Es wäre wohl eine Untertreibung zu behaupten, dass die berühmtesten Akteurinnen und Akteure der Biohacker-Szene umstrittene Persönlichkeiten sind. Manche sehen in ihnen gar moderne Freaks. Skurrile Kleidung, Frisuren oder Piercings tragen zu diesem Eindruck bei. Wer wie der von Geburt an farbenblinde Neil Harbisson mit einer implantierten Antenne im Schädel herumläuft, um mittels Farbsensor, Kopfhörer und Mikrochip Farbfrequenzen in hörbare Frequenzen umzuwandeln, darf sich darüber vielleicht nicht wundern. Harbisson wird von den britischen Behörden seit 2010 offiziell als erster Cyborg der Welt anerkannt.

Neil Harbisson, der erste offiziell anerkannte Cyborg der Menschheitsgeschichte.
Foto: imago

Tatsächlich scheint es letztlich aber eine Interpretationsfrage zu sein, wo die "normale" Modifikation des menschlichen Körpers beginnt und wo die abnormale, groteske und mitunter ethisch fragwürdige Manipulation beginnt.

Upgrades für den Körper

Wenn US-Biohacker von Modifikation sprechen, meinen sie in erster Linie Verbesserungen oder Upgrades ihrer Körper – außerhalb geordneter Institutionen und klassischer Labore, wo durchaus in einer gewissen Regelmäßigkeit mit verändertem Genmaterial bereits experimentiert und gearbeitet wird.

Auf der größten Biohackermesse der Welt in Texas erzählten unlängst mehrere Menschen von ihren neuesten Features: Chips unter der Haut, die Kontaktinformationen via Bluetooth senden, ersetzen Visitenkarten; Magnete unter der Haut helfen so mancher Illusionistin bei der Arbeit und erlauben coolere Zaubertricks; und künstliche Arme werden mechanisch aufgepimpt, um eines Tages wie "Inspector Gadget" zu enden.

Diese Biohacker bezeichnen sich selbst oft auch gerne als Transhumanisten. Sie wollen eine Weiterentwicklung der menschlichen Spezies über ihre aktuellen physischen und mentalen Begrenzungen hinaus, betonen sie immer wieder. Manche glauben, dass die Unsterblichkeit nur noch einige Jahrzehnte entfernt sei. Der neue Rockstar der Szene ist dabei Josiah Zayner.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Berühmt wurde er unter anderem, weil er während einer auf Facebook live übertragenen Biotech-Konferenz angeblich als erster Mensch selbst einen kleinen Anteil seines Erbguts per Injektion und CRISPR-Schere verändert haben will. Ziel war es, seine Muskelmasse im Unterarm zu erhöhen. Einzig einmalig ein Muskelwachsgen zu injizieren reicht dafür allerdings nicht aus, wie Wissenschafter monierten, Zayner aber von Anfang an auch zugab. Stattdessen helfe bei Erwachsenen eigentlich nur regelmäßiges Training.

Andere auf Youtube publizierte Biohacking-Selbstversuche zeigen ihn beispielsweise, als er die Bakterienkultur in seinem Darm verbessern wollte und dafür den Kot eines gesunden Freundes aß. Die meisten Gesundheitsrisiken lassen sich durch korrekte Anwendung minimieren, ist Zayner überzeugt. Und: "So verrückt, spontan und grenzwertig unvernünftig ich auch wirken mag, bevor ich etwas Neues ausprobiere, spreche ich mich mit Experten ab, um sicherzugehen, nichts zu vergessen", sagt Zayner über seine Experimente. Kritik an den Experimenten gibt es aber immer wieder, auch von anderen Biohackerkollegen.

The Atlantic

Der promovierte Biophysiker der angesehenen University of Chicago absolvierte nach seiner akademischen Laufbahn ein zweijähriges Fellowship bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa, um dort die biologischen Möglichkeiten einer Mars-Besiedelung zu erforschen. Enttäuscht darüber, dass seine kreativen Lösungen und Ideen zu viel Vorlaufzeit benötigt hätten, kündigte Zayner nach zwei Jahren und widmete sich fortan wieder einem Projekt aus der Studienzeit, "Odin" genannt.

