Karoline Edtstadler oder Othmar Karas zählten zu den Favoriten für den österreichischen EU-Kommissarsposten. Doch anstatt bei ihrem Fürsprecher Sebastian Kurz liegt die Auswahl nun bei der neuen Übergangsregierung.

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Ibiza-Gate bringt Bewegung in die europapolitische Personalpolitik Österreichs. Bei der Suche nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten, die oder den Österreich als EU-Kommissionsmitglied vorschlagen könnte, ist Kreativität gefragt, so Europarechtsexperte Stefan Brocza im Gastkommentar.

Noch vor wenigen Wochen schien die europapolitische Personalpolitik Österreichs zementiert. Kanzler Sebastian Kurz ließ stets verlauten, dass die Österreichische Volkspartei ein Vorschlagsrecht für den nächsten EU-Kommissar habe. Der damalige Koalitionspartner FPÖ hat dem willfährig zugestimmt, war es doch Teil des Deals zur Regierungsbildung. Die türkis-blaue Regierung ist Geschichte und so auch die Chancen der bisherigen Favoritin auf den begehrten Posten: Karoline Edtstadler. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker machte jedenfalls schon einmal klar, dass man sich nicht mehr an die Absprache gebunden fühle. Urplötzlich steht damit eine große Personalentscheidung zur Disposition.

Artikel 23c der Bundesverfassung bestimmt, dass die Erstellung des österreichischen Vorschlags für die Ernennung eines Mitglieds der Europäischen Kommission der Bundesregierung obliegt. Vor der Erstellung dieses Vorschlags hat die Bundesregierung dem Nationalrat und dem Bundespräsidenten mitzuteilen, wen sie vorzuschlagen beabsichtigt. Die Bundesregierung hat über die Vorschläge zudem das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates herzustellen.

Derzeit umfasst der Hauptausschuss 24 Mitglieder – acht von der ÖVP, jeweils sieben von SPÖ und FPÖ sowie je einen von Neos und Liste Jetzt. Für eine Mehrheit müssen sich also jeweils zwei der drei großen Parteien einigen. Egal wer wie mit wem stimmt – in Wahlkampfzeiten lässt das unmittelbar Rückschlüsse auf künftige mögliche Koalitionen zu.

Entscheidung drängt

Bevor dies erfolgt, muss aber noch die Regierung jemanden vorschlagen. Die als reine Verwaltungsregierung präsentierte "Expertenregierung" ist also – ob sie nun will oder nicht – gezwungen, eine zutiefst politische Entscheidung zu treffen. Und dies wohl auch früher, als ihr lieb ist. Blickt man auf frühere Nominierungen, muss dies spätestens in der zweiten Julihälfte erfolgen. Davor sollten aber auch noch Konsultationen zur betreffenden Person mit dem künftigen EU-Kommissionspräsidenten erfolgen.

Kurz wollte Edtstadler als Kommissarin, gleichzeitig unterstützte er Manfred Weber von der bayrischen CSU als künftigen Kommissionspräsidenten. Nach dem jüngsten Treffen in Brüssel zeigt sich nun, dass Weber möglicherweise leer ausgeht. Aber auch eine ehemalige Staatssekretärin im Innenministerium eines Herbert Kickl ist auf europäischer Ebene kaum politisch zu verkaufen. Spätestens bei den obligatorischen Hearings im Europaparlament ab Ende September würde sich die Frage stellen, wie und ob sie ihrer "Aufpasserfunktion" im Ministerium jemals nachgekommen ist.

Partei-Hickhack

Es ist also Kreativität gefragt bei der Suche, wen Österreich als Mitglied für die nächste EU-Kommission vorschlagen könnte. Vielleicht finden sich ja ein paar passende Namen, die als "Experten" für die Bundesregierung im Gespräch waren, etwa "Mister Euro" Thomas Wieser. War er doch immerhin von 2012 bis 2018 Vorsitzender der Eurogroup Working Group. Aber auch im diplomatischen Dienst der EU oder in anderen EU-Institutionen finden sich qualifizierte Österreicher. Eine solche Personalauswahl hätte den Vorteil, dass das Hickhack um die parteipolitische Zugehörigkeit der jeweiligen Person in den Hintergrund treten würde und man erstmals über die inhaltliche Qualifikation diskutieren könnte.

Außenseiterchancen rechnet sich aber auch der amtierende Kommissar Johannes Hahn aus. Gegen ihn spricht, dass er bereits zwei Amtsperioden in Brüssel hinter sich hat und eine dritte Periode eigentlich nur in Ausnahmefällen und dann auch nur außergewöhnlichen Persönlichkeiten zugestanden wird. Zudem hat er sich im laufenden Europawahlkampf politisch klar positioniert, und sein bisheriges Ressort "Erweiterung" findet wohl kaum Zustimmung im Lager der FPÖ. Eine politisch kreative Ansage – auch im Hinblick auf eine mögliche künftige Regierungsbeteiligung der Grünen – wäre die Reaktivierung von Ulrike Lunacek, war sie doch immerhin einmal Vizepräsidentin des Europaparlaments.

Keine ÖVP-Erbpacht

All das geht jedoch nur mit einer Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats. Notfalls könnte man zwar zu einem späteren Zeitpunkt "nachnominieren". Damit wäre die Personalentscheidung aufgeschoben und einer späteren Bundesregierung überlassen. Das widerspräche aber dem ausdrücklichen Wunsch, auch in der jetzigen Phase auf europäischer Ebene politisch handlungsfähig zu sein.

Was für einen klaren Vorschlag – wohl mit den Gegenstimmen der ÖVP im Hauptausschuss – spricht, wäre die einmalige Chance, erstmals seit dem Beitritt zur EU jemanden für die Kommission zu nominieren, der nicht Parteigänger der ÖVP ist. Dies wäre ein klares Zeichen für das Funktionieren der Demokratie in Österreich. Denn zur Demokratie gehört auch, dass es keine Erbpacht auf bestimmte Posten gibt. (Stefan Brocza, 6.6.2019)