Beim größten österreichischen Festival – dem Nova Rock – können Frauen, die lieber unter sich bleiben, seit diesem Jahr auf einen eigenen Camping-Bereich ausweichen. Einige hundert hätten das Angebot angenommen, das es auch nächstes Jahr wieder geben soll.

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Eigene Camping-Zonen für Frauen gibt es auch in anderen Ländern, etwa wegen Vorfällen wie jenen auf dem Bråvalla-Festival in Schweden, wo es 2017 zu 23 Anzeigen wegen sexueller Belästigung und zu fünf wegen Vergewaltigung gekommen war.

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In Wien startete am Donauinselfest 2018 erstmals die Kampagne "Ich bin dein Rettungsanker" gegen sexuelle Belästigung und Übergriffe. Das Konzept wurde in der Folge auf Freibäder, die Wiener Linien und seit kurzem auf Nachtclubs ausgeweitet.

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Nickelsdorf/Wien – Die Festivalsaison ist spätestens seit diesem Wochenende eingeläutet: Mit dem Nova Rock startete das größte Festival des Landes mit insgesamt 220.000 Besuchern an vier Tagen – und einem Novum: Erstmals gibt es einen eigenen Campingbereich nur für Frauen.

"grrrls" unter sich

Für das "grrrls Camping" konnten sich Besucherinnen vorab kostenlos anmelden. Der Bereich nahe dem Eingang zum Festivalgelände ist mit einem Bauzaun abgesperrt, es gibt zwei Eingänge, und davor stehen Securitys, die ihre Sache ernst nehmen. Selbst Nova-Rock-Organisator Ewald Tatar ist in diesem Bereich kein gern gesehener Gast. "Ich wurde gleich einmal von ein paar Mädels angeredet, was ich denn hier zu suchen habe."

Der Women-only-Campingbereich ist klein, aber fein. Tatar schätzt, dass rund 300 bis 400 Frauen das Angebot angenommen haben. "Wir haben aber mit mehr gerechnet", gibt er im Gespräch mit dem STANDARD zu. Ursprünglich war der Bereich für 1.000 bis 1.500 Besucherinnen ausgelegt, die lieber ohne männliche Nachbarn campen wollen. Vor Festivalstart wurde das Areal aufgrund der Rückmeldungen verkleinert. Das Girls Camping "wird zwar kein Riesending", meint Tatar. Das Angebot werde es aber auch im kommenden Jahr geben. "Das muss sich erst herumreden."

Reaktion auf Beschwerden von Besucherinnen

Wie kam es zu der Neuerung? Im STANDARD hatten zwei Besucherinnen des Festivals im Vorjahr von grapschenden Händen und Berührungen im Intimbereich berichtet. "Wir waren erst drei Stunden am Festival, schon war die Stimmung am Boden. Wir haben uns unsicher gefühlt", sagte damals eine der beiden Betroffenen. Aber auch andere Beschwerden habe es gegeben, gab Veranstalter Tatar an.

Für das Frauen-Camping haben sich Hannah, Katharina und Magdalena jedenfalls bewusst entschieden. Die 17-Jährigen feiern am Nova Rock ihre Festival-Premiere und sind über die Camping-Option dankbar. "Wir fühlen uns hier in der Nacht echt sicher." Außerdem werde im umzäunten Girls Camping auch nichts gestohlen, meinen sie. Gefeiert wird auch hier, wie die brüchige Stimme von Hannah beweist.

Heike aus Berlin ist als Solo-Camperin unterwegs, für die Toten Hosen und Ärzte hat sie eine achtstündige Anfahrt nach Nickelsdorf in Kauf genommen. "Ich habe ein VIP-Band und könnte auch im VIP-Bereich campen. Aber hier beim Girls Camp fühle ich mich wohler – und es ist lustiger." Anderen Besucherinnen, wie Helga und Andrea, ist es "eigentlich völlig wurscht, dass wir hier nur mit Mädels campen. Wir haben uns den Platz ausgesucht, weil er nah bei den Bühnen ist".

Speziell geschultes Personal

Neben dem eigenen Bereich für Frauen setzt Festival-Organisator Tatar auch auf besonders geschultes Security-Personal. Homophobie, Rassismus und Sexismus soll damit entgegen getreten werden. Respekt untereinander (unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, Musikgeschmack) werde am Nova Rock großgeschrieben. "Wer das nicht verstehen will, soll bitte daheim bleiben."