DIY

Per Crowdfunding finanzierte Zayner das Unternehmen, das Do-it-yourself-CRISPR-Kits, quasi die Genschere für zu Hause, verkauft. Nun ist die Fachwelt nicht erst seit der Geburt der ersten CRISPR-Babys im vergangenen Jahr höchst besorgt über den missbräuchlichen und unethischen Einsatz der revolutionären Technologie. Schon zuvor äußerten zahlreiche internationale Ärzte eine Vielzahl an Bedenken.

Mit solchen Bildern wirbt das Odin-Projekt für seine Do-it-yourself-Kits.

Zayner jedoch hat ganz andere Bedenken: "Ich glaube, jeder sorgt sich um die Gefahren genetischer Manipulation und wie sie die Menschen verletzen könnte. Doch niemand sorgt sich darum, was passiert, wenn wir den Menschen keine Gentechnik zur Verfügung stellen." Er sorgt sich um ein Ungleichgewicht an Möglichkeiten. Er will nicht nur den Elite-Unis, reichen Menschen und der Pharmaindustrie die Chance des wissenschaftlichen Fortschritts geben, sondern möglichst vielen Menschen. Er will eine möglichst breite Gesundheitsversorgung ermöglichen.

Aus diesem Grund verkauft er über eine Internetplattform eine Vielzahl an technischen Gadgets, die man braucht, um Genmaterial zu verändern und sich mit der Materie vertraut zu machen – Onlinekurs für Einsteiger beziehungsweise eine Anleitung mit PDF inklusive.

Leuchtendes Bier und genmanipulierte Frösche

Ausgetestet werden soll das Ganze zunächst natürlich nicht am eigenen Körper. Deshalb können sich Einsteiger an Pflanzen versuchen oder auch einmal ein Bier dank fluoreszierender DNA zum Leuchten bringen. Für Fortgeschrittene oder solche, die glauben, so jemand zu sein, verschickt die Firma dann auch gleich sechs Frösche – jedoch nicht ohne vorhergehenden Sicherheitstest, bestehend aus neun Multiple-Choice-Fragen zur artgerechten Haltung und Betäubung von Fröschen, die mit einfachem Hausverstand oder einer schnellen Google-Suche beantwortbar sind.

Was ist CRISPR?
DER STANDARD

Im Gegensatz zu den anderen Produkten wird das Frosch-Kit aber nur in den USA ausgeliefert. In den FAQ zu den globalen Lieferorten heißt es lapidar, dass man schon vielerorts geliefert habe und dass man es einfach versuchen sollte. Für den Fall, dass die Lieferung nicht ankomme, werde man eine Lösung finden, heißt es vielsagend. Auch wurden bereits Fälle bekannt, wo scheinbar versehentlich Krankheitserreger in Zayners Kits mitversendet wurden.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften "begrüßt eine verantwortungsbewusste Forschung zum Verständnis und zur Weiterentwicklung von Technologien zur Genom‐Editierung einschließlich CRISPR" grundsätzlich, besteht jedoch darauf, dass entsprechende Forschungen unter "strenger Einhaltung lokaler, nationaler und internationaler Gesetze und Vorschriften betrieben werden".

US-Behörden sind alarmiert

Zayners Aktivitäten blieben zuletzt auch bei den US-Behörden nicht unbemerkt. Kaliforniens Konsumentenschutzbehörde befragte ihn Anfang Juni wegen des Vorwurfs, Medizin ohne Genehmigung zu praktizieren. Zayner konterte, dass er Menschen lediglich Alternativen aufzeige, niemanden aktiv behandle und Arzneien wie Antibiotika nicht zur Behandlung bestimmter Krankheiten verkaufe, sondern für Experimente am eigenen Körper – ein rechtlicher Graubereich, der wohl noch ein gerichtliches Nachspiel haben könnte.

Die Unterstützung seiner beachtlichen Fangemeinde scheint ihm jedenfalls gewiss. Knapp 6.000 Personen haben Zayners Kanal auf Youtube abonniert und unterstützen ihn regelmäßig in seinem Leitsatz, dass Biohacking kein Verbrechen sei.

Österreichs Biohackerszene

Die relativ kleine deutschsprachige Biohackerszene, die sich hauptsächlich rund um das 2013 gegründete Open Biolab Graz Austria (Olga) und das Hackuarium in der Schweiz konzentriert, sieht das ein wenig anders. Einerseits grenzt sie sich eindeutig von der Cyborg- und Selbstoptimiererszene, wie oben beschrieben, ab und sieht sich eher in der Do-it-yourself-Biologie und in der Laborarbeit verhaftet. Andererseits ist Zayner vor allem in der europäischen Biohackerszene wegen seines Hangs zur Selbstinszenierung und der oftmals mangelnden Qualität und Gründlichkeit sehr umstritten. "Bei ihm liegen Genie und Wahnsinn knapp aneinander", resümiert Alexander Murer, Initiator des unabhängig agierenden Olga-Projekts. Er habe brillante Ideen, schade aber oftmals dem Ruf der Szene durch seine PR-Stunts.

Biohacking ist auf dem Vormarsch.
BBC News

Zwar teile man grundsätzlich Werte wie eine Demokratisierung der Forschung und will – ähnlich wie Zayner – möglichst vielen wissbegierigen Menschen kostengünstige Alternativen zur teuren Forschung an Unis oder in Pharmakonzernen bieten. Die Grazer Biohacker sammeln und reparieren dafür etwa Altgeräte, die ansonsten auf dem Müll landen, und bauen sich selbst Forschungsgeräte zusammen, die sonst ein Vielfaches kosten würden. Dennoch trete man expliziter für ein verantwortliches Biohacking ein, als dies mancher Kollege aus Übersee tue, wenngleich man auch diese nicht alle in einen Topf werden dürfe, so Murer zum STANDARD.

Auch deshalb orientiert man sich an einem europaweiten Ethikcode und befürwortet eine gewisse Reglementierung des Einsatzes bestimmter Technologien. Die Verhaltensregeln propagieren Transparenz, Sicherheit, offenen Zugang für alle, eine informierte Gesellschaft, vor allem aber auch Bescheidenheit und Respekt im Umgang mit sowie die ausschließlich friedliche Nutzung der Technologien.

Akzeptanz der Genforschung

Dennoch befürworten die Grazer Biohacker offen den Einsatz von CRISPR, der eigenständige Forschung in kleinem Rahmen auf dem Gebiet der Genomeditierung mitunter erst ermöglichte. "Uns treibt der kreative, frei zugängliche und selbständige Umgang mit Forschung an", sagt Daniel Derndorfer, selbst aktiver Biohacker, zum STANDARD. Murer will mit dem Projekt den Menschen die Angst vor der Gentechnik nehmen, er sieht sie als "Technik wie jede andere und auch nicht sonderlich gefährlich in irgendeiner Form". Sie sei im Alltag verwurzelt, in der Medizin, bei Lebensmittelzusatzstoffen oder beim Tierfutter.

Auch die von Zayner verkauften Kits zur Genomeditierung relativiert Derndorfer. Diese seien eine schöne Möglichkeit für den Erstkontakt, "wirklich was Gefährliches anstellen kann man damit aber nicht". Die Weltherrschaft strebe man ebenfalls nicht an, scherzt Murer. Viel eher gehe es darum, als Forschungsbegeisterte anderen Forschungsbegeisterten eine Möglichkeit zum selbstständigen Experimentieren zu bieten, sagen Murer und Derndorfer. Das umschließt alles von Schleimpilzkulturen über CRISPR bis Penicillin. (Fabian Sommavilla, 25.6.2019)