Schmale Schnauze, spitze Zähne: Gaviale gelten als sehr scheu. Es gibt nur mehr wenige fragmentierte Populationen in freier Natur.
Foto: Sylvia Mayrhofer

"Adam, hier", ruft Rosanna Mangione, klar und bestimmt, mit langgezogenen Vokalen. Adam liegt vollkommen bewegungslos im Wasser, nur die Augen spähen über die glatte Oberfläche. Unweit von ihm schmiegt sich seine Gefährtin Eva unter einen Felsvorsprung im Wasser. Nichts rührt sich, nur ein paar Lisztäffchen springen im Gehege oberhalb des Beckens von Ast zu Ast.

Mangione, Biologin und in der Abteilung für Reptilien und Amphibien des Hauses des Meeres in Wien für den "Krokipark" zuständig, hält einen langen Holzstab mit einer roten Markierung ins Wasser und tippt kaum merklich mit dem Zeigefinger auf den Stab. Währenddessen ruft sie wieder den Namen des Sunda-Gavial-Männchens.

Lob und Leckerli

Auf einmal kommt Bewegung in Adams vier Meter langen und 300 Kilogramm schweren Körper. Langsam und geschmeidig gleitet er zielgerichtet auf den Stab zu, wo er exakt so stoppt, dass er den Stab sanft mit der Schnauze berühren kann. Geduldig wartet er auf Mangiones Lob und Liebkosung, ein leichtes Kratzen mit dem Holzstab an einer Stelle, die Mangione als "hinter dem Ohr" beschreibt. Danach dreht Adam ab und geht wieder in eine starre Position.

Das ändert sich, als Mangione mit einer Zange eine tote Ratte aus einem Müllsack fischt: Flugs pirscht er sich heran und wartet einen Augenblick, bis er blitzschnell zuschnappt und – die Ratte wie eine Trophäe im Maul – zu Eva schwimmt. "Er will ihr seine Beute zeigen", erklärt Mangione. Erst nachdem er eine Weile so verharrt, verschlingt er die Ratte in einem Satz, gefolgt von einem kräftigen Rülpser.

Adam und Eva in ihrem eigenen kleinen Krokodilparadies im Haus des Meeres. Das Training soll helfen, Stress zu vermeiden.
Foto: Guenther Hulla

Gaviale gehören zur Familie der Krokodile und sind in Flüssen, Seen und Sumpfgebieten der Malaiischen Halbinsel, Sumatras und Borneos heimisch. Sie erreichen eine Länge von bis zu fünf Metern und mehr, haben eine markante gestreifte Musterung und eine dünne, langgezogene Schnauze, aus der schmale, spitze Zähne ragen. Die Tiere, die als sehr scheu gelten, sind vom Aussterben bedroht: Laut Schätzungen leben nur noch maximal 2500 Exemplare in stark fragmentierten Populationen in freier Natur. "Sie sind in Zoos kaum züchtbar", sagt Mangione. "In ganz Europa gibt es nur etwa 15 Zoos, die diese Art halten. Zum Vergleich: Mississippi-Alligatoren gibt es in knapp 100 Zoos."

Unterschätzte Fähigkeiten

Im Vergleich zu Alligatoren sind Gaviale auch äußerst schwer zu trainieren – eine Herausforderung, die die Verhaltens- und Kognitionsbiologin gerne annahm. Trotz ihrer vergleichsweise beschränkten kognitiven Fähigkeiten sind auch Gaviale lernfähig, wie sie dabei herausfand. "Es wurde lange unterschätzt, wie gut sie Menschen erkennen und Befehle unterscheiden können", sagt sie.

In mehreren Monaten Training, in denen lange Zeit gar kein Erfolg sichtbar war, brachte sie Adam und Eva Schritt für Schritt bei, auf ihre Namen zu hören und eine Reihe von Kommandos zu befolgen: ein bestimmtes Ziel anzusteuern, den Kopf zu heben, an einer bestimmten Stelle zu bleiben. "Gaviale verständigen sich nicht vokal über Rufe wie Alligatoren", schildert Mangione. "Sie kommunizieren über niederfrequente Vibrationen, die über das Wasser übertragen und durch feine Poren in der Haut wahrgenommen werden." Um Wellen zu erzeugen, biegen sie etwa ihren Rücken durch oder schnauben.

Die Verhaltens- und Kognitionsbiologin Rosanna Mangione beim Training mit ihren Schützlingen.
Foto: Philipp Heinzl

Für das sogenannte Target-Training, in dem die Krokodile auf den Stab und seine Vibrationen reagieren, hatte die Haus-des-Meeres-Forscherin ganz pragmatische Gründe. Der gläserne Boden des Krokodilbeckens muss häufig gereinigt werden, wodurch Adam und Eva an Land kommen müssen. Auch die Fütterung konnte vereinfacht werden. "Am Anfang mussten wir die beiden durch einen Zaun trennen, weil Eva sonst zu wenig abbekommen hätte. Das hat wiederum Aggressionen aufgebaut", sagt Mangione. "Jetzt hat Adam gelernt, zu warten, bis Eva in Ruhe gefressen hat." Nicht zuletzt können die beiden nun stressfrei geimpft oder medizinisch versorgt werden.

Spaß statt Stress

"Muss man sie mit Gewalt einfangen, verzeihen sie das lange nicht", sagt Mangione. Im Gegensatz zu Säugetieren, die bei Stress mit Hecheln, geweiteten Pupillen und Weglaufen reagieren, zeigen Reptilien keine derartigen Anzeichen, tauchen dann aber buchstäblich ab. "Nach dem Transport von einem polnischen Zoo ins Haus des Meeres 2015 waren sie wochenlang unter Wasser und sind nur kurz aufgetaucht, um Luft zu holen", sagt Mangione. Jeder Stress birgt daher auch Gesundheitsgefahren für die Tiere, die sich durch das Training vermeiden lassen.

Nicht zuletzt haben die beiden 17 Jahre alten Gaviale Spaß an den Übungen, wie Mangione überzeugt ist. Immerhin führen sie die Kommandos unabhängig von einer Futterbelohnung durch und spielen das Trainingsprogramm auch ganz allein ohne Anleitung durch – zum Spaß eben. Mittlerweile hat sich bereits ein Berliner Zoo Tipps von Mangione geholt, um einen besseren Draht zu den geistig gar nicht so trägen Krokodilen zu bekommen. (Karin Krichmayr, 8.6.2019)