Monsunausbruch über der Wüste von Arizona: Dank spezieller Isotope kann man sich ein Bild von der globalen atmosphärischen Luftzirkulation machen.

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Luftdruck, Wind, Temperatur: Um die Erdatmosphäre in möglichst präzisen Modellen abzubilden, braucht es eine Vielzahl von Datenquellen. Engmaschige Messnetze auf der Erde gehören ebenso dazu wie der Blick von oben durch Satelliten. Es gibt aber auch Datenquellen abseits der klassischen Meteorologie – wie das Isotop Beryllium-7, mit dem Forscher große vertikale Luftbewegungen abschätzen können.

Lucrezia Terzi beschäftigt sich eingehend mit diesem "kosmogenen Radionuklid". Die belgisch-italienische Geophysikerin arbeitet am belgischen Studienzentrum für Kernenergie (SCKCEN) in Mol und macht am Atominstitut der TU Wien ihren Doktor in Reaktorphysik.

Gemeinsam mit Gerhard Wotawa von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Zamg), einer Forschungsstelle des Wissenschaftsministeriums, und weiteren Kollegen konnte sie vor kurzem im Journal Scientific Reports zeigen, wie mithilfe des Atmosphärenelements ein globales Wetterphänomen besser vorhergesagt werden kann – der Monsun. "Es ist ein Werkzeug, das ein Bild von der Atmosphäre zeigt, das sich von anderen meteorologischen Verfahren unterscheidet", betont Wotawa.

Beryllium-7 entsteht in der oberen Atmosphäre. Kerne von Sauerstoff- und Stickstoffatomen werden dort von hochenergetischen Partikeln aus dem All geradezu "zerschossen". Das schwach radioaktive Isotop mit einer Halbwertszeit von gut 53 Tagen ist eines der Produkte dieses Prozesses, den Physiker Spallation nennen.

"Beryllium-7 entsteht in der Atmosphäre nur auf diese eine Art", sagt Terzi. "Die kurze Halbwertszeit verhindert, dass es sich dort anreichern kann." Das macht es zu einem guten Studienobjekt zur Erforschung der Atmosphäre.

Zirkulationssysteme

Mit der Frage, wo die Isotope hinwandern, kommen die großen Vertikalbewegungen in der Atmosphäre ins Spiel. "In beiden Hemisphären gibt es jeweils drei große Zellen, in denen Luftmassen zirkulieren", erläutert Terzi die Grundlagen. Sie teilen sich auf den tropischen, den gemäßigten und den polaren Bereich auf. Zwischen den Zellen liegen sogenannte Konvergenzzonen, die das Wetter in diesen Regionen wesentlich mitbestimmen.

Um den Monsun vorhersagen zu können, konzentrierten sich Terzi und Kollegen auf die Konvergenzzone zwischen der tropischen Hadley- und der gemäßigten Ferrel-Zelle. Durch das Messen der Beryllium-7-Konzentrationen, die mit den Luftmassen hier Richtung Erde strömen, können sie letztendlich recht genau darauf schließen, wann der Monsun eintreten wird.

Research Square

Der Hintergrund: Zellen samt Konvergenzzonen wandern aufgrund der Neigung der Erdachse je nach Jahreszeit nach Norden oder Süden. In der ersten Jahreshälfte werden sie nach Norden gedrückt. Die innertropische Konvergenzzone, also jene, die zwischen den beiden tropischen Hadley-Systemen liegt, bringt im Mai oder Juni den Monsun nach Indien. Im Herbst kommt dann die Gegenbewegung Richtung Süden.

Die Daten der Beryllium-7-Konzentrationen kommen aus Messstationen in Russland und Australien, die die CTBTO (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization) betreibt – also jene Organisation, die nach Inkrafttreten des Kernwaffenteststoppvertrags dessen Einhaltung überwachen soll. Das Messnetzwerk, das weltweit Atomtests registriert, wird kontinuierlich ausgebaut.

Die Daten sind mittlerweile auch für Wissenschafter außerhalb der CTBTO zugänglich. "Ein großer Vorteil ist, dass die Daten weltweit homogen sind. Hier kommen keine unterschiedlichen Länderstandards zusammen", erklärt Wotawa. "Ein Nachteil ist, dass leistungsstarke Messsysteme erst seit etwa 15 Jahren im Einsatz sind."

Das Radionuklid ist eine Art Marker für die Bewegungen der Zirkulationszellen. Das Auf und Ab der Beryllium-7-Konzentrationen an den Messstationen – in Russland in Frühling ein Höchst- und im Herbst ein Tiefststand, in Australien umgekehrt – ergeben Wellenbewegungen. Was Terzi für den Monsun in Indien herausgefunden hat, ist, dass ab dem Schnittpunkt der Wellenbewegungen der beiden Stationen – wenn also die eine Konzentration gerade im Abnehmen, die andere im Zunehmen begriffen ist – es jedes Mal im Mittel 52 Tage dauert, bis das Wetterphänomen einsetzt.

Genauere Prognosen

"Mit bisherigen Methoden konnte man den Beginn des Monsuns maximal drei Wochen im Voraus abschätzen und lag dabei bis zu fünf Tage daneben", erklärt Terzi. "Mit der Radionuklidmethode ist eine knapp zweimonatige Vorhersage auf drei Tage genau möglich." Das bestätigte sich auch für die heurige Monsunsaison: Terzi sagte am 22. April den Monsun über Kerala für 11. Juni voraus, am 8. Juni traf er ein.

Auch Dauer und Ende sind laut Terzi mit der Methode besser prognostizierbar. Was die Geophysikerin für den Monsun Indiens zeigt, könnte man zudem anhand anderer Messstationen auch auf andere Orte übertragen.

Das Verhalten der Zirkulationszellen, die durch das Radionuklid sichtbar werden, ist auch im Kontext der Klimakatastrophe relevant. "Obwohl wir nur eine Zeitreihe von 15 Jahren haben, kann man durchaus einen Trend ablesen", sagt Terzi. Das Auf und Ab der Beryllium-Konzentrationen, das auf die wandernden Zellen hindeutet, bleibe manchmal "stecken", veranschaulicht die Geophysikerin. "Statt der fortlaufenden Welle gibt es eine Plateaubildung."

Langanhaltende Wetterlagen

Dies habe mit einer Verlangsamung der Zirkulation zu tun, die sich aus verminderten Temperaturunterschieden zwischen Nord und Süd ergibt. "Das hat wiederum zur Folge, dass die Wetterlagen anhaltender werden. Dass es in Österreich im Mai wochenlang geregnet hat, könnte mit der verlangsamten Zirkulation zu tun haben", sagt Terzi. Ebenso gehören also langanhaltende Hitzeperioden den zu häufiger werdenden Phänomenen.

Die höheren Temperaturen sorgen zudem für eine Ausdehnung der Troposphäre, in der sich das Wetter abspielt, nach oben. Das gibt Unwettern mehr Raum – und damit mehr Energie. Auf der einen Seite werde es also mehr langanhaltende Wetterlagen geben, auf der anderen Seite aber auch mehr punktuelle Extremereignisse.

Die verlangsamte Zellzirkulation wurde bereits im letzten Bericht des Weltklimarats IPCC thematisiert, sagt Wotawa. "Die letzte Sicherheit fehlt hier noch. Das Beryllium könnte sich aber als wichtiges Werkzeug erweisen, um die Theorie zu untermauern. Denn mit rein meteorologischen Mitteln sind die großen Vertikalbewegungen in der Atmosphäre nur schwer messbar." (Alois Pumhösel, 16.6.2019)