Der Axial-Vulkan vor der Küste von Oregon liegt am Juan-de-Fuca-Rücken. Anhand dieses unterseeischen Feuerberges konnten Forscher erstmals nachweisen, warum an mittelozeanischen Rücken gerade bei Ebbe Erdbeben auftreten.

Illustr.: NOAA

Bereits vor einigen Jahren erkannten Wissenschafter, dass Erdbeben entlang mittelozeanischer Rücken – also an den unterseeischen auseinanderstrebenden Grenzen tektonischer Platten – irgendwie mit den Gezeiten zusammenhängen dürften. Warum es dort jedoch ausgerechnet während der Ebbe signifikant häufiger zu Erdstößen kommt, war bisher ein Rätsel.

"Wir waren alle ziemlich verblüfft über diese Verbindung, denn nach der konventionellen Hypothese sollten diese Beben eigentlich bei Flut ausgelöst werden," sagt Christopher Scholz, Seismologe an der Columbia University in New York City. Nun aber hat Scholz gemeinsam mit seinen Kollegen einen Mechanismus entdeckt, der das scheinbare Paradoxon entschlüsseln konnte – die Lösung hat etwas mit dem Magma unterhalb der mittelozeanischer Rücken zu tun: "Letztlich ist es die Magmakammer selbst, die durch Einwirkung der Gezeiten gleichsam 'atmet', sich ausdehnt und wieder zusammenzieht und dadurch die geologische Bruchlinie in Bewegung versetzt", erklärt Scholz.

Unerwartete Bewegungen unter dem Ozean

Der Zusammenhang ist insbesondere deshalb überraschend, weil es unerwartete Bewegungen der mittelozeanischen Bruchlinien aufzeigt. Scholz und seine Kollegen beurteilen diese Brüche als zwei voneinander getrennte Blöcke. Ereignet sich dort ein Beben, dann gleitet der höher liegende Block ab und die tiefer liegende hebt sich etwas. Daher gingen die Wissenschafter davon aus, dass während einer Flutphase, während der sich also mehr Wasser über der Falte befindet, der Druck den oben liegenden Block nach unten drückt, was zu einem entsprechenden Erdbeben führt.

Nun aber zeigt sich, dass der Ablauf ein völlig anderer ist: An der Bruchlinie wirken im Verlauf der Ebbe Kräfte, die im Gegenteil nach oben wirken. "Das ist im Grunde das Gegenteil dessen, was wir bisher angenommen hatten," meint Scholz.

Daten aus einem dichten Sensornetzwerk

Um diesem mysteriösen Vorgang auf den Grund zu gehen, haben die Forscher den submarinen Axial-Vulkan am Juan-de-Fuca-Rücken nahe dem nordöstlichen Rand des Pazifiks vor Vancouver Island genauer unter die Lupe genommen. Da dieser Vulkan im Schnitt etwa alle zehn Jahre ausbricht, haben Forscher ein dichtes Netzwerk von Beobachtungsinstrumenten in der unmittelbaren Region installiert. Scholz' Team nutze die dort gewonnenen Daten, um ein Modell für die seismischen Bewegungen im Zusammenhang mit den Ebbe- und Flutphasen zu erstellen.

Wie sie im Fachjournal "Nature Communications" berichten, konnten die Wissenschafter letztlich einen Faktor isolieren, an den bisher niemand gedacht hatte: Die vulkanische Magmakammer, einer unter Druck stehenden Region tief unter der Erde. Das Team erkannte, dass sich bei Ebbe weniger Wasser über einer solchen Kammer befindet, was dazu führt, dass sie sich merklich ausdehnen kann.

Während sie bei diesem Vorgang nach oben drängt, setzt sie das Gestein in ihrer Umgebung unter Druck, was schließlich auch dazu führt, dass der tiefe liegende Teil der Falte nach oben strebt und so die beobachtbaren Erdbeben auslöst. (tberg, 17.6.2019)