SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagners Rolle wird parteiintern debattiert. Die Stimme der SPÖ ist seit längerem gebrochen, findet Gastkommentar-Autor Leopold Specht.

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Jurist Leopold Specht hat Anmerkungen und Ergänzungen zum Gastkommentar von Dietmar Ecker. Eine Erregung über die Höhe der Parteienfinanzierung hält er für unangebracht. An der Sozialdemokratie bemängelt er, dass sie nicht mehr den gesellschaftlichen Raum verteidigt, um diesen zu gestalten.

Dietmar Eckers Gastkommentar ("Die Selbstaufgabe der Sozialdemokraten") lädt ein zu einer Erwiderung. Einerseits teile ich nicht seine Ansicht zur Parteienfinanzierung in Österreich. Andererseits stimme ich seiner Beschreibung der Position der SPÖ im Umgang mit der von Sebastian Kurz herbeigeführten Regierungskrise zu.

Ich halte Ecker entgegen, eine Kritik der Sozialdemokratie sollte sich nicht in taktischen Überlegungen zu dem vor uns liegenden Wahlkampf erschöpfen. Die in den letzten Tagen formulierte Position der SPÖ bringt ein inhaltliches Dilemma der Sozialdemokratie zum Ausdruck: In Erfüllung ihrer historischen Rolle innerhalb des Systems wird sie die Besen nicht mehr los, mit welchen sie jegliche systemkritische Programmatik und auch Ambition vor ihre Türe kehrte. Daher unterscheidet sich ihre Programmatik kaum mehr von der anderer Parteien. Unter der Wucht der neokonservativen Offensive gegen den Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit verkamen Positionen der SPÖ in zentralen Fragen zu Neoliberalismus mit verlegenem Lächeln. Eine an der Neuformulierung linker Positionen orientierte Diskussion sollte dieses Dilemma thematisieren, etwa anhand des Spannungsverhältnisses von Politik und Expertise.

Zunächst: Die staatliche Parteienfinanzierung erscheint mir derzeit unumgänglich, um eine weitere Privatisierung von Politik zu erschweren. Mit öffentlicher Finanzierung von Parteien allein ist es jedoch nicht getan. Wie zu Recht angemerkt, ist die Abschottung des politischen Systems mit eine Folge des derzeitigen Systems staatlicher Parteienfinanzierung. Neue politische Initiativen bringen die für die Etablierung als relevante politische Kraft notwendigen Mittel nur auf, wenn private Financiers dies ermöglichen. Daraus leite ich jedoch kein Argument gegen staatliche Parteienfinanzierung ab. Politischer Pluralismus verlangt, den politischen Wettbewerb durch die öffentliche Hand zu fördern. Aber nicht nur in Form von Zahlungen an Parteien. Die Förderung politischen Wettbewerbs sollte weitreichender sein. Warum etwa sollte im Parlament nicht vertretenen, politischen Initiativen nicht Sendezeit im ORF eingeräumt werden? Eine kontinuierliche Debatte um politische Inhalte – jenseits der Schranken des Mainstreams, den die in gesetzgebenden Körperschaften vertretenen Parteien formulieren – erweitert das politische Spektrum. Erregung über die Höhe der Parteienfinanzierung ist daher unangebracht.

Debatte über Zukunft, nicht Status quo

Eine weitergehende Unterstützung politischen Wettbewerbs durch die öffentliche Hand verlangt Transparenz, klare Regeln und spürbare Sanktionen für den Fall des Regelverstoßes. Private Spenden sollten der gleichen Transparenz unterliegen wie die staatliche Parteienfinanzierung – und den gleichen Sanktionen. Private Parteispenden an politische Gruppen, Initiativen und Parteien sind darüber hinaus der Höhe nach zu begrenzen. Die Überschreitung dieser betraglichen Grenzen sollte den Verlust der staatlichen Förderung und die Beschränkung des Zugangs zu öffentlichen Foren nach sich ziehen.

