Man hat sein Spiel oft unterkühlt, trocken und akademisch genannt, ihn zugleich für seine Brillanz und perfekte Darstellung musikalischer Struktur bewundert und eine große expressive Kraft erkannt. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die frühen Aufnahmen von Maurizio Pollini messerscharf akkurat durchgestaltet sind und er darin nichts dem Zufall oder spontaner Eingebung überließ.

Je älter er aber wird, desto deutlicher macht der 77-jährige Sohn eines Architekten, dass Kopf, Bauch und Herz keinen Widerspruch bilden. Seine emotionale Kraft, die seit jeher aus klarem Nachvollziehen der Stücke hervorging, wird zugleich immer deutlicher. Und inzwischen sind seine Konzerte in Teilen geprägt von überschießender Energie und großer Lust an Ausdrucksextremen.

Gigantomanisch, draufgängerisch

Im Musikverein reichte das Spektrum zunächst von der innigen Verhaltenheit von Brahms’ Drei Intermezzi op. 117, die er still leuchten ließ, zu Schumanns gigantomanischem Concert sans Orchestre op. 14, in dem er draufgängerische Jugendlichkeit demonstrierte. Dann Chopin, jener Komponist, den Pollini sein Leben lang umkreist hat.

Ein Höhepunkt als Zugabe die g-Moll-Ballade: ein großer, durchdachter, durchlittener Spannungsbogen voller Abgründe, Wehmut und Kantabilität. Der Applaus machte dem heiter ins Publikum lächelnden, am Ende auch ein wenig Müdigkeit zeigenden Meister aus Mailand alle Ehre, die Standing Ovations ließen ihn nicht unberührt. (daen, 13.6.2019)