Europaweite Debatte

Das Nova Rock reiht sich mit diesen Maßnahmen in eine Reihe von Festivals ein, die sich gegen sexuelle Übergriffe und Belästigung bzw. unangebrachtes Verhalten der Besucher ganz allgemein wehren. Dass Festivals ein besonderer Nährboden für sexuelle Übergriffe sind, wird spätestens seit dem Sommer 2017 breit diskutiert. Nachdem es auf dem schwedischen Bråvalla-Festival zu 23 Anzeigen wegen sexueller Belästigung und zu weiteren fünf wegen Vergewaltigung gekommen war, wurde die Veranstaltung für 2018 abgesagt. Das schlug europaweit Wellen.

Speziell geschultes Personal gibt es seither auf allen größeren Festivals. Viele haben außerdem eigene Codewörter, mit denen man sich an Mitarbeiter wenden kann. Die wissen dann sofort Bescheid, dass es um eine Belästigung oder einen Übergriff geht, und können einschreiten.

Ein Rettungsanker beim Donauinselfest

Das Wiener Donauinselfest startete letzten Sommer die Kampagne "Ich bin dein Rettungsanker": Rund 650 Securitys und Mitarbeiter des Fests wurden sensibilisiert. Die Stadt war zufrieden und weitete das Konzept zunächst auf die Wiener Bäder und die Wiener Linien aus.

Mittlerweile läuft auch eine Kooperation mit der Gastro-und Clubszene. In den speziellen Schulungen gehe es einerseits um rechtliche Rahmenbedingungen, aber auch um Themen wie Deeskalation, Prävention von Belästigung und den Umgang mit Frauen, die sexuell belästigt wurden. Betriebe, die sich am Projekt beteiligen, verpflichten sich zur Schulung und Kennzeichnung ihres Personals mit dem Rettungsanker, zur Auflage von Infomaterial, zur Überprüfung der Räumlichkeiten auf Sicherheit – etwa was das Lichtkonzept anbelangt – und sie sollen Werbung mit sexistischen Sujets vermeiden. Mit an Bord ist beispielsweise der Club Volksgarten.

Frauenbühne auch für Männer

Auch andere Maßnahmen zielen darauf ab, das Festival- oder Partyerlebnis für Frauen zu verbessern: So gibt es beim Wiener Donauinselfest vom 21. bis 23. Juni erstmals einen Bereich, der sich insbesondere an Frauen richtet. Auf der Bühne der neuen "Ebner-Eschenbach Area" bei der U6-Brücke werden laut Organisator Thomas Waldner ausschließlich weibliche Acts auftreten – darunter Jazz Gitti, Birgit Denk, Yasmo und die Klangkantine oder das Kabarett-Duo Kernölamazonen.

Der Zutritt zum Bühnenareal mit einer Kapazität für mehrere tausend Besucher ist aber nicht nur Frauen vorbehalten. Auch Burschen und Männer sind willkommen, heißt es. Einige Programmpunkte am Nachmittag richten sich aber explizit an Mädchen und junge Frauen: So finden Workshops im Bereich Technik und Forschung statt, auch Mädchenhandball bekommt quasi eine Bühne.

Den Bereich exklusiv für Frauen zugänglich zu machen, war laut Waldner "nie geplant". Vielerorts wurde das zunächst aber so verstanden. Das räumt auch Waldner ein. "Wir haben das am Anfang vielleicht nicht so gut kommuniziert".

Mehr Künstlerinnen auf den Bühnen

Frauen treten aber nicht nur auf der neuen Donauinsel-Bühne auf: Insgesamt beträgt der Anteil von weiblichen Acts laut Waldner heuer 31 Prozent. Darunter versteht er Bands mit Front-Sängerinnen oder mindestens 50 Prozent weiblichen Mitgliedern. Viele andere Musikfestivals kommen über die 20-Prozent-Marke kaum hinaus. Beim Nova Rock betrug der Frauenanteil im Vorjahr beispielsweise nur vier Prozent.

Diesbezüglicher Vorreiter ist das Musikfestival Primavera Sound in Barcelona: Mehr als die Hälfte der auftretenden Acts heuer waren Frauen. Das habe sich auch auf das Publikum ausgewirkt, erzählt eine Österreicherin, die seit fünf Jahren regelmäßig zum Festival nach Spanien fährt. "Die Atmosphäre war viel angenehmer als in den Jahren davor. Ich fand es sehr cool." (Lara Hagen, David Krutzler, 16.6.2019)