Die SPÖ bei ihrer 1.-Mai-Feier in Wien 2019.

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In der österreichischen Sozialdemokratie herrscht Anarchie. Es wird offen gelästert und alles ausgeplaudert, interne E-Mails gehen postwendend an Journalisten, kein Genosse traut dem anderen – womöglich zu Recht. Der chaotische Zustand ist der Verbitterung über die eigene Oppositionsrolle, sinkenden Umfragewerten und einer nicht abstreitbaren Führungsschwäche geschuldet.

Das Problem der SPÖ heißt dennoch ganz sicher nicht Pamela Rendi-Wagner. Es wird jetzt, inmitten der Krise der Partei, in der die erste weibliche Vorsitzende sie übernommen hat, lediglich sichtbarer.

Der tiefliegende Grund für das stete Scheitern der Sozialdemokratie ist aber wesentlich komplexer als Obfraudebatten: Die SPÖ ist als Großpartei implodiert. Und das schon vor längerer Zeit. Was sich geändert hat, ist einzig, dass die verstreuten Teile der Sozialdemokratie nun nicht mehr zusammengehalten werden.

Linke Elite und Hackler

Zur Volkspartei stieg die SPÖ auf, indem sie eine Klammer von der Pensionistin und dem Künstlerehepaar bis über die Arbeiterklasse spannen konnte. Doch diese Gruppen lassen sich heute unter einer Dachmarke nicht mehr vertreten. Das ist nicht die Schuld der SPÖ; ihre Anhänger haben einfach diametral unterschiedliche Zugänge zur Politik und dem Leben in Österreich entwickelt – egal ob es um Flüchtlinge, Gendern, Kopftücher oder die Arbeitswelt geht. Wer die linke Elite politisch befriedigen möchte, stößt den Hackler vor den Kopf – und umgekehrt.

Bestes Beispiel ist die Frage, ob Österreich ausländische Arbeiter ins Land holen soll, um offene Stellen zu besetzen. Als ÖVP und FPÖ das möglich machten, wetterte der damalige rote Bundesgeschäftsführer, dass durch die Regierungspläne 150.000 Zuwanderer ins Land geholt würden. Mehr hatte es nicht gebraucht. Die SPÖ geriere sich rechter als die FPÖ, hieß es von linker Seite. Dabei hat sie nicht mehr getan, als die Interessen ihrer früheren Stammwähler zu vertreten: jene der österreichischen Arbeitnehmer, für die es natürlich besser wäre, die Unternehmer bildeten die heimischen Hackler aus und bezahlten sie dann anständig, anstatt billige Fachkräfte zu importieren.

Spaltung als ehrlicher Weg

In den wesentlichen politischen Fragen kann es die SPÖ den urbanen Linken und der pragmatischeren Arbeiterschicht nicht gleichzeitig recht machen – und das wird sich auch nicht mehr ändern. Hinzu kommt, dass eine regional differenzierte Politik durch soziale Medien nicht mehr möglich ist. Jeder kann auf Facebook nachlesen, was die SPÖ Langenzersdorf plant. Dazu müssen dann auch alle Sozialdemokraten stehen können.

Was man daraus schließen muss? Will die SPÖ wieder ein Profil entwickeln, könnte sie eine der beiden Gruppen aufgeben und den politischen Gegnern überlassen. Der andere ehrliche Weg wäre eine Spaltung. Denkbar ist eine gewerkschaftlich organisierte Partei, die Interessen von Arbeitern und Arbeitnehmerinnen vertritt und all jene früheren Wähler zurückholt, die inzwischen bei der FPÖ oder der neuen Volkspartei gelandet sind. Der urbane linke Flügel könnte sich in einer Bewegung zusammenschließen, die Studenten, Künstler und Bourgeoisie anspricht und auch Grün- und Neos-Wähler gewinnt.

Passieren wird freilich beides nicht. Die SPÖ wird weiterwurschteln – und auf Erlösung durch einen starken Vorsitzenden warten, der zumindest wieder alle zum Schweigen bringt. (Katharina Mittelstaedt, 11.6.2019)