Wien – Laut einer durch die EU finanzierten Studie der Universität Wien wird in den österreichischen Medien die Unschuldsvermutung mangelhaft respektiert. Wolfgang Bogensberger, stellvertretender Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich, erklärte am Freitag in Wien, dass die Unschuldsvermutung ein "zentraler Aspekt" des EU-Rechtssystems sei, die bis zur Verurteilung gelte.

Die Studie habe ein Jahr lang die Einhaltung der Unschuldsvermutung in Medienberichten in Österreich und sechs weiteren Mitgliedsstaaten – Kroatien, Ungarn, Griechenland, Frankreich, Malta und Spanien – untersucht. Dabei wurden die Berichte der reichweitenstärksten Tageszeitungen, TV-Nachrichtensendungen sowie der von anderen Medien unabhängigen Internetportale auf die Berichterstattung über Straftaten hin qualitativ ausgewertet.

Bogensberger erklärte, dass die wachsende Zusammenarbeit der nationalen Justizbehörden innerhalb der EU auch Schutzmechanismen benötige. So müsse der Angeklagte die Anklage kennen, das Recht auf einen Anwalt haben und die Unschuldsvermutung gelten. "Diese müsse zusammen mit den weiteren rechtsstaatlichen Prinzipien der EU in allen Mitgliedsstaaten erfüllt werden", sagte er.

Vermutungen als Fakten

"Das Hauptproblem ist, dass Vermutungen als Fakten ausgewiesen werden", erklärte die Kommunikationswissenschafterin Katharine Sarikakis von der Uni Wien. "In Österreich ist in den meisten Berichten der Satz 'es gilt die Unschuldsvermutung' zu lesen, wenngleich zumeist der ganze Artikel bereits die Schuld des Verdächtigen impliziert", kritisierte Sarikakis.

Zudem würden in vielen Berichten die Staatsbürgerschaft und Religionszugehörigkeit der Verdächtigen erwähnt, obwohl diese in keinem Bezug zur Tat stehen, so Sarikakis. Überschreitungen stellt die Studie besonders häufig fest, wenn Verdächtigte und Angeklagte ausländische Staatsbürger waren bzw. ausländische Wurzeln hatten, muslimischer Religion, Migranten, Flüchtlinge oder Asylwerbende waren.

Dies würde Ressentiments gegen diese Gruppen fördern, so Sarikakis. Sie beklagte zudem, dass in einigen Fällen auch "anonyme Quellen" angeführt seien, die die Schuld der Personen beweisen sollen. Auf Gegendarstellungen werde jedoch oft verzichtet.

Verletzungen vor allem in Boulevardmedien

Die Studie stellt besonders häufig bei Österreichs Boulevardpresse (ohne Nennung konkreter Zeitungstitel) und bei dem FPÖ-nahen Internetportal unzensuriert.at Verletzungen der Unschuldsvermutung fest. Auch der Privatsender Puls 4 habe demnach öfters nicht klargemacht, dass es sich um "mutmaßliche" Taten handle, heißt es. Hinsichtlich der Selbstkontrolle der Presse wird beklagt, dass gerade die die Unschuldsvermutung am wenigsten beachtenden Medien den Österreichischen Presserat und dessen Kodex gar nicht anerkennen. Offenbar sind damit insbesondere die "Kronen-Zeitung", die Gratiszeitung "Heute" sowie das Online-Portal unzensuriert.at gemeint.

Als Untersuchungszeitraum wurde Juni bis September 2018 angegeben. In Österreich wurden die Fernsehsender ORF, Puls 4 und ATV, die Tageszeitungen "Kronen Zeitung", "Heute", "Kurier", DER STANDARD, "Österreich" und "Die Presse" sowie die Onlinemedien "Addendum", "Dossier", Unzensuriert.at und Vienna.at untersucht.

Rubina Möhring, Chefin der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) in Österreich, betonte, dass besonders die Regenbogenpresse "aggressiv und freimütig gegen Migranten und Asylanten" berichte. "Dieser Stil diffamiert Menschen und die Pressefreiheit", betonte sie. Die Pressefreiheit sei zwar ein Menschenrecht, jedoch dürfe sie nicht verwendet werden, um zu "lügen, diffamieren und täuschen".

Besonders in Ungarn werde die Unschuldsvermutung in den Medien nicht ausreichend eingehalten. Sarikakis führt dies auf die problematische Situation der Pressefreiheit in Ungarn zurück. Möhring erklärte, dass sie die "Message Control" der vergangenen türkis-blauen Bundesregierung in Ansätzen an ungarische Verhältnisse erinnert habe. "Kritik ist für eine gute und lebendige Demokratie wichtig", betonte sie. "Wir haben in Österreich bereits genug Richtlinien für Journalisten, da brauchen wir keine neuen. Wir brauchen aber eventuell Richtlinien für Politiker, wie weit man gehen darf. Das ist viel wichtiger", sagte Möhring. (APA, 11.6.2019)