Es wirkt, als würde Italiens Vizepremier Matteo Salvini wegen des Budgets geradezu Streit mit der EU suchen.

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Rom – Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte kaum ausgeredet, als sein Vizepremier Matteo Salvini einen zentralen Punkt gleich wieder klarstellte: "Das Resultat der Europawahlen ist ein klarer Auftrag: Neun Millionen Italiener haben für eine kräftige Steuerreduktion und für die Überwindung der von der EU verordneten Austeritätspolitik gestimmt", betonte der Innenminister und Lega-Chef.

Wenige Minuten zuvor hatte Conte in einer Rede an die Nation erklärt, dass Italien sich an die europäischen Haushaltsauflagen halten werde, solange diese in Kraft seien. Zur Begründung führte der Regierungschef aus, dass "ein Defizitverfahren für Italien sehr schmerzhaft wäre".

Kein Sparplan in Sicht

Doch das Dementi Salvinis ist unmissverständlich – und nach dem Sieg seiner rechtspopulistischen Partei bei der Europawahl ist der 46-jährige Mailänder endgültig derjenige, der in Rom das Sagen hat. Trotz einer Staatsverschuldung von fast 2,4 Billionen Euro hält Salvini an der von ihm geforderten Einführung einer Einheitssteuer von 15 Prozent für Einkommen unter 50.000 Euro unverdrossen fest. Es gibt weit und breit keine Anzeichen dafür, dass er früher oder später von dieser Forderung abrücken wird.

Die EU-Kommission beriet am Mittwoch über das weitere Vorgehen wegen der hohen Staatsverschuldung Italiens. Nachdem die Behörde im vergangenen Jahr nach Verhandlungen mit Rom noch auf die Einleitung eines Defizitverfahrens verzichtet hatte, empfiehlt sie dies nun. Es würde Auflagen für die Haushaltssanierung bedeuten und könnte bei einer Weigerung der italienischen Regierung zu einer hohen Geldstrafe von bis zu 3,5 Milliarden Euro führen.

Salvinis Erzählung ist einfach und effizient: Verantwortlich für den gigantischen Schuldenberg und die lahmende Wirtschaft sind nicht italienischer Reformunwille, staatliche Geldverschwendung und Ineffizienz, Korruption und Mafia sowie eine alles erstickende Bürokratie, sondern die EU, die das Land mit ihren "überholten und obsoleten Haushaltauflagen" in Ketten gelegt habe und die kraftstrotzende heimische Wirtschaft am Abheben hindere. Würde der Staat nur genügend investieren und gleichzeitig die Steuern senken, dann würde die befreite Wirtschaft wieder aufblühen – und die in der Folge wieder sprudelnden Steuereinnahmen würden das Defizit und schließlich auch die Schulden wie von selbst zum Verschwinden bringen.

Warnung vor Euro-Exit

Das Problem ist bloß, dass das Rezept "Steuersenkungen auf Pump" noch nirgends funktioniert hat, schon gar nicht bei hochverschuldeten Ländern. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass eine solche Strategie auf direktem Weg in die Katastrophe führen würde, warnen zahlreiche Ökonomen. Die drohenden Folgen: steigende Zinsen, Downgrading durch die Ratingagenturen, gekappter Zugang zu den Finanzmärkten – und im schlimmsten Fall staatliche Zahlungsunfähigkeit und Austritt aus dem Euro. Genau vor diesem Szenario, einem italienischen "Euro-Exit aus Versehen" und ohne Volksabstimmung, hat unlängst Ex-Regierungschef Paolo Gentiloni gewarnt.

Ist der Lega-Chef also ein politischer Hasardeur, der den Austritt aus dem Euro bewusst in Kauf nimmt und deshalb die Konfrontation mit der EU-Kommission nicht nur nicht scheut, sondern geradezu sucht? Zumindest einige Indizien dafür gibt es:

Sucht Salvini Streit?

Erstens: Noch vor wenigen Jahren hat Salvini einen Euro-Austritt befürwortet. Als Innenminister hat er diesem Ziel abgeschworen – aber bei der Regierungsbildung wollte er den Ökonomen Paolo Savona zum Finanzminister machen, Autor eines detaillierten "Plans B" für die Rückkehr zur Lira.

Zweitens: Als Präsidenten der Finanzkommissionen des Senats und der Abgeordnetenkammer installierte Salvini zwei Savona-Jünger und Anti-Euro-Theoretiker.

Drittens: Einer dieser Euro-Feinde, Claudio Borghi, hat Ende Mai von der Opposition unbemerkt einen Passus in einen Antrag geschmuggelt, der die Schaffung einer Parallelwährung einleiten könnte – es wäre der erste Schritt des Plans B.

Drei Indizien sind natürlich noch kein Beweis. Und Salvini spekuliert zweifellos auch darauf, dass die EU-Kommission in Sachen Defizitverfahren letztlich nur bellen, aber einmal mehr nicht beißen würde. Das hatte sie schon im letzten Herbst getan, als Italien im Haushalt 2019 ein Defizit von 2,4 Prozent des BIP plante, obwohl mit der Kommission eigentlich 1,6 Prozent vereinbart gewesen waren. Um Salvini keine Wahlkampfmunition für die Europawahlen zu liefern, gab sich Brüssel schließlich mit einem faulen Kompromiss zufrieden, bei dem Rom unrealistische Budgetverbesserungen um zehn Milliarden Euro versprach. Die Brüsseler Nachsicht hat Salvinis Triumph bei den Europawahlen auch nicht verhindern können.

Salvini strebt an die Macht

Denkbar ist schließlich auch, dass die Forderung nach einer Pauschalsteuer und damit einer massiven Verletzung der EU-Haushaltsauflagen dem Lega-Chef nur als Vorwand dient, den Sturz der eigenen Regierung zu provozieren. Salvinis erklärtes Ziel ist es, selbst Premier anstelle von Giuseppe Conte zu werden – und dieser hat am Montag bereits durchblicken lassen, dass er nicht als Chef einer Regierung in die Geschichte eingehen will, die ein EU-Defizitverfahren zu verantworten hat. Eher würde er sein Mandat zurück in die Hände von Staatspräsident Sergio Mattarella legen.

Bei Neuwahlen wäre Salvini der Favorit, und mit großer Wahrscheinlichkeit könnte er danach zusammen mit Ex-Premier Silvio Berlusconi und der Postfaschistin Giorgia Meloni als neue Steigbügelhalter anstelle der Fünf-Sterne-Protestbewegung eine neue Regierung bilden. Mit einem Regierungssturz wäre die Pauschalsteuer und damit das Defizitverfahren erst einmal vom Tisch. Aber wohl nicht für lange: Als Premier wäre Salvini für die EU-Kommission ein noch schwierigerer Partner, als er es heute als Vizepremier ist. (Dominik Straub aus Rom, APA, 5.6.2019)