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Niels Högel vor Gericht.

Foto: dpa Pool/Julian Stratenschulte

Es waren emotionale Worte, mit denen sich Sebastian Bührmann, Richter am Landgericht Oldenburg (Niedersachsen) am Donnerstag an den Angeklagten wandte: "Ich kam mir vor wie ein Buchhalter des Todes. Es ist so unfassbar, was Sie getan haben."

Dann verkündete er das Urteil: Lebenslang wegen des Mordes in 85 Fällen. Außerdem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen.

Größte Mordserie in der deutschen Geschichte

De facto ändert sich für den 42-jährigen Niels Högel nichts. Er war bereits im Jahr 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Prozess, der an diesem Donnerstag endete, ging es nicht vorrangig darum, ein Strafmaß zu finden, sondern die größte Mordserie der deutschen Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Diese begann nach den Rekonstruktionen der Ermittler möglicherweise 1999. In diesem Jahr tritt Högel seinen Dienst in der Intensivstation im Krankenhaus Oldenburg an. Mitarbeitern fällt auf, dass deutlich mehr Patienten sterben, wenn Högel Dienst hat, als in seiner Abwesenheit.

Gutes Zeugnis der Klinik

Doch den Hinweisen wird nicht nachgegangen, die Klinik trennt sich von Högel im Jahr 2002 und schreibt ihm ins Zeugnis: "In kritischen Situationen handelte er überlegt und sachlich richtig."

Schließlich war Högel immer mit vollem Einsatz dabei gewesen, wenn Patienten reanimiert werden mussten. Heute geht man davon aus, dass Högel in Oldenburg 30 Menschen tötete, indem er ihnen Medikamente spritzte.

2002 wechselt er ans Klinikum Delmenhorst (Niedersachsen), wo er zunächst weitermacht, jedoch 2005 von einer Schwester erwischt wird, wie er einem Patienten unerlaubt das Herzmittel Gilurytmal verabreicht. Für diesen Mord wird er zu siebeneinhalb Jahren verurteilt. Doch es gibt keine weiteren Ermittlungen, niemand ahnt, dass Högel der schlimmste Serienmörder der deutschen Gesichte ist.

Soko "Kardio"

Die Dimension seiner Verbrechen beginnt erst klar zu werden, als sich 2008 eine Frau an die Staatsanwaltschaft wendet und auf der Exhumierung ihrer Mutter beharrt, weil diese unter Högels Aufsicht verstorben war. Danach werden immer mehr Fälle offensichtlich. Bis zum Jahr 2017 werden von der Soko "Kardio"134 Leichen exhumiert.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet schließlich Mord in 100 Fällen, der Prozess begann im Oktober 2018. Högel hat 43 Morde zugegeben, Gutachter kamen zu dem Schluss, er habe die Notfälle aus einem starken Geltungsbedürfnis heraus herbeigeführt, um zu zeigen, wie gut er bei der Reanimation sei. Reue oder Schuldgefühle gab es keine.

Am letzten Tag vor dem Urteil las Högel eine Entschuldigung für die Angehörigen seiner Opfer, die zwischen 24 und 96 Jahre alt waren, vom Blatt ab. Und er sagte: "Ich appelliere an Sie, nicht das Vertrauen in die Arbeit von Ärzten, Schwestern und Pflegern zu verlieren, die jeden Tag alles tun, um Ihnen zu helfen." (Birgit Baumann aus Berlin, 6.6.2019)