Wie er das mit der "Dedication" hinkriegen könne, fragte Sebastian dann via Social Media. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich kenne ihn aus einem früheren Leben. Aus wilden Party- und Ausgehzeiten, die ich – und so, wie er klingt, wohl auch er – schon vor Jahren mit dem Vermerk "Es war. Es war gut. Es ist vorbei. Und es ist gut, dass es vorbei ist" abgelegt habe.

Er, schrieb Sebastian, frage sich, wie das mit der Hingabe und der Leidenschaft denn funktionieren könne: Er würde nicht nur gerne, sondern müsse "langsam etwas tun". Denn da seien 25 Kilo mehr als früher auf seinen Rippen. Er fühle sich ganz und gar nicht wohl in seinem Körper. Bewege sich kaum. Aber wenn er sehe, was mein Umfeld und manchmal ich auf die Straße brächten, frage er sich zum einen, wie wir unsere Ärsche so konsequent hochbekämen. Und zum anderen, wie er auch dorthin kommen und dann mithalten könne.

Thomas Rottenberg

Sebastian hatte da auf einen Morgenlauf reagiert. Ich hatte auf SoMe geschrieben, dass die Firmenputzbrigade mich ein bisserl seltsam anschaue, wenn ich um sieben in der Fabrik einreite, meinen Rucksack mit Tageszeug abwerfe und dann laufen gehe: Das Office liegt am Donaukanal. Es gibt, wie arbeitsrechtlich angeblich vorgesehen, auch eine Dusche. Ich bin seit Jahren der Einzige, der sie benutzt.

Die Kollegen und Kolleginnen haben zunächst komisch geschaut. Mittlerweile haben sie sich dran gewöhnt und reagieren seither wie Sebastian: "Wir hätten auch gern diesen Willen." Ich frage dann das, was ich Sebastian auch fragte: Wollt ihr denn überhaupt? Meistens kommt dann "Ich weiß, dass ich wollen sollte" oder "Na ja, ich würde halt gerne wollen". Nachfrage: Und was willst du wollen? "Wenn ich das wüsste. Laufen vielleicht? Das tun doch jetzt alle." Sorry, aber genau da hakt es: nicht an der gewählten Aktivität, sondern am Fragezeichen. Und an "alle" als Grund.

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Aber auch an den Rahmenbedingungen. Und damit meine ich nicht nur die von Sebastian erwähnten 25 Kilo, die da in 25 Jahren – falls er tatsächlich der Sebastian von früher ist – dazugekommen sind. Das ist nur eine, wenn auch blöde, der Gesundheit nicht zuträgliche Zahl.

Auch das Inaktivsein bekommt man hin, wenn man will. Obwohl das zweite newtonsche Gesetz (sinngemäß: "Jeder Körper ist bestrebt, seinen augenblicklichen Bewegungszustand beizubehalten") ja gerade beim Extremcouching gilt: Nichts ist schwieriger, als den eigenen Hintern hochzukriegen, wenn man einmal sitzt.

Aber da ist noch etwas. Sebastian schrieb, er sei Familienvater. Und da klang viel Freude und Hingabe zwischen den Zeilen durch. Das ist großartig. Das ist das Wichtigste, was es gibt. Aber für das von ihm angesprochene "Hinkommen und Mithalten", also für zwölf bis 16 Stunden Sport pro Woche, regelmäßige Frühläufe, mehrstündige Koppeleinheiten an jedem freien Tag und auch – so wie hier im Bild vergangenen Sonntag – ganz bewusst und gerade in der größten Hitze, ist "Familienvater" (und natürlich auch Mutter) halt ein echtes Hindernis. Zeitlich sowieso. Aber hoffentlich auch, was die Prioritäten betrifft. Das ist nicht schlecht. Ganz und gar nicht: Laufen, Sport ist fein. Aber nicht mehr.

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Doch das Gras sieht auf der anderen Seite des Zauns immer grüner aus. Sebastian will etwas tun. Das ist gut. Er sieht Menschen, die etwas tun und dafür brennen. Das ist auch gut – denn es kann motivieren. Doch dann tappt er in eine gefährliche Falle: Er sieht nur die Intensität und die – scheinbare – Leichtigkeit, mit der Hardcore-Aktivitäten anderen von der Hand oder dem Fuß gehen.

Und sagt: "Will auch!" Denn was er sieht, beeindruckt ihn. Begeistert, schüchtert ihn aber gleichzeitig auch ein. Und macht ihm ein schlechtes Gewissen: "Man sollte doch wollen." Doch vor lauter Nachdenken über "Man sollte"-Vorgaben vergisst man oft zweierlei: "Bin ich 'man'?" Und: "Was will ich wirklich?"

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Genau das habe ich Sebastian dann auch geschrieben: ob es Laufen sein müsse? "Weiß ich eigentlich gar nicht. Aber alle tun es. Würdest du es mir empfehlen? Mit Coach? Oder kannst du mir sagen, was ich wie tun soll?" Ich winkte ab: Nur weil alle etwas tun ... Aber das hatten wir schon. Versuchen könne aber nicht schaden. Und vielleicht ja sogar in einer Gruppe.

