In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

Mein Sohn ist gerade vier geworden und eigentlich "sauber". Er geht aufs Klo, wenn er klein muss, und sagt auch, wenn er groß muss. Das Problem: Er macht Letzteres nur in eine Windel, die ich ihm extra anlegen muss, auch zu Hause. Er weigert sich, sich deswegen auf die Toilette zu setzen.

Und, ist das Kind schon sauber? "Nicht so ganz", lautet die Antwort oft.
Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/arsenik

Ich habe es schon mit Belohnungen und Versprechungen versucht und letztendlich fast schon resigniert. Was steckt da dahinter?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Bei dem Windelritual Ihres Sohnes geht es um Kontrolle. Wer so jung ist, kontrolliert vieles in seinem Leben noch nicht. Und da ist es fantastisch, etwas gefunden zu haben, wo es mit der Kontrolle so richtig klappt. Hinzu kommt: Mit seiner Marotte kontrolliert er nicht nur seinen Haufen und will ihn dann wohl auch stolz betrachten, nachdem er ihn erst einmal warm am eigenen Popo gespürt hat. Sondern zugleich kontrolliert er auch Sie und bekommt von Ihnen verlässlich ungeteilte Aufmerksamkeit für seine Leistung.

Wenn wir nun sein Verhalten in einen größeren Zusammenhang einordnen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein Bedürfnis nach Kontrolle auch für viele Erwachsene keineswegs ungewöhnlich ist. Auch viele von uns haben doch noch den einen oder anderen kleinen Kontrollzwang. Das Licht, die Herdplatte, der eine oder andere Aberglaube. Das kommt daher, dass Kontrolle eine bewährte Strategie gegen Angst ist: Wenn ich weiß, was ich zu tun habe, dann kenne ich mich aus, und dann brauche ich keine Angst zu haben.

Was Ihren Jüngsten angeht: Entwicklungsschritte verlaufen unterschiedlich. Körperlich genauso wie im Verhalten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie irgendwann abgeschlossen sind. Und so wird auch der kleine Mann bald ganz von selbst auf seine Windel verzichten. Wenn er sieht, dass andere Kinder das doof finden. Oder spätestens, wenn er seine erste Freundin hat. (Hans-Otto Thomashoff, 16.6.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Katharina Weiner:

Da jedes Kind, jede Familie anders ist, rege ich an, der Situation zunächst mit Interesse, Geduld und ohne jegliche Anwendung von Methoden zu begegnen. Gänzlich sauber werden ist ein Thema für viele Familien. Sei es nun wegen Kindergartenbesuchs, der Sorge über eine vermeintliche Entwicklungsverzögerung oder gar psychische Ursachen.

Neutral betrachtet, ohne nähere weitere Umstände Ihrer Familie zu kennen, hier ein paar Gedanken zur Eigenverantwortung: Eltern übernehmen oftmals sehr vieles, das Kinder im Grunde altersadäquat selbst erledigen können, wie z. B. Essen mit Besteck, Anziehen, Zähneputzen, Haarewaschen, Jackeaufhängen, etc. Manchmal aus Sorge, dass das Kind nicht gut genug versorgt ist, die Zeit knapp wird oder Konflikte drohen.

Je mehr ihnen abgenommen wird, desto stärker verlassen Kinder sich darauf, dass Eltern voreilig zur Verfügung stehen. Dies hemmt die Entwicklung ihrer Eigenständigkeit, nimmt ihnen das Erleben von Scheitern und den damit verbundenen Gefühlen wie Frustration oder Ärger – beides ein wichtiger Empathiebaustein.

Nehmen Sie den Druck und die konzentrierte Aufmerksamkeit von dem Windelthema. Je höher ihre Erwartungshaltung ist, umso größer wird der Stressfaktor bei ihrem Sohn. Versuchen Sie eine gedankliche Überprüfung dessen, was Ihr Sohn bereits selbstbestimmt erledigt, und würdigen Sie es.

Als Nächstes kann eine Unterhaltung in entspannter Atmosphäre folgen. "Ich weiß, dass du schon super allein aufs Klo gehen kannst. Deshalb frage ich mich, warum du eine Windel brauchst, um groß zu machen. Denk darüber nach und sag mir, wenn du es weißt." Wenn Ihr Sohn nicht gleich eine Antwort parat hat, lassen Sie ihm Zeit und fragen Sie erst in ein paar Tagen nach. So entwickelt er ein immer besseres Gefühl für sich selbst und Verantwortung für seinen Körper. Ein wertvoller Prozess, der nun einmal seine Zeit braucht. (Katharina Weiner, 16.6.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore