In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

Bei uns geht es beim Essen immer zur Sache: Der eine Bruder schmeißt dem anderen Brösel ins Wasserglas, der andere lässt dem einen die ungeliebten Erbsen auf den Teller rollen. Schmeckt es tatsächlich, findet sicher einer von beiden eine kreative Art, das Essen zu zerkleinern. Fertig ist das Gelächter oder eben die Streiterei, weil sich einer von beiden gestört fühlt. Nicht zu vergessen: die mit Marmelade verschmierten Münder und klebrigen Hände beim Frühstück.

Essen mit den Fingern zu erforschen ist gut für die Feinmotorik, sagen Experten. Teller abschlecken macht einfach Spaß, meinen Kinder.
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Aufschneidtechnisch ist es auch problematisch: Während der Kleine unbedingt alles selber machen will (da kann auch mal Besteck auf den Boden fallen oder Geschirr zu Bruch gehen), ist das größere Vorschulkind faul und lässt sich alles aufschneiden und sich bedienen. Wir Eltern reagieren immer bemüht und versuchen, freundlich zu bleiben, Stufe zwei sind die genervten Blicke, die wir uns zuwerfen, zum Schluss lässt sich Schimpfen manchmal nicht vermeiden. Gibt es Tricks, um den Kindern endlich Tischmanieren beizubringen?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Sie schreiben in bester Absicht: "Wir Eltern reagieren immer bemüht und versuchen, freundlich zu bleiben." Auch wenn ihre Kinder sich aufführen wie kleine Rüsseltiere. Aber das ist doch gar nicht Ihr echtes Gefühl in der Situation. Da spielen Sie Ihren Kindern doch eine Welt vor, die gar nicht stimmt. Und Ihre Kinder merken das sicher, weil wir Menschen Gefühle beim anderen intuitiv erkennen. Und dann tanzen Ihnen Ihre Kinder auf der Nase herum, weil sie spüren, dass Sie ihnen gegenüber unehrlich sind und deshalb die Wahrheit aus Ihnen herauskitzeln wollen. Wo sind denn die Grenzen? Wie weit noch sollen sie gehen?

Wie kommen Eltern auf die Idee, dass sie immer "gut drauf" sein müssten? Vielleicht sind es die bunten Werbeeltern im Fernsehen, die immer lächelnd das Glück ihres Elterndaseins kaum fassen können. Aber das sind Schauspieler! Oder es ist die Sehnsucht nach Perfektion. Doch die gibt es auf unserem Planeten eher selten, und sie bereitet deshalb nicht gut auf das wirkliche Leben vor. Wir Eltern sollten deshalb Vorbild sein für unsere Kinder in all unseren ehrlichen Gefühlen. Nur so lernen sie, ihre eigenen Gefühle in aller Buntheit anzunehmen.

Nun zu den Tischmanieren: Sie als Eltern leben vor, wie es geht, tagein, tagaus. Laden Sie doch Ihre Kinder zur Nachahmung ein. Ganz bewusst. Und wenn die gelingt, dann gibt es eine Belohnung. Sollte der Ansatz misslingen, dann sollten Sie Ihren Jüngsten Konsequenzen in Aussicht stellen und sich auch an diese halten. Ganz klassisch. Wenn Ihnen selbst und Ihren Kindern dieser Ansatz zu langweilig ist und wenn Sie selbst den Nerv dazu haben, dann können Sie zusätzlich auch einen Tag in der Woche zum "Sauigeltag" erklären, an dem dann alles erlaubt ist. (Hans-Otto Thomashoff, 30.6.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort von Katharina Weiner

Familien sind immer ein komplexes wie individuelles Gesamtkonzept, das während des Tages durch Interaktionen – sowohl der Geschwister als auch der Eltern – in Bewegung ist. Der Esstisch fungiert somit oftmals als Stimmungsbarometer.

Über Tischmanieren während des Essens einen Vortrag zu halten ist wenig sinnvoll. Was es braucht, ist der rote Faden, wie sie grundsätzlich miteinander – auch mit, in Ihrem Fall, geschwisterlichen Reibereien und Unterschiedlichkeiten – umgehen.

Zur Tischkultur: Besprechen Sie mit Ihrem Mann, welche Kultur Sie mit Ihren Kindern entwickeln möchten und welche Regeln gelten, wann bleibt wer wie lange sitzen, wird um Erlaubnis gefragt, kein Spielen mit dem Essen, kein Handy, was passiert, wenn jemand keinen Hunger hat, selbst Schneiden et cetera. Dies können Sie in der Folge mit Einbeziehung Ihrer Kinder diskutieren. Vielleicht als Merkblatt, eventuell mit Zeichnungen der Kinder, festhalten.

Die Geschwisterkonflikte betreffend ist es grundsätzlich ein gutes Zeichen, dass Sie das Vertrauen Ihrer Kinder genießen und sie sich vor Ihnen streiten, anstatt heimlich im Zimmer! Konzentrieren Sie sich mehr auf die Vor- und Zubereitung eines genussvollen Essens, auch gemeinsam mit den Kindern. Pädagogische Zwecke währenddessen verderben den Appetit. Wenn es denn doch zu viel wird, hinterlässt ein "Ich weiß jetzt wirklich nicht, was ihr gerade für ein Problem habt, aber ich will, dass ihr SOFORT damit aufhört, ich will mein Abendessen genießen!!!" Eindruck.

Sollte sich trotz dieser Überlegungen die Situation nicht verbessern, ist es als Nächstes sinnvoll, diese intensiver zu analysieren, um herauszufinden, ob es möglicherweise unausgesprochene Konflikte, Probleme, überdenkbare Normen in der Familienkultur gibt, die unentdeckt blieben. (Katharina Weiner, 30.6.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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