Der Esstisch ist ein Ort der Gemeinsamkeit – und der Differenzen.

Foto: Standard

Ein neoliberaler Vater und seine anarchistische Tochter

Eric Frey (55), leitender Redakteur beim STANDARD, und seine Tochter Isabel Frey (24) über ihre innerfamiliären Debatten.

Isabel: Über Politik lernte ich bereits vor meinem ersten Volksschuljahr. Die Diskussionen zu Hause begannen schon beim Frühstück. Die Bösewichte meiner Kindheit hießen nicht Saruman und Voldemort, sondern Haider und Bush. Gerade die österreichische Innenpolitik war damals so spannend wie "Harry Potter". Es war der Wahlkampf 1999, und das Weltbild am Familientisch war klar. Jörg Haider: böse. Viktor Klima: gut. Wolfgang Schüssel: nicht so schlimm, wie andere sagen.

Eric: Journalisten brauchen immer ein Publikum, und gibt es ein besseres als die eigene Tochter, die alles über Politik wissen will – sei es die FPÖ und die schwarz-blaue Regierung oder später 9/11 und der Irakkrieg? Sie hörte zu, sie fragte nach, und ich war mir sicher, dass ich sie überzeugen kann. Als ich erstmals merkte, dass sie ganz andere Meinungen vertritt, war es ein kleiner Schock.

Isabel: Auch in meinen Teenagerjahren bezog ich mein politisches Futter von meinem Vater. Das war liberal und marktwirtschaftlich. Was wir zu Hause besprachen, präsentierte ich in der Schule als meine Meinung. Erst mit der Matura begann die Ablöse. Mein Vater hätte vieles akzeptiert: Heavy Metal, bunte Haare, Kifferfreunde. Aber dass ich mich als Anarchistin outete, ging ihm etwas zu weit. Ich hatte endlich etwas gefunden, womit ich nicht nur die Weltordnung, sondern auch meine bürgerliche Herkunft infrage stellen konnte. Unsere Diskussionen wurden fundamental: Es ging um den Kapitalismus, das Recht auf Eigentum oder nationale Souveränität – und wir drehten uns oft im Kreis.

Eric: Manches, was ich von ihr hörte, fand ich interessant und überzeugend, anderes einfach falsch. Aber wir hatten den Boden der puren Rationalität bereits verlassen. Als ich Tränen in ihren Augen sah, wenn sie über die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft sprach und Menschen wie mir die Mitschuld gab, bekam ich ein wenig Angst. Gleitet sie in eine Radikalität ab, die unsere Beziehung gefährdet? Kommt der Augenblick, an dem wir nicht mehr miteinander reden können?

Isabel: Die Auseinandersetzungen am Esstisch waren nicht immer zivilisiert; manchmal hoben sich die Stimmen, und es flogen die Fetzen. Die Diskussion über das staatliche Gewaltmonopol artete in ein Schreiduell aus: "Was du sagst, ist Faschismus!" "Nein, was DU sagst, ist Faschismus." Sobald das F-Wort gefallen war, drehten wir uns um und gingen auseinander. Es war klar, dass wir so nicht weitermachen können.

Eric: Der schwierigste Augenblick war die Flüchtlingskrise von 2015. Sie warf mir vor, dass meine Kommentare und Blogeinträge im STANDARD, die ich für ausgewogen hielt, menschenverachtend seien. Das ging mir nahe. Aber ich hörte zu und konnte letztlich ihrer radikalen Meinung, dass es gar keine nationalen Grenzen geben sollte, einiges abgewinnen. Es war bloß nicht meine.

Isabel: So heftig manche Diskussionen auch waren, sie gingen letztlich um nichts – und das war gut so. Heute blicke ich zurück und denke mir, wie wichtig es für uns war, dass wir Konflikte ausgetragen haben, ohne unsere Beziehung zu gefährden. Im Gegenteil: Jeder politische Streit, der glimpflich geendet hat, war ein Vertrauensbeweis. Was gibt es für einen besseren Härtetest einer Elternbeziehung als einen neoliberalen Vater und eine anarchistische Tochter?

Eric: Zum Glück gibt es Trump und Netanjahu, zu denen wir meist ähnlich denken. Und auch bei Kurz und Strache liegen wir nicht so weit auseinander. Wenn meine Tochter mir schreibt, dass ihr einer meiner Kommentare gefällt, freut mich das besonders. Ich habe von ihr viel über postkoloniale und feministische Perspektiven gelernt, die ich sonst nicht beachtet hätte. "Was wird sie dazu sagen", denke ich mir beim Schreiben manchmal. Sie ist mein linkes Gewissen.

Egal ob am Esstisch oder auf dem Sofa: Politisieren kann ein Belastungstest sein.
Foto: Standard

Leben und streiten mit der türkisen Ehefrau

Erfahrungen eines Politikverdrossenen (43), protokolliert von Gabriele Scherndl.

Meine Frau ist politisch in der ÖVP aktiv, dementsprechend ist bei uns Politik sehr präsent, fast täglich ein Thema. Ich aber leide momentan an Politikverdrossenheit, ich kann mich mit keiner Partei identifizieren und tue mir schwer mit ihren Inhalten. Also stoßen in der Familie zwei Welten aufeinander: sie, die überzeugte türkis-schwarze Wählerin und Aktivistin, ich das genaue Gegenteil. Sie vertraute blind auf die Inhalte der türkis-blauen Regierung, ich kritisierte die komplett. Darum sagen wir auch immer, wir sind standesamtlich verheiratet und politisch geschieden.

Für mich aber wird das Gespräch brutal, wenn sie den Standpunkt vertritt, sie hätte recht und sie mache es besser, und wenn sie vehement die Linie vertritt, dass ihre Partei die richtige sei. Dann sage ich ihr, sie sei brainwashed. Der nächste Aspekt ist die Koalition mit den Blauen: Aufgrund meiner Herkunft –ich komme aus Damaskus – werde ich mich niemals mit einer blauen Regierung identifizieren. Sie mag die FPÖ zwar nicht, toleriert sie aber. Für mich gibt’s da keine Toleranz.

Seit ich sie kenne, ist sie politisch aktiv. In meinen vorherigen Beziehungen habe ich das Thema Politik immer ausgeklammert, vielleicht auch wegen meiner Herkunft. Früher war es zu Hause verboten, über Politik zu sprechen, weil es die Gefahr birgt, dass du verhaftet wirst.

Natürlich diskutieren meine Frau und ich aber auch über einzelne Themen und Standpunkte, ich bin etwa für das Einkommen für alle, unabhängig von der Leistung, und sie – eben aus dem traditionellen Lager – sagt: "Wer nicht arbeitet, darf kein Geld verdienen." Sie ist da eher der emotionale Typ, ich der Analytiker, aber wir versuchen eben, einzelne Standpunkte noch einmal zu klären, aufeinander zuzukommen und das zu besprechen.

Es gibt Punkte, wo wir uns wiederfinden. Aber da ist natürlich massiver Erklärungsbedarf erforderlich. Ich erkläre ihr wirklich Schritt für Schritt, dass eine Maßnahme nicht zielführend ist. Zum Beispiel hatten wir eine Diskussion über die eineinhalb Euro vom Kickl – da hat sie’s schon verstanden, als ich gesagt habe: "Überleg mal, wie sollst du dich ohne Wut, ohne Hass in eine Gesellschaft integrieren und eine Leistung erbringen mit Engagement und Innovation, wenn deine Leistung nicht honoriert wird und du immer ein Mensch zehnter Klasse bleiben wirst?"

Da kommen wir uns dann nahe, das sind die Argumente, mit denen sie leben kann: Wenn man die Themen herunterbricht und verständlich macht, dann ist die Empathie viel größer.

Jeder hat Recht – das ist oft das Problem bei Diskussionen innerhalb der Familie.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Drei Generationen schauen "Zeit im Bild"

Karin Pollack leitet das Gesundheitsressort des STANDARD.

Regierungskrisen sind ein bisschen so wie gemeinsam "House of Cards" schauen. Jede "Zeit im Bild" eine neue Folge. Und schon lange war es nicht mehr so, dass die ganze Familie schon ab Mittag vor dem Fernseher versammelt war. Ibiza-Video, Strache-Rücktritt, Kurz-Rede. Meine Eltern, mein Sohn und ich: drei Generationen, gebannt. Aber dann kurz auch die Europa-Wahl. "Unsere Edtstadler", sagte mein Vater, ein überzeugter Salzburger. "Aber es geht um Europa, da geht es ums große Ganze und nicht darum, dass sie Salzburgerin ist", sagte mein Sohn und merkte an, dass wenn sich niemand um die Klimakatastrophe kümmere, sowieso alles umsonst sei. "Opa, du fährst doch auch auf der Autobahn deshalb nur mehr 100 km/h?", fragte er. Die Antwort: "Wenn die Konzerne nicht mitmachen, wird das alles nichts mit dem Umweltschutz." Zwischen den "ZiB"-Sondersendungen dann also Streit. Eher unüblich in meiner Familie. "Wie kannst du?", der Junge. "Du wirst schon noch sehen, glaub mir, es geht um Kapital, das ist meine Erfahrung."

Da lag plötzlich alles auf dem Sofatisch. Salzburg versus Wien. Alt gegen Jung. Angst gegen Erfahrung. Rechts gegen links, die "Salzburger Nachrichten" gegen den STANDARD: viel Stoff und viel Kontroverse. "Aber gut, dass wir diskutieren, so soll es in der Demokratie schließlich sein", sagte meine Mutter. Sie sei unpolitisch, betont sie immer wieder. Was noch half: Ihr Satz kam zum rechten Zeitpunkt, denn gerade startete eine neue Folge der "ZiB". Wirklich erholt haben wir uns noch nicht vom politischen Auseinanderdriften. Aber vielleicht schauen wir alle einfach zu viel fern. Könnte schon sein, dass es aggressiv macht. Meine Mutter findet: "Kurz sieht gut aus."

Bild nicht mehr verfügbar.

Tipp vier für produktives Streiten: öfter einmal eine Pause machen.
Foto: AP

Der Schwager als Brexit-Befürworter

Gedanken von Rolf (70), protokolliert von Vanessa Gaigg.

Mein Schwager lebt mit seiner Familie in Großbritannien, ich lebe mit meiner Frau in Österreich. Ich bin gegen den Brexit. Mein Schwager hat dafür gestimmt.

Wir versuchen beide nicht, uns gegenseitig zu überzeugen, weil wir wissen, dass wir inhaltlich ganz andere Ansichten haben. Natürlich habe ich auch schon probiert, ihn herauszulocken, habe ihm zum Beispiel gesagt, dass er einer der typischen Brexiteers ist: männlich, weiß, über 65. Aber mit denen kannst du nicht mehr diskutieren, weil sie so festgefahren sind. Er ist der Meinung, dass das Volk gewählt, die Politik aber immer noch nicht geliefert hat.

Uns ist Zusammenhalt in der Familie sehr wichtig. Wichtiger, als den anderen davon zu überzeugen, dass er die falsche Position hat. Es ist keine heile Welt, aber es ist trotzdem so viel Respekt da, dass wir den anderen als Person akzeptieren. Die Differenzen sind auch nicht erst im Zuge des Brexits entstanden. Ich habe immer schon gewusst, dass mein Schwager ein Konservativer ist. Und das bin ich nicht. Er ist einfach so sozialisiert worden und auch in seinem Umfeld geblieben. Zentral ist auch das Thema Migration und das Gefühl vom Verlust der eigenen Identität.

Die Meinungsverschiedenheit nehme ich nicht persönlich, auch wenn ich es nicht kapiere, weil es schlussendlich ihnen selbst schadet. Das Problem ist, dass dort niemand eine vernünftige Pro-Europa-Kampagne fährt. Ihnen ist eingeredet worden, dass sie die Kontrolle über ihr Land verlieren und dass es in Brüssel keine Demokratie gibt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns als Familie wegen so etwas zerstreiten würden. Auch wenn es ordentlicher Konfliktstoff ist. Wir versuchen aber immer, schlussendlich etwas Gemeinsames zu finden. Ich würde nicht riskieren wollen, dass ein Spalt zwischen uns entsteht.