Oder, falls das anspornt, mit dem Ziel eines kleinen Wettkampfs. Niederschwellig. Ohne jeden Ergebnis- oder Leistungsdruck. Charityläufe wie Christof Vetchys Vienna Charity Run (VCR) etwa eignen sich dafür hervorragend: Ganz untrainiert sollte man zwar nicht hin, aber im Türkenschanzpark ohne Zeitnehmung und "echten" Wettkampfdruck Spenden in Form von Runden zu sammeln ist sogar ein familienkompatibler Einstieg. Der Vienna Charity Run ist am 15. September. Man kann starten, pausieren und aufhören, wann immer man will. Eine Runde ist 1,5 Kilometer lang. Und bis Mitte September ist genügend Zeit, einmal grundsätzlich auszuprobieren, ob Laufen überhaupt Spaß macht.

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Dass der VCR hier vorkommt, hat beinahe einen Grund. Vergangenen Mittwoch war der Internationale Tag des Laufens. Da luden Vetchy (Mitte) und sein Team Freunde und Bekannte zum Testimonial-Shooting in den Türkenschanzpark.

Das Feine an solchen Terminen – wie an den Events auch – ist dann die Niederschwelligkeit. Letztes Jahr lief, neben anderen Spitzenläufern, der österreichische Olympiastarter und (unter anderem) 10k-Staatsmeister Andreas Vojta (links) nicht nur mit, sondern feuerte nach seinen Runden andere Läufer noch stundenlang an. Und auch Österreichs schnellster Marathonläufer, Lemawork Ketema (rechts), ließ sich nicht zweimal bitten, heuer zum PR-Fotoshooting zu kommen: Gerade Spitzensportler wissen, wie wichtig es ist, jene mitzunehmen, die nie auch nur annähernd in ihre Leistungsbereiche vorstoßen werden.

Aber: na und? Es geht ja ums Brennen. Darum zu zeigen, dass jede Bewegung zählt – und die einzig relevanten Benchmarks im Herzen und im Kopf sind. Ich habe noch keinen Spitzensportler erlebt, der die Leistung eines Amateurs, Anfängers oder Wiedereinsteigers kleingemacht oder auch nur relativiert hätte. Ganz im Gegenteil. Sich-über-andere-Stellen erlebe ich nur bei Leuten, die selbst mittelgut sind. Wenn überhaupt.

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Den internationalen Tag des Laufens nutzten aber auch andere, um ihre Community als Mitlaufgruppe in den Fokus zu stellen: Brooks etwa kam mit seiner "Run Happy"-Tour für zwei Tage nach Wien. Von "Happy Yoga" über Boys- und Girls-Runs bis zu Abendläufen mit bunten Lichtern war da etliches auf dem Programm. (Ich war "leider" mit meinem Trainingspensum mehr als eingedeckt.)

Gleichzeitig bat Adidas zum "Run for the Oceans" zugunsten der Anti-Plastikmüll-NGO Parley. Dass hier die unendlich jungen, unendlich gutaussehenden und unendlich selbstbewussten "Adidas-Runners" groß und bestens choreografiert auftraten, überraschte nicht. "Ich habe noch nie so viele Selfies beim Start eines Laufes gesehen", lachte mein Freund Daniel, der da mitlief. Dass solche Events Unternehmens-PR sind, ist klar. Dass ein paar Recycling-Kollektionslinien, (Millionen-)Spenden an NGOs und Versuche, den verwendeten Neuplastikanteil in den nächsten Jahren auf null zu senken, den Planeten nicht retten werden, auch. Aber wenn ein "Großer" sich bewegt, tun das auch die anderen: Asics etwa präsentierte unlängst den eigenen Nachhaltigkeitsbericht, in dem fette CO2-Reduktionsziele festgelegt sind. Und das offizielle Frauenlauf-Teilnehmerinnenshirt wurde heuer aus recycelten PET-Flaschen hergestellt. Kleine Schritte? Ja. Aber Schritte.

©Daniel Harari

Ob ich Sebastian die Adidas-Runners (Badeschiff) oder die Asics-Laufgruppen (im Flagshipstore auf der Mariahilfer Straße) empfehlen würde? Hinschauen und ausprobieren zahlt sich aus. Obwohl Sebastians spezielles Setting (25 Kilo in 25 Jahren Nichtstun) gerade bei den eher auf junges, schickes Publikum ausgerichteten Communitys vielleicht nicht ideal ist. Weggeschickt wird aber keiner. Nirgendwo.

Außerdem ist die Liste der Laufgruppen und Lauftreffs in Wien lang. Zu lang und umfangreich, um hier nur annähernd einen Komplettüberblick bieten zu können. Das Gleiche gilt für die Bundesländer – da habe ich noch weniger Ahnung und Überblick.

Einfach fragen (in Shops, in sozialen Netzen oder im wirklichen Leben vorbeilaufende Gruppen) funktioniert aber gut.

Oder man geht einfach laufen, wann und wie und wo einem danach ist. Wirklich viel falsch machen kann man da nämlich nicht: Weniger bringt am Anfang mehr – und wenn man mal "angefixt" ist, kommt man ohnehin rasch drauf, wo, wie, was und warum man da optimieren kann. Mit oder ohne gecoachtes Training.

Thomas Rottenberg

Ach ja: Und wenn man draufkommt, dass Laufen einen in Wirklichkeit langweilt und anzipft, ist das auch gut. Dann kann man nämlich einen Posten von der Liste der Möglichkeiten streichen. Und etwas anderes suchen. Etwas, wofür man brennt. Das gibt es nämlich. Für jeden und jede. Und es ist komplett egal, ob der Rest der Welt das versteht oder nicht. (Thomas Rottenberg, 12.6.2019)

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