlungsvorwurf bekannt – er betrifft die gefilmten Schläge in die Nieren. Der Beamte sei vorerst in den Innendienst versetzt worden, die Staatsanwaltschaft sei wie vorgeschrieben eingeschaltet worden.

Frage: Und die anderen Vorwürfe?

Antwort: Bei den beiden Verletzungen handelt es sich laut Polizei um schwer überprüfbare, weil anonym erhobene Vorwürfe. Es lägen keine Anzeigen vor. Tatsächlich hat der Linzer, dem der Mittelhandknochen gebrochen worden sein soll, bisher keine Anzeige erstattet – weil er Repressionen befürchte, wie er im Gespräch mit dem STANDARD sagte.

Frage: Welche Repressionen?

Antwort: Denkbar wären etwa eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder eine Verleumdungsklage seitens des beschuldigten Polizisten. Allerdings hat der Linzer Aktivist nicht behauptet, dass ihm die Hand vorsätzlich gebrochen worden sein könnte.

Frage: Wer prüft konkrete Vorwürfe gegen die Polizei?

Antwort: Dafür gibt es interne Abteilungen wie das Referat für besondere Ermittlungen bei der Wiener Polizei. In Wien ist dieses dem Landespolizeivizepräsidenten unterstellt. Ein Erstbericht muss der Staatsanwaltschaft binnen 48 Stunden übermittelt werden. Die Anklagebehörde kann aber auch von sich aus tätig werden. Diese entscheidet, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird oder nicht. Theoretisch kann die Staatsanwaltschaft selbst ermitteln, in der Regel wird aber damit wiederum die Polizei beauftragt.

Frage: Gibt es noch andere Kontrolleinrichtungen?

Antwort: Ja, den Menschenrechtsbeirat. Dieser war von 1999 bis 2012 im Innenministerium angesiedelt. Um den Anschein loszuwerden, dass es sich "nur" um ein internes Gremium handle, wurde der Menschenrechtsbeirat vor sieben Jahren in die Volksanwaltschaft integriert und neu aufgestellt. Im Jahr 2015 publizierte der Beirat Kriterien zu "polizeilichen Großlagen". Darin ist u. a. der 3D-Ansatz – Dialog, Deeskalieren, Durchsetzen – festgeschrieben. Gefordert wird ein respektvoller, korrekter, kommunikativer und unvoreingenommener Umgang von Polizisten mit Kundgebungsteilnehmern. Skepsis oder Feindseligkeiten Einzelner auf der Gegenseite seien kein Anlass zur Änderung dieser Grundhaltung.

Frage: Braucht man für eine Demo die Genehmigung der Polizei?

Antwort: Nein. Laut Versammlungsgesetz muss aber eine "allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste" spätestens 48 Stunden davor bei Polizei oder Bezirkshauptmannschaft angezeigt werden. Eine Nichtanmeldung führt nicht automatisch zur Untersagung, es droht aber eine Verwaltungsstrafe von bis zu 720 Euro. Die Polizei kann eine Versammlung untersagen oder beenden, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. (Michael Simoner, Rosa Winkler-Hermaden, 4.6.2019)