Das "Burning"-Trio, das sich mehr über Kontraste als über Gemeinsamkeiten definiert: Jongsu (Ah-in Yoo, li.), sein Widersacher Ben (Steven Yeun) und dazwischen Haemi (Jong-seo Jun).

Foto: Polyfilm

Um sich mit einer Illusion abzufinden, muss man nur aufhören, sie als Illusion zu betrachten. Ungefähr mit diesen Worten fordert Haemi (Jong-seo Jun) ihre Begleitung Jongsu (Ah-in Yoo) auf, an die Clementine zu glauben, die sie für ihn gerade nur pantomimisch schält. Die frühe Szene aus Burning funktioniert ein bisschen wie eine Bedienungsanleitung.

Denn das, was in diesem Film tatsächlich passiert und was davon möglicherweise nur im Kopf einer der Figuren wie ein reales Vorkommnis erscheint, ist oft nicht vollkommen klar. Das führt zu dem ungewöhnlichen Schwebezustand des Films von Lee Chang-Dong. Der Aufschub einer befriedigenden Erklärung ist hier der beunruhigende Normalfall.

Dabei beginnt alles ganz profan. Haemi spricht Jongsu keck auf der Straße an, sie behauptet, sie kenne ihn von früher, als sie gemeinsam in der südkoreanischen Grenzstadt Paju aufgewachsen sind. Vielleicht liegt es an Jongsus zögerlichem Gesichtsausdruck, vielleicht auch daran, dass sie dann auf beiläufige Weise miteinander schlafen – sein Blick schweift über die Wände der Garçonnière –, jedenfalls wird ihr Verhältnis von einer sonderbaren Zögerlichkeit mitbestimmt.

Wiederholt irritiert Lee Chang-Dong derart mit unklaren Zeichen oder verlagert die Tonlage um eine Spur. Gibt es die Katze, auf die Jongsu während Haemis Reise aufpassen soll, wirklich? Zu sehen bekommt er sie nämlich nie.

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Burning basiert auf der gerade mal zehnseitigen Kurzgeschichte Barn burning von Haruki Murakami. Wer den japanischen Autor kennt, wird schon in der Figur des Einzelgängers Jongsu dessen Handschrift erkennen. Als Autor, der nach seiner Geschichte sucht, ist dieser auch Murakamis ironischer Stellvertreter. "Die Welt ist für mich ein Rätsel", wird er später einmal mit typisch ungerührten Gesichtsausdruck sagen. Zu einem guten Teil ist er sich das auch selbst.

Sein Gegenüber verkörpert zu diesem Zeitpunkt in vielem sein Gegenteil: Ben (Steven Yeun, bekannt aus The Walking Dead) der neue Freund von Haemi. ist ein selbstsicherer, reicher Geck. In geselligen Runden gähnt er bisweilen demonstrativ, weil er sich das einfach leisten kann. Jongsu sitzt in diesen kleinen Gesellschaften dagegen wie ein Außenseiter dabei. Ben findet offenbar Gefallen daran, ihm seinen sozialen Status vorzuführen. Der Klassengegensatz erzeugt unterschwellige Spannungen.

Komplexe Positionen

Lee Chang-Dong gehört zu den prominentesten Vertretern des südkoreanischen Autorenkinos, er schrieb ursprünglich selbst Romane und Drehbücher, war kurzzeitig sogar als Kulturminister im Amt. International bekannt wurde er durch Secret Sunshine (2007), einen umwerfenden Film über eine Frau, die nach dem Tod ihres Sohnes keinen Hafen der Erlösung findet. Seine Stärke ist die psychologische Komplexität seiner Figuren, die an gesellschaftliche Positionen gekoppelt ist.

Mit der Tragikomödie Parasite über die Kluft zwischen Arm und Reich in Korea hat Lees Regiekollege Bong Joon-ho gerade die Goldene Palme beim Filmfestival Cannes gewonnen. In Burning erzählt Lee Chang-Dong auch von den Druckverhältnissen zwischen den Klassen, von den Langzeitfolgen kindlicher Zurückweisung und einer wachsenden Isolation. Aber er richtet die Dynamik noch nicht nach außen, sondern lässt die Figuren mit ihrem Neid und ihrem Dünkel noch allein – oder argwöhnisch umeinander kreisen. Der Zorn steigt im Inneren ständig an.

Fatales Dreieck

Von einer Charakterstudie neigt sich der Film dabei langsam dem Thriller zu, auch wenn er nur wenig auf Aktion ausgerichtet ist. Einmal lässt Lee eine Szene auf der Veranda des alten Hauses von Jongsu mit Miles Davis’ Cool-Jazz-Score aus Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott ausklingen, wie als wolle er die fatale Logik von verkorksten Liebesverhältnissen wie in einem Film noir unterstreichen. Zwei Männer, eine Frau, ein sublimes Konkurrenzverhältnis – kann das gut gehen?

Burning löst diese Frage völlig anders auf, als man vermutet. Das Motiv des Verschwindens bleibt bestimmend. In seinem Pick-Up lauert Jongsu vor dem Haus von Ben. An einer Stelle fährt der an einen Stausee und blickt versunken auf die stille Wasseroberfläche. Verbirgt sich in der Tiefe des Wassers ein grausames Geheimnis? Lee legt zahlreiche Indizien aus, lässt den Zuschauer aber nur so viel wissen wie seinen unverlässlichen Helden Jongsu. Mehr als Erkenntnisse interessieren ihn die Mutmaßungen. Die sozialen Urteile, die eine eigene Realität erzeugen können. Burning ist vor allem ein großartiger Film über falsche Illusionen. (Dominik Kamalzadeh, 4. 6. 2019)