Ein Studentenheim aus Containern neben Baugruppenprojekten wie dem Que(e)rbau oder dem weltweit höchsten Holzhochhaus HoHo und dazu noch viele sogenannte Shared Spaces – die rasant wachsende Seestadt Aspern mit all ihren vielfältigen Wohn- und Büroangeboten war der ideale Ort für das 64. STANDARD-Wohnsymposium zum Thema "Soziale Durchmischung im Quartier – Konflikt oder Chance".

Während die Teilnehmer am Schnittpunkt zwischen Integration, Wohnbau und Wohnpolitik diskutierten, sprangen wenige Meter entfernt ein paar junge Burschen in den See, an den Studenten genauso kommen, wie migrantische Familien oder Uniprofessoren.

"Soziale Durchmischung in Wohnhäusern war immer mit dem Harmoniegedanken verbunden, dass sie konfliktentschärfend ist", sagte Kenan Dogan Güngör, Direktor von Think.Difference – Büro für Gesellschaft, Organisation und Entwicklung, in Wien. Der Experte regte auf der vom Fachmagazin "Wohnen Plus" mitorganisierten Veranstaltung aber eine provokante Denksportaufgabe an: Was ist, wenn die sozialen Konflikte erst aufgrund der sozialen Durchmischung entstehen? Und wenn, sind Konflikte überhaupt schlecht?

Leben in der Blase

"Nein", meinte Superblock-Architektin Verena Mörkl, die überzeugt ist, "dass nicht immer alles harmonisch laufen muss". Denn Interaktion sei wichtig. Es bringe nichts, wenn der erwähnte Uniprofessor mit dem Lift in die Tiefgarage fährt und keine Berührungspunkte hat. Denn jeder von uns lebt in seiner eigenen Blase, auch im realen Leben, nicht nur in den sozialen Medien.

Lärm ist einer der häufigsten Streitpunkte in Wohnanlagen.
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"Man muss sich in Wohnquartieren daher vielmehr fragen, welche Bubbles miteinander können und welche nicht", so Güngör, der glaubt, dass gar nicht so sehr die soziale Lage, sondern vielmehr die Erwartungshaltung der Bewohner das Entscheidende ist: Studenten und migrantische Arbeiter können miteinander, weiß man aus Erfahrung. Bei hochbetagten autochthonen Österreichern und kinderreichen migrantischen Familien im Gemeindebau ist es schon schwieriger.

"Ganz besonders beißt es sich bei zwei Gruppen aus gleichen sozialen Schichten, von denen die einen Aufsteiger und die anderen Absteiger sind", weiß der Experte. In einem solchen Fall kreuzen sich Negativität und Optimismus. Wenn das dann noch über die Grenzlinie der Migration geschehe, werde es schwierig.

Noch einen interessanten Aspekt sprach Güngör an: Wer vorher an einem Ort ist, verbindet damit Vorrechte. Das widerspricht wiederum dem Gastrecht. "Auch mein Vater hat zu mir gesagt, wir sind hier Gäste und dürfen nicht so aufmüpfig sein." Dieses "Ich war zuerst da" ziehe sich durch alle Gruppen, auch bei etablierten Zuwanderern, und die Dynamiken seien in der Stadtpolitik sehr spannend. Die Seestadt ist dabei ein Sonderfall, denn hier sind alle neu. Insofern ist sie, wie alle neuen Stadtquartiere, ein hoch interessantes Forschungsszenario.

Karikatur: Oliver Schopf

Mediale Trigger

Einer, der das erforscht, ist Daniele Karasz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien. Im neuen Wiener Stadtteil Monte Laa hat sich in der Wahrnehmung das Zusammenleben innerhalb weniger Jahre sehr zum Schlechteren verändert. Die Flüchtlingskrise 2015 war mit ein Wendepunkt. Viele Bewohner können aber keine konkreten Beispiele nennen, was sie stört.

Laut Karasz haben sich die Bewohner aus sozialen und heimischen Medien und Zeitungsberichten ihrer Herkunftsländer vieles zusammengereimt. "Die polnischen Verwandten einer Frau haben angerufen und gefragt, ob sie sich noch hinaustraut, weil es in Wien so wild zugeht", so Karasz.

Ähnliches erlebt auch Werner Krammer, Bürgermeister von Waidhofen a. d. Ybbs im Mostviertel, einer Region, die Zuwanderer aufgenommen und erfolgreiche Initiativen wie eine Jobbörse und integrative Treffs etabliert hat. "Wir haben überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, sogar schöne Erfolge. Aber wenn in Medien negativ berichtet wird, schwappt das auf die Stammtische über. Das ist sehr irritierend", so der ÖVP-Politiker.

Konflikte als Chancen

Die Frage, ob Konflikte aufgrund der sozialen Mischung vermieden werden oder gerade deswegen entstehen, lässt sich demnach noch um die Rolle der Medien erweitern. "Werden Erwartungen von Harmonie zu stark kommuniziert, sind Abweichungen umso eher skandalisierbar", so Güngör.

Einig waren sich alle Teilnehmer des Symposiums, dass Konflikte nicht per se schlecht sind und immer auch Chancen bergen. Allerdings müssen sie verhandelbar sein, und es braucht Begleiter und Kümmerer, so der Experte. Vielschichtige Allianzen wie "Wir sind die Seestädter", seien dabei hilfreich. (Marietta Adenberger, 14.6.2019)