ABC-Direktor Craig McMurtrie bezeichnet die Razzien als "sehr unangenehm" – eine Untertreibung.

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Der Vizechef der australischen Bundespolizei, Neil Gaughan, meinte während einer Pressekonferenz, die Razzien in der Wohnung der Journalistin Annika Smethurst in Canberra und den Büros des Fernsehsenders ABC in Sydney diese Woche seien rechtmäßig gewesen – denn die Sicherstellung von Dokumenten zu ihren Recherchen über mutmaßliche Verbrechen australischer Soldaten in Afghanistan liege im Interesse der "nationalen Sicherheit".

Auf die Frage eines Reporters, ob die zuständigen politischen Stellen im Voraus informiert worden seien, antwortete Gaughan vage: Während er persönlich die zuständigen Minister nicht informiert habe, könne er nicht ausschließen, dass die Fahnder nicht doch in Kontakt mit den entsprechenden Ministern gewesen seien. Gaughan versicherte aber, dass seine Beamten den Gesetzen folgen würden. "Wenn diese nicht gut sind, muss das Parlament sie ändern", so der Polizeichef.

Australische Medien hatten der konservativen Regierung vorgeworfen, mit den Razzien die Freiheit der Presse zu unterwandern. Bisher gibt es allerdings keinen Beweis dafür, dass die Regierung hinter der Aktion stand. Premierminister Scott Morrison wies entsprechende Vorwürfe zurück. Auch Innenminister Peter Dutton will von den Zugriffen nichts gewusst haben.

Dokumente zu Afghanistan

Beamte der Bundespolizei hatten am Dienstag mit einem Durchsuchungsbeschluss in der Hand die Büros des öffentlich-rechtlichen TV-Senders ABC betreten und nach Dokumenten gesucht. Der Sender berichtete 2017 aufgrund von zugespielten, vertraulichen Informationen darüber, wie australische Elitesoldaten in Afghanistan mutmaßlich Zivilisten getötet hatten, unter ihnen auch Kinder. Zuvor hatte ein Polizeiteam die Wohnung der Journalistin Smethurst durchsucht. Die Reporterin hatte im vergangenen Jahr mehrere als geheim klassifizierte Papiere zu einem Plan veröffentlicht, dem Geheimdienst die Abhörung australischer Staatsbürger zu ermöglichen.

Die Razzien führten in den Medien und unter Kommentatoren zu einem kollektiven Aufschrei der Empörung. Die Rechtsdozentin Rebecca Ananian-Welsh von der Uni Queensland sprach von einer "klaren Gefahr für die Demokratie". Der Chef des Journalistenverbandes, Marcus Strom, sieht einen Versuch, die "Journalisten einzuschüchtern, weil sie die Erzähler von Wahrheiten sind". Reporter ohne Grenzen verglich die Szene von sechs Polizisten im Büro von ABC mit der Situation in einem autoritären Staat.

"Nationale Sicherheit"

Der Medienwissenschafter Peter Greste, der 2013 als Journalist für den Fernsehsender Al Jazeera in Ägypten verhaftet worden war und über ein Jahr im Gefängnis saß, wollte "die Situation im diktatorischen Ägypten und im demokratischen Australien" nicht vergleichen; in beiden Fällen sei aber eine vermeintliche Verletzung der "nationalen Sicherheit" als Grund angegeben worden.

Greste fordert den Schutz von Journalisten in Fällen, wo Reportern geheimes oder vertrauliches Material zugespielt wird. Denn es sei in Australien verboten, klassifizierte (also geheime) Informationen, die Journalisten von einem Beamten überreicht worden sind, "zu kommunizieren".

Das entsprechende Gesetz ist eines von vielen, die laut Kritikern in den vergangenen Jahren die Arbeit von Journalisten erschwert haben. Ananian-Welsh weist auf ein "immer weiter wachsendes Feld von Sicherheitsgesetzen" hin. Ob Antispionage, Antiterror- oder Datensicherheitsgesetze: Die meisten wurden in den letzten Jahren eingeführt – ohne maßgeblichen Widerstand vonseiten der Opposition. Im Dezember verabschiedete das Parlament neue Gesetze zur Überwachung des elek tronischen Datenverkehrs.

Lange Haftstrafen drohen

Auch die Geheimhaltungs gesetze wurden verschärft. Beamten, die klassifiziertes Material weitergeben, drohen lange Haftstrafen. Kritiker meinen, die harten Strafen erlaubten der Regierung, Kritik an Missständen zu unterbinden. So müssen Mitarbeiter, die Informationen über die menschenunwürdigen Zustände in australischen Flüchtlings lagern weiterleiten, mit zwei Jahren Haft rechnen.

Laut Greste gibt es "im australischen Recht nichts, das die Pressefreiheit so schützt wie etwa das ‚First Amendment‘ in der US-Verfassung". Journalisten könnten zwar geltend machen, im "Interesse der Öffentlichkeit" gehandelt zu haben – aber erst, wenn ein Fall vor Gericht verhandelt werde. Die von Greste geführte Alliance for Journalist’s Freedom schlägt die Ausarbeitung eines speziell auf Journalisten zugeschnittenen Gesetzes vor. Damit könnten die "fundamentale Wichtigkeit der nationalen Sicherheit" und der Schutz gewisser Aktivitäten des Staates gewährleistet werden, "und dabei Journalisten eine Basis bieten, über das Fehlverhalten des Staates zu berichten". (Urs Wälterlin aus Canberra, 7.6.2019)