Federico León führt bei den Wiener Festwochen in geheimnisvolle Gewölbe jenseits der normalen Vorstellungsräume

Foto: Ignacio Iasparra

Kunst sei reinste Alchemie, die in geheimnisvollen Gewölben jenseits der normalen Vorstellungsräume entstehe. – Wohin diese romantische Idee führen kann, hat der argentinische Performance- und Filmemacher Federico León erst vor vier Jahren mit Las Ideas im Brut-Theater demonstriert: einer hautnah erfahrbaren Satire auf künstlerische Arbeitsweisen.

Auch beim Steirischen Herbst 2013 war León zu Gast – mit seiner partizipativen Performance Las Multitudes – und bei den Festwochen schon im Jahr 2000: Da zeigte er als 25-Jähriger auf Einladung der damaligen Kuratorin Hortensia Völckers sein absurdes Stück Cachetazo de Campo.

Tennisballwaffen

Gealtert ist die Arbeitsweise des Künstlers seither nicht. Im Gegenteil, auch im jüngsten Werk des heute 44-Jährigen, Yo escribo. Vos dibujás ("Ich schreibe. Du zeichnest."), geht es ausgesprochen seltsam zu. Die Mischung aus Installation und Theater ist im Festwochen-Endspurt in den Gösserhallen zu erleben.

Das Brüsseler Kunstenfestival zeigte sie im Kulturzentrum Les Halles de Schaerbeek, wo León in einem ausgedehnten Raum neun Stationen aufgebaut hatte: einen Schießstand zum Beispiel, an dem mit Tennisballwaffen auf Gegenstände geballert wird, einen Tisch mit Schokoschachfiguren oder einen kleinen Pool.

Surrealer Jahrmarkt

In diesem surrealen Jahrmarkt tummeln sich die Besucher eine Zeitlang auch zwischen einem nicht sehr geschickten Hütchenspieler oder einer Frau, die einen Kühlschrank bewacht. Etwas erhöht ist an der Frontseite des Raums eine gläserne "Kabine der Stille" eingebaut, in der bedeutungsvoll aufgemachte Tableaux vivants arrangiert werden. Durch die Publikumsmenge bewegen sich etliche Performer, die Zettel verteilen, auf denen – etwa in Bezug auf eines der Tableaux vivants – zu lesen sein kann: "Was zeigt das kleine Mädchen dem Astrologen in der Kabine der Stille?"

Diese mysteriöse Glaszelle erweist sich später als Schleuse in eine andere Dimension. Sobald die Besucher durch sind, finden sie sich in einem zweiten Raum wieder, und der ist ein konventionelles Theater mit Bühne und einer Tribüne, auf deren Sitzen dicke Skripten zur Ansicht bereitliegen. Hier werden dramatische Geschichten erzählt. Von einer Frau zum Beispiel, die Geschehnisse aus einem ihrer verwirrenden Mittagsschlafträume verrät.

Künstlerische Alchemie

Auch hier führt Federico León, wie eingangs angedeutet, schönste künstlerische Alchemie vor. Mit im Spiel sind unter anderem Sterndeuterei, Psychologie, eine Barbiepuppe und die Osterinsel. Das Zuschauen mutet an wie ein Umherirren zwischen zwei Gehirnhälften, die vergnügt damit beschäftigt sind, diversen Wahrnehmungsinhalten ihre rationalen Bedeutungen zu entziehen. Es ist wie im Traum: eine verschobene Wirklichkeit, in der alles Bekannte irgendwie fremd erscheint. (Helmut Ploebst, 13.6.2019)