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Boris Johnson will die Nachfolge von Theresa May antreten.

Foto: REUTERS/Hannah McKay

Der Startschuss ist gefallen: Zehn Frauen und Männer haben Anspruch auf die Nachfolge Theresa Mays als Chefin der britischen Konservativen und damit automatisch auch als Premierministerin erhoben. Dazu mussten sie bis zum späten Montagnachmittag die Hürde von mindestens sieben Unterstützern in der eigenen Fraktion meistern. Als klarer Favorit geht der Brexit-Vormann und frühere Außenminister Boris Johnson ins Rennen, gefolgt von den Kabinettsmitgliedern Jeremy Hunt, Michael Gove und Matthew Hancock.

Den Parteistatuten zufolge steht am Donnerstag der erste geheime Wahlgang in der Fraktion an. Das Schlusslicht dieser Abstimmung fällt auf jeden Fall aus dem Rennen; erfahrungsgemäß ziehen aber auch andere schlecht platzierte Kandidaten ihre Namen zurück und schließen sich aussichtsreicheren Bewerbern an. Kommende Woche müssen die 313 Tory-Abgeordneten so häufig abstimmen, bis spätestens am 20. Juni nur noch zwei Bewerber übrig bleiben. Dieses Duo stellt sich der Urwahl durch rund 160.000 Parteimitglieder. Am 22. Juli will May die Amtsgeschäfte an den Nachfolger übergeben.

Öffentliche Vorstellung

Den Montag nutzten eine Reihe der Bewerberinnen und Bewerber zur öffentlichen Vorstellung. Besonders gespannt war das politische London auf Umweltminister Michael Gove. Die bevorstehende Veröffentlichung eines neuen Buches hatte den früheren Ressortchef für Bildung und Justiz am Wochenende zum Bekenntnis gezwungen, er habe in seiner Zeit als Times-Leitartikler vor 20 Jahren Kokain konsumiert. "Ich bedauere das zutiefst. Es war ein Fehler."

Großbritannien setzt auf harte Strafverfolgung und soziale Ächtung gegen Drogenhändler und -Konsumenten. Gove hätte mit einer Gefängnisstrafe auf Bewährung rechnen müssen, wenn ihn die Polizei mit einer kleinen Menge harter Drogen für den Eigenbedarf erwischt hätte. Junge Lehrerinnen erwartet in einem solchen Fall ein mehrere Jahre dauerndes Berufsverbot.

Seine Bewerbungsrede unter der Überschrift "Zur Führung bereit" spickte Gove mit Spitzen gegen Johnson, mit dem er 2016 die Brexit-Kampagne angeführt hatte. Er kümmere sich um Details und verstecke sich nicht im Bunker, sagte Gove und setzte sich damit in Gegensatz zur Weigerung des als notorisch nachlässig bekannten Außenministers, sich dem Medien-Kreuzverhör zu stellen. Wie vergiftet die Atmosphäre zwischen den einstigen Brexit-Vorleuten mittlerweile ist, verdeutlichte der Minister mit einer Anspielung auf den Bewerberkampf 2016. Damals hatte Johnson seine Kandidatur beendet, nachdem sein zeitweiliger Unterstützer Gove ihm öffentlich die Befähigung zum höchsten Regierungsamt abgesprochen hatte. "Was auch immer Sie tun, Herr Johnson, ziehen Sie nicht zurück", spottete der Kandidat.

Stewart "entsetzt"

Entwicklungshilfeminister Rory Stewart zeigte sich "entsetzt" über Johnsons am Montag veröffentlichten Plan, den Einkommensteuersatz für Besserverdienende mit einem Jahreseinkommen zwischen 50.000 und 80.000 Pfund zu senken. Nach Expertenschätzungen würden der Staatskasse dadurch jährlich bis zu 11,2 Milliarden Euro entgehen. Auf Johnsons Wort sei kein Verlass, hat Stewart schon früher gesagt.

Ebenso gegen den Favoriten positionierte sich dessen Nachfolger im Außenamt. Er setze auf "Erfahrung statt Rhetorik", sagte Jeremy Hunt, 52. Zu den Unterstützern des Admiralssohnes zählen die Kabinettskolleginnen Amber Rudd (Soziales) und Penelope Mordaunt (Verteidigung). Damit vereinigt der frühere Kultur- und Gesundheitsminister zwei wichtige Flügel der Partei in der alles entscheidenden Brexit-Debatte hinter sich. Rudd sprach im Referendumskampf für den EU-Verbleib, Mordaunt plädierte für den Austritt. Hunt selbst will den Brexit vor dem nächsten Termin am 31. Oktober mit Neuverhandlungen bewältigen. "Ohne Brexit wird es keine konservative Regierung geben, womöglich nicht einmal mehr eine konservative Partei."

Die Furcht teilen viele Torys, ziehen daraus aber unterschiedliche Schlüsse. Die neue Brexit-Party des Populisten Nigel Farage erreichte bei der Europawahl vergangenen Monat 31,6 Prozent mit der Forderung nach dem chaotischen Austritt ohne Vereinbarung ("No Deal"), die Konservativen (9,2) belegten Platz Fünf.

Zwangsferien fürs Parlament

Brexit-Ultras wie der kurzzeitige Brexit-Minister Dominic Raab und die frühere Sozialministerin Esther McVey tanzen nun nach Farages Pfeife: Ende Oktober soll um jeden Preis der "No Deal" erfolgen, notfalls müsse dafür das Unterhaus in Zwangsferien, die sogenannte Prorogation, geschickt werden. Ebenfalls vom No Deal spricht Johnson; in Neuverhandlungen mit Brüssel werde er die Zahlung der im Austrittsvertrag festgelegten mindestens 39 Milliarden Euro verweigern. Schließlich gehe es um "unser Geld", sagte der 54-Jährige der "Sunday Times".

Das sehen Juristen beider Seiten differenzierter. In der Summe sind langfristige Verpflichtungen enthalten, die Großbritannien als EU-Mitglied gemeinsam mit den 27 Partnern eingegangen ist. Dazu zählen auch Pensionszahlungen an jene Untertanen Ihrer Majestät, die als EU-Beamte arbeiten. (Sebastian Borger, 10.6.2019)