Er nimmt die Mächtigen unter die Lupe wie einst der TV-Inspektor Columbo. David Barstow ist seit 1999 Redakteur bei der "New York Times" und heute leitender Investigativreporter. 2018 hat er mit Kollegen Steuerhinterziehungen der Familie Trump aufgedeckt. Für seine Recherchen ist er viermal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet worden, so oft wie niemand vor ihm. Am Donnerstag war er auf Einladung des Presserats zu Besuch in Wien.

STANDARD: Sie sind recht regelmäßig in Österreich. Welche Verbindung haben Sie zu dem Land?

Barstow: Glück hauptsächlich. Ich bin vor einigen Jahren vom Presserat eingeladen worden, vor Journalisten zu sprechen. Ich habe aus zwei Gründen zugesagt: Erstens bin ich mit dem Skifahren aufgewachsen, und viele meiner Kindheitshelden waren österreichische Skirennläufer, zum Beispiel Franz Klammer. Andererseits spreche ich nicht oft öffentlich, aber wenn ich wo gern spreche, dann vor anderen Journalisten.

STANDARD: War das Ibiza-Video in den USA ein Thema?

Barstow: Oh ja, und wie! Es war auf der Titelseite der "New York Times".

STANDARD: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Video gesehen haben?

Barstow: Als Journalist habe ich mich vor allem auf die Idee eines Politikers konzentriert, der versucht, die Medien zu kontrollieren. Die Strategie, Kontrolle über Medienunternehmen zu bekommen, indem man sie von wohlgesinnten Reichen kaufen lässt, die gewillt sind, Journalisten zu ersetzen die nicht spuren, scheint in Österreich und anderen Ländern Wurzeln zu schlagen. Es war schockierend das so direkt und unverblümt zu hören von einer der wichtigsten politischen Figuren Österreichs.

STANDARD: Das Video wurde den Journalisten von "Süddeutscher Zeitung" und "Spiegel", soweit wir das bisher wissen, zugespielt. Wäre es für einen investigativen Journalisten legitim, eine versteckte Kamera einzusetzen, um etwas aufzudecken, das von öffentlichem Interesse ist?

Barstow: Ich persönlich würde das nie tun. Als investigativer Journalist ist es mir wichtig, immer moralisch überlegen zu sein. Der Grund dafür ist, dass die ganze Idee hinter dem Journalismus, den ich mache, darin liegt, der Öffentlichkeit die Wahrheit näherzubringen. Dieses Ziel wird untergraben, wenn wir Lügen verwenden, um es zu erreichen. Noch wichtiger ist aber, dass raffinierte mächtige Politiker oder Unternehmen nichts anderes wollen, als die Aufmerksamkeit von ihren Fehlern auf die Fehler von Journalisten zu lenken. Dieser Preis ist viel zu hoch und auch zu unnötig, um ihn zu bezahlen. Ich bin überzeugt, dass es immer einen Weg gibt, an die Information zu kommen, ohne sich als jemand anderer auszugeben.

Vierter Pulitzerpreis: David Barstow mit Chefredakteur Dean Baquet (re.) und Kollegen Russ Buettner (li.) sowie Susanne Craig im Newsroom.
Foto: The New York Times/Hiroko Masuike

STANDARD: Im Zuge Ihrer letzten Recherche haben Sie Steuerhinterziehungen der Trump-Familie in den 80er- und 90er-Jahren aufgedeckt. Präsident Trump hat das in den Umfragen bisher nicht geschadet, und es gab auch keine juristischen Folgen. Ist es frustrierend, wenn eine Recherche keine Konsequenzen nach sich zieht?

Barstow: Nein, gar nicht, nicht für mich. Ich denke tatsächlich nicht darüber nach, ob meine Geschichten einen Einfluss haben oder nicht. Unsere Rolle als Journalisten in einer Demokratie ist es, der Gesellschaft Informationen zu geben, die es der Öffentlichkeit erlauben, bessere Entscheidungen zu treffen. Präsident Trump ist nicht der erste und wird auch nicht der letzte Politiker sein, der über seine Finanzen lügt. Was zählt, ist der Akt, diese Dinge zu veröffentlichen. Ich glaube nicht, dass es gesund für mich wäre, als investigativer Journalist daran zu denken, ob meine Geschichten einen Einfluss haben oder nicht. Dann würde ich nämlich meine Rolle verschieben. Dann wäre ich nicht mehr einfach jemand, der nach der Wahrheit sucht, sondern würde zu einem Protagonisten, einem Aktivisten, jemandem, der ein Interesse an dem Ergebnis hat. Und das will ich nicht.

STANDARD: Der Öffentlichkeit die Wahrheit näherbringen zu wollen – ist das nicht auch ein Anspruch?

Barstow: Klar, aber ein Anspruch, der nicht daran geknüpft ist, ob ein Politiker des Amtes enthoben wird oder in den Umfragen verliert oder gewinnt.

STANDARD: Warum schadet ein Skandal wie Steuerhinterziehung Donald Trump nicht?

Barstow: Also erstens, wenn man genau hinsieht, dann ändert sich schon viel an den Umfragen. Dazu kommt, dass Information Zeit braucht, um sich zu sammeln und auch um einzusickern. Die Menschen brauchen Zeit, um das zu verarbeiten.

STANDARD: Glauben Sie, es könnten sich noch Auswirkungen zeigen?

Barstow: Das weiß man nie. Es geht aber um etwas Grundsätzlicheres, das mit der Zeit zu tun hat, in der wir leben. Es ist heutzutage sehr leicht, sich seine eigene Informationsblase aufzubauen. Sobald die Worte "Fake-News" gefallen sind, erlaubt das jedem, der in dieser Blase lebt, andere Information gar nicht mehr zu beachten. Die Herausforderung für den Journalismus ist an dieser Stelle, noch härter zu arbeiten, nicht nur die Wahrheit aufzudecken, nicht nur Fakten auszugraben, sondern auch darüber nachzudenken, wