Eva Schmidt: "Sie fühlte sich, als würde sie nirgends dazugehören", heißt es am Anfang des Romans "Die untalentierte Lügnerin".

Foto: Lisa Mathis

Mit ihrem 2016 erschienenen Roman Ein langes Leben hat sich die Vorarlbergerin Eva Schmidt nach 20-jähriger Absenz regelrecht in den Literaturbetrieb zurückgeschrieben, das Buch erntete viel Kritikerlob und landete auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis.

Allgemein wurde bewundert, wie die Autorin in Einzelepisoden das Alltagsleben von Randfiguren zueinander in Verbindung setzte. Ihr neuer Roman Die untalentierte Lügnerin, der wieder Bregenz zum Schauplatz hat, ist eine viel kompaktere, überschaubare Geschichte, in der sich alles um das Konfliktfeld Familie dreht, immerhin eines der ergiebigsten Themen in der Literatur, zugleich aber auch die Geschichte einer Generation, der die Perspektiven fehlen.

Eva Schmidt lässt es ihre Heldin dennoch versuchen, in ein neues Leben aufzubrechen. Mit neunzehn ist Maren zum ersten Mal ausgezogen, aber das Schauspielstudium in München überfordert sie, Essstörungen, eine Psychotherapie ... Schließlich bleibt ihr nichts anderes übrig, als in den Schoß der Familie zurückzukehren, wohin sie eigentlich nicht mehr wollte und wo sie bald begreift, dass die familiäre Ordnung auf Lügen aufgebaut ist.

Problematische Beziehungen

Diesmal versucht es die junge Frau nicht mit hochfliegenden Plänen, sie bewirbt sich als Aufseherin im Kunstmuseum und bezieht eine Firmenwohnung des Stiefvaters mit Blick auf den See. Nach und nach versucht sie, Selbstständigkeit zu gewinnen und ihr Leben neu zu ordnen, und das heißt, aus dem Lügengeflecht auszubrechen, das die Familie zusammenhält.

Damit muss aber auch sie aufhören, sich selbst zu belügen. Denn dass sie wirklich dafür kein Talent hat, muss man zumindest am Anfang bezweifeln, erst recht, ob ihr ein neuer Lebensentwurf auch gelingen oder ob sie nicht doch in alte Muster zurückfallen wird. "Sie fühlte sich, als würde sie nirgends dazugehören", heißt es am Anfang, und bald wird klar, dass alle ihre Beziehungen problematisch sind.

Zum leiblichen Vater besteht so gut wie kein Kontakt, das Verhältnis zur Mutter war immer schon angespannt, mit dem Stiefvater, der sich allzu bemüht zeigt, verbindet sie eher Distanz. Wirklich gut versteht sie sich nur mit den Brüdern, aber die sind weit weg. Die Beziehung mit dem Ex-Freund zu reaktivieren ist auch kein vernünftiger Weg, und am Ende wird auch das Verhältnis zur besten Freundin belastet.

Aber da hat Maren ohnehin schon die privaten und beruflichen Brücken abgebrochen und versucht als Assistentin eines Fotografen, mit dem sie bald das Haus, aber nicht das Bett teilt, einen Neuanfang. Umso merkwürdiger entwickelt sich diese Beziehung, umso überraschender gestaltet sich das Ende.

Subkutane Konflikte

Das geschieht auch nicht zufällig. Mit Fortdauer der Erzählung rücken die Personen immer weiter zurück. Oder Maren rückt von ihnen ab, weil das vielleicht ihre Chance ist. "Oft wünschte sie sich die Menschen weg", heißt es einmal, da hat sie längst begriffen, dass sich die Familie bereits aufgelöst hat.

Aber das geschieht langsam, unauffällig. Überhaupt finden die großen, heftigen Auseinandersetzungen bei Eva Schmidt nicht statt, bei ihr geschieht alles viel subtiler, die Konflikte sind subkutan und brechen erst verzögert auf.

So leise, wie der Alltag aus den Fugen gerät, dass man es kaum merkt, wächst auch eine Lösungsmöglichkeit heran. Irgendwann erfährt man, dass Maren ihre eigene Geschichte aufzuschreiben und zu verarbeiten sucht. Auch das geschieht heimlich, die Aufzeichnungen werden sogar versteckt, damit niemand anderer sie lesen kann.

Genau dieses Unauffällige beeindruckt, ebenso die klare, unprätentiöse Sprache. Eva Schmidt ist eine Autorin mit großem Sensorium für die Psychologie des Alltäglichen. Sie beherrscht, was nur wenigen gelingt: den Stoff für unaufdringliche Bücher so überzeugend zu gestalten, dass sie umso bedeutsamer werden. (Gerhard Zeillinger, 8.6.2019)