Ziel dieser Maßnahmen sollte die Aufwertung des Öffentlichen, der Institutionen der Republik und der Teilnahme an der Gestaltung des öffentlichen Raumes und seiner Institutionen sein. Es bedarf der politischen Konfrontation, des Wettbewerbs, ja des Streits über die das Gemeinwesen betreffenden Fragen. Differenzen über gesellschaftlich Relevantes, wie etwa den Umgang mit Natur, die Zukunft produktiver und reproduktiver Arbeit, das Experimentieren mit unterschiedlichen Formen der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums, die derzeit privatwirtschaftliche Aneignung technischen Fortschritts, sind öffentlich auszutragen. Eine Auseinandersetzung über unsere Zukunft und nicht ein Geplänkel über den Status quo ist notwendig.

Nichtaustragen politischer Kontroversen

In dieser Diskussion wäre auch die Stimme der Sozialdemokratie gefragt. Doch ist diese seit längerem gebrochen. Nicht im Gefolge des Suchens nach Instrumenten gesellschaftlichen Gestaltens. Vielmehr hat sie sich der Mühe der Überwindung des jeweils Bestehenden entlang von Linien des europäischen Humanismus, in dessen entwickeltsten, sozialistischen Formulierungen, entschlagen. Sie hält es nicht mehr mit Marx oder Kreisky, sondern mit McKinsey und McDonald's. Statt politischen Streit und Veränderung zu forcieren, beugt sie sich neokonservativen Postulaten als vorgeblich alternativlos. Sie verteidigt nicht mehr den gesellschaftlichen Raum, um diesen zu gestalten.

Daher argumentiert sie in der Diskussion über eine Regierung von Experten nicht politisch. Hätte der damalige Bundeskanzler den Experten, nicht von ihm ausgewählte Berater zur Seite gestellt, wer weiß um die Haltung der SPÖ. Das Nichtaustragen politischer Kontroversen und das neokonservative Umgestalten öffentlicher Institutionen erfolgte in der Regel hinter dem Paravent von Expertise, die nicht hinterfragt wurde. Die SPÖ thematisiert das nicht.

Deutlich wurde dies in der Finanzkrise und der daran anschließenden, anhaltenden Austeritätsphase. Unhinterfragt walten Experten – als Verursacher wie auch als Verwalter dieser Krise. Private Spekulation trat in der Begründung der Umverteilung von unten nach oben in den Hintergrund. Europaweit wird nunmehr eine Krise der Staatsfinanzen beschworen, um die Enteignung der sozial Schwachen zu legitimieren. Gegen wenig bis keinen sozialdemokratischen Widerstand.

Einrichtungen des Staates stärken

Diese Haltung der SPÖ gegenüber Experten ist auch anhand der derzeitigen Regierungsbildung kenntlich. Ist zu der nunmehr vom Bundespräsidenten bestellten Regierungsspitze nicht mehr zu sagen, als auf Biografien zu verweisen? Sind sie nicht auch Ausdruck einer Kultur von Integrität und Qualifikation in Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof? Und ist es daher nicht wichtig, um Mittel zu streiten, die Einrichtungen des Staates zu stärken?

Wie in der Bankenkrise der Finanzminister das Rettungsnetz für Banken und Finanzdienstleiter webte, sollen nunmehr die bisherige Präsidentin des Verfassungs- oder der vormalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofs kompetentes und integeres Regieren garantieren. Ist es daher nicht endlich Zeit für die Sozialdemokratie, die Konsequenz aus der nun allseits begrüßten Wahl des Herrn Bundespräsidenten zu ziehen und eine politische Auseinandersetzung für bessere Finanzierung und Ausstattung staatlicher Einrichtung zu führen? Nicht also Sparen an, sondern Investieren in staatliche Einrichtungen: Bildung, Forschung, Rechtssprechung, Fiskus und so weiter.

Der gesellschaftliche Konsens, der diese Institutionen trägt, ist aber im öffentlichen Raum zu erstreiten. Nach Regeln und unter Einsatz von Mitteln, die ebenfalls Gegenstand dieses politischen Streits sein müssen. (Leopold Specht, 4.6.2019)