Österreichs Amnesty-Chef übt scharfe Kritik am Vorgehen einzelner Polizisten.

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Wien – Heinz Patzelt, Geschäftsführer von Amnesty International Österreich, appelliert an die Klimaaktivisten, sich von der am Freitag in Wien bei der Räumung mutmaßlich ausgeübten Polizeigewalt nicht einschüchtern zu lassen. Gleichzeitig kritisierte er die Bilder, die auf einem "widerwärtigen Prügelvideo" zu sehen sind, und den Umgang der Polizeiführung mit den Vorwürfen.

"Für uns ist ganz zentral, junge Menschen, die sich für die wichtigste Sache, den Schutz dieses Planeten vor dem Klimawandel, engagieren, zu unterstützen", sagte Patzelt. "Ich war an dem Tag nicht in Wien, sonst hätte ich mir das selbst an Ort und Stelle angesehen. Ich habe mir aber eine Menge Videomaterial angesehen. Ich sehe auf der einen Seite eine Polizei, die in sehr großen Teilen sehr professionell, gelassen agiert hat. Und auf der anderen Seite gibt es dieses Eck hinter dem Polizeiwagen, wo in Summe keiner eine Einsicht hat."

"Unfassbare Gewalt"

Patzelt betonte, er habe mit mehreren Polizeiausbildnern über diese Bilder gesprochen. "Kein einziger sagt, dass das gerechtfertigt ist." Es handle sich um ein "widerwärtiges Gewaltvideo". In einem weiteren, am Montag veröffentlichten Video ist zu sehen, wie ein zu Boden gebrachter Aktivist, auf dessen Schultern zwei Beamte knien, beinahe am Kopf vom Hinterreifen eines Polizeiwagens überrollt wird. Auch diesen Vorfall bezeichnete Patzelt als widerwärtig. "Ich unterstelle eine unfassbare Gewalt. Das war keine Geiselnahme, da war niemand in Gefahr. Es war exzessive Gewaltausübung."

Er fühle sich an die Fälle Bakary J. und Cheibani Wague erinnert. Der Gambier Bakary J. war im Jahr 2006 nach einer missglückten Abschiebung von Polizisten in in eine Wiener Lagerhalle gebracht und dort schwer misshandelt worden. Cheibani Wague war im Jahr 2003 im Wiener Stadtpark im Zuge einer Polizeiamtshandlung erstickt.

"Keine Prügelpolizei"

"Jedes Bild, das man von dort sieht, zeigt genau diesen Eindruck: Warum kann man das nicht professionell zu Ende bringen? Und warum wird das nicht sofort weitergeleitet? Warum sind die nicht vier Stunden nach dem Einsatz, getrennt voneinander, damit sie sich nicht verabreden können, einvernommen worden?", fragte Patzelt. "Man hat die betreffenden Beamten erst ausforschen müssen – geh bitte. Das sieht man in jedem Einsatzprotokoll, wer von welcher Einheit dort abkommandiert war. Warum stellt die Polizei nicht sofort ihre Videos, die sie von der Amtshandlung hat, ins Netz, im Sinne der Transparenz?" Patzelt betonte dennoch: "Es ist keine Prügelpolizei, es ist eine in weiten Teilen professionelle Polizei."

Kritik an Inseraten

Wie der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl stellte auch Patzelt klar, dass das Marketing des Innenministeriums, dessen Rekrutierungsinserate in rechten bis rechtsextremen Medien in der Amtszeit von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) für heftige Kritik gesorgt hatten, nicht für die Vorkommnisse bei der Räumung der Blockade ursächlich verantwortlich gemacht werden könne. "Aber so etwas ändert schon den Organisationscharakter."

Patzelt sprach auch die niedrigen Bewerberzahlen in Wien an: "Es müsste mal jemand nachdenken, warum man sich in Wien nicht gerne bei der Polizei bewirbt. Da kann ich nicht sagen, wurscht, ich nehme die 740 am wenigsten Schlechten. Und man kann sich auch den Kopf darüber zerbrechen, in welchen Medien inseriert wird. Wie viele Inserate hat das Innenministerium etwa im Magazin 'Das Biber' geschaltet?" Anmerkung: Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung Kickls vom 7. September 2018 war es in Sachen Rekrutierung seit Beginn seiner Amtszeit am 18. Dezember 2017 kein einziges.

Patzelt empfahl auch, einsatztechnische Überlegungen anzustellen: "Warum müssen dieselben vier Beamten 30 Aktivisten wegtragen?"

"Beginnt mit Entschuldigung"

Der AI-Geschäftsführer appellierte erneut: "Bitte, junge Leute, lasst euch nicht von solchen Bildern abschrecken, und geht weiter auf die Straße. Im besten Fall waren es fünf frustrierte Polizisten. Im schlimmsten Fall ein politisches Entmutigungskonzept." Auch forderte der Jurist Signale. "Es beginnt mit einer Entschuldigung ohne Wenn und Aber vom Polizeipräsidenten, vom Bürgermeister – denn der hat wesentliche Mitsprache bei der Bestellung des Polizeipräsidenten –, vom Innenminister, vom leitenden Einsatzoffizier. Warum stellt sich der Polizeipräsident nicht hin und sagt: 'Das war nicht mein Auftrag, es tut mir leid.' Und das nicht morgen, sondern gestern."

Im Fall des auf dem Boden fixierten Demonstranten vor dem Reifen eines Polizeiwagens hat die Pressestelle der Wiener Polizei auf Twitter nun ihren Ton geändert. Schrieb sie am Dienstag noch von "teils absurden Anschuldigungen", die sie "aufs Schärfste zurückweise", war am Mittwoch von einer "gefährlichen Situation" die Rede. Der Vorfall werde nicht nur strafrechtlich überprüft, sondern soll auch in die Einsatztaktik und ins Training einfließen. "Auch das neue Video wird der Staatsanwaltschaft übermittelt", sagte Daniela Tunst, Leiterin der Pressestelle der Polizei Wien in einem schriftlichen Statement.

Der angemeldete Verlauf der Demo.
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Demo angekündigt

Für Donnerstag wurde in Wien eine Demonstration unter dem Titel "Halt der Polizeigewalt" angemeldet. Das berichtet die Landespolizeidirektion Wien in einer Aussendung. Die Kundgebung wird von 18 bis 21 Uhr dauern vom Verkehrsministerium über den Franz-Josefs-Kai und den Schottenring führen. Im Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche ist die Abschlusskundgebung geplant. Die Polizei warnt vor temporären Verkehrssperren und Umleitungen. Auch Öffi-Nutzer müssten mit Einschränkungen rechnen. (APA, red, 5.6.2019)