Vergangenen Samstag kam es wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei in Tirana. Die Proteste werden immer gewalttätiger und drohen rund um den Wahltermin zu eskalieren.

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Sie werfen Molotowcocktails, greifen mit Böllern die Polizei an und setzen Straßen in Brand. Kürzlich versuchten sie sogar, mit Gewalt in das Regierungsgebäude einzudringen, wo Premier Edi Rama sitzt. Anhänger der Opposition in Albanien gehen seit Februar wöchentlich auf die Straße, immer häufiger üben sie Gewalt aus und versuchen die Lage zum Eskalieren zu bringen.

Das hat damit zu tun, dass am 30. Juni Lokalwahlen stattfinden sollten. Doch die oppositionelle Demokratische Partei (DP) will diese boykottieren, so wie sie, bereits seit Februar, die Parlamentsarbeit boykottiert. Die DP verweist als Begründung auf Verbindungen der regierenden Sozialistischen Partei zu Leuten, die die letzten Parlamentswahlen manipuliert haben sollen. Diese Wahlen und die Resultate wurden allerdings international anerkannt.

Sture Opposition

Auch der Boykott eines Urnengangs ist nichts Neues. Bereits 2017 wollte die DP – vor allem angesichts der drohenden Wahlverluste – nicht an den Parlamentswahlen teilnehmen. Im letzten Moment lenkte sie dann doch ein. Doch nun stellt sich die Opposition auf stur. Sie will die Lokalwahlen nur unter der Bedingung stattfinden lassen, dass zuvor eine Übergangsregierung gebildet wird, die sie mitbestimmen kann.

Außerdem fordert sie, dass einige Politiker der Sozialisten, die mit kriminellen Akten in Verbindung gebracht werden, vor Gericht gestellt werden. Die Sozialisten (PS) wollen die Lokalwahlen trotzdem abhalten. Doch inzwischen hat auch Präsident Ilir Meta zu der Causa Stellung bezogen und den Wahltermin angesichts des drohenden politischen und verfassungsrechtlichen Chaos am Samstag per Dekret verschoben.

In Verhandlungen soll nun ein neuer Termin gefunden werden. Doch die PS akzeptiert die Maßnahme des Präsidenten nicht. Auch die Wahlkommission hat die Entscheidung von Meta zurückgewiesen. Und Premier Rama reiste Anfang der Woche schnell zu EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der seine Unterstützung für die Abhaltung der Wahlen am 30. Juni kundtat.

Premier gegen Präsident

Zudem will Rama nun diese Woche über das Parlament versuchen, den Präsidenten zu stürzen. Der Premier argumentiert, dass es von Meta verfassungswidrig sei, die Wahlen zu verschieben. Im Hintergrund spielt eine Rolle, dass sich Rama mit Meta und dem Oppositionsführer von der DP, Lulzim Basha, in einer Art politischem Kriegszustand befindet.

Denn Meta hat Rama nicht verziehen, dass er seine Partei, die LSI, nicht mehr mitregieren lässt. Und die PS und die DP bekämpfen sich ohnehin seit dem Beginn der Demokratie in den 1990er-Jahren so, als würde es darum gehen, den anderen zu vernichten.

Das größte Problem ist nun aber, dass das Verfassungsgericht, so wie sämtliche Höchstgerichte, derzeit nicht tätig werden kann, weil es an Richtern fehlt. In Albanien findet nämlich seit zwei Jahren ein erfolgreicher und von der EU und den USA unterstützter Prozess statt, in dem Richter und Staatsanwälte sich Untersuchungen stellen müssen, um jene herauszufiltern, die Schmiergelder angenommen haben oder von politischen oder wirtschaftlichen Interessen gelenkt sind.

Doch gerade weil dies dazu führte, dass zahlreiche Richter und Staatsanwälte nun nicht mehr im Amt sind, ist ein rechtliches Vakuum entstanden. Dabei wäre es nun dringend notwendig, dass der Verfassungsgerichtshof die rechtlichen Fragen rund um die Lokalwahlen klärt. Weil dies nicht möglich ist, befindet sich Albanien in einer Verfassungskrise.

Zum Rücktritt zwingen

In dieser Situation wollen die Demokraten Rama nun dazu zwingen zurückzutreten. Wenn die Sozialisten am 30. Juni die Lokalwahlen abhalten, droht Gewalt auf der Straße. Einige Polizisten und Demonstranten wurden bereits verletzt.

Eine merkwürdige Rolle spielen die deutsche CDU und die Zeitung "Bild", die die Interessen der Opposition unterstützen und albanische Innenpolitik "mitgestalten". Die Demokraten in Albanien gehören nämlich wie die CDU zur Familie der Europäischen Volkspartei (EVP). Dabei geht es auch darum, dass ohne die Zustimmung der CDU Albanien nicht mit den Beitrittsverhandlungen beginnen kann und die EVP somit ein mächtiges Werkzeug in Händen hält.

Das größte Opfer dieser parteipolitischen Ränkespiele der EVP ist übrigens Nordmazedonien. Denn die CDU hat, gegen alle Empfehlungen, auch die Zustimmung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien verweigert und setzt damit die gesamte Erweiterungspolitik aufs Spiel. (Adelheid Wölfl, 13.6.2019)