Spielende Kinder in Innenhöfen gehören zu den häufigsten Streitpunkten in Wohnanlagen.

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In Wien gibt es keine echten Ghettos. Aufgrund der Adresse lässt sich die soziale Schicht nicht zuordnen. Das ist international einzigartig. "Wien hat diese soziale Durchmischung immer schon gemacht", so Andrea Reven-Holzmann, Mitglied im Grundstücksbeirat der Stadt Wien.

Sie nannte den Gemeindebau für alle als bekanntes Beispiel: Auch Prominente wie der Fußballtrainer Hugo Meisl oder der Architekt Anton Brenner hätten dort gewohnt. Es gebe außerdem viele gut funktionierende Mischobjekte mit geförderten, frei finanzierten und Eigentumswohnungen, deren Gemeinschaftsflächen für alle da sind. Das bietet Raum für Begegnung.

Das Wiener Modell im Wohnbau mit seiner sozialen Durchmischung und sehr präsenter öffentlicher Hand ist immer wieder Thema im Ausland. Etwa der hohe Mietwohnungsanteil, von dem die Mehrheit der Stadt oder gemeinnützigen Bauträgern gehört. Österreichische Experten werden daher gern nach Berlin geholt, wo sie über das heimische Erfolgsmodell referieren, während die Mieter dort auf die Barrikaden steigen, weil der Druck am Wohnungsmarkt so groß ist.

In Berlin will man ehemals kommunale Wohnungsbestände wieder zurückkaufen. Dass in Wien dieser historische Fehler, Gemeindewohnungen abzuverkaufen, nicht gemacht wurde, sei ein Alleinstellungsmerkmal, sagte der grüne Gemeinderat und Stadtplanungssprecher der Wiener Grünen Peter Kraus in der politischen Diskussion auf dem jüngsten STANDARD-Wohnsymposium.

Begegnung stärken

Bei den Ausschreibungen für Wiener Projekte werden Themen wie Alleinerziehende, Generationenwohnen oder interkulturelles Wohnen gefördert, die die Entwicklung nachbarschaftlicher Strukturen stärken sollen. Der Soziologe Kenan Dogan Güngör gab zu bedenken, dass das Schlagwort soziale Durchmischung oft auch eine Mogelpackung sei und es im Gespräch dann eher um Herkunft und Religion gehe.

In der Seestadt will Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender der Wien 3420 Aspern Development, die Lebensqualität durch Vielfalt fördern: "Konflikte sollen die Ausnahme sein." Dafür brauche es Kontakt, Freizeitmöglichkeiten und Freiräume und das passende Grundklima. Peter Berchtold, Projektentwickler bei der Buwog, erklärte, dass die Projekte seines gewerblichen Bauträgers daher zunehmend Quartiersentwicklungen mit allen Rechtsformen seien. "Wir setzen schon vor dem Grundstücksankauf Maßnahmen, ziehen Spezialisten hinzu und bieten Bewohnerservices." Konfliktpotenziale versuche man schon in der Planung zu vermeiden.

Kaum interkulturelle Konflikte

Stecken Nachbarn aber schon mittendrin im Konflikt, vermittelt das Wiener Nachbarschaftsservice Wohnpartner. Über 150 Mitarbeiter arbeiten mit bereits bestehenden Netzwerken wie Bewohnergruppen, Mietbeiräten, Hausbesorgern und Anrainern. Das Ziel: die Unterstützung der Initiativen und Selbstorganisation der Bewohner und die Stärkung der Nachbarschaft.

Laut Claudia Huemer, die das Teammanagement und die fachliche Aufsicht bei Wohnpartner verantwortet, waren 2018 rund 16.400 Fälle zu bearbeiten. Davon über 40 Prozent Lärmkonflikte, offene interkulturelle Konflikte lagen bei weit unter einem Prozent, wobei hinter Lärmbeschwerden oft auch andere Beweggründe liegen. Auch Nadja Shah, Geschäftsführerin der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, berichtete weniger von Migrations- als von Jung-Alt-Konflikten: "Der Anspruch Ruhe verträgt sich oft nicht mit dem Bewegungsdrang der Kinder."

Gute Begleitung

Für erfolgreiches interkulturelles Zusammenleben hatte Reven-Holzmann ein Rezept: "Keine Zuwanderergruppe sollte zu dominant, der Großteil autochthone Österreicher sein." Am Beispiel Globaler Hof vom Bauträger Sozialbau, der demnächst sein 15-Jahr-Jubiläum feiert, sei das gut beforscht worden.

Einig waren sich die Symposiumsteilnehmer, dass es bei Neubauten in jedem Fall Informationen für die Einziehenden über das Projekt vorab und soziale Durchmischung gute Begleitung braucht. "Im besten Fall lädt dann eine muslimische Familie die alleinstehende Nachbarin zu Weihnachten zu sich ein", so Reven-Holzmann. (Marietta Adenberger, 26.6.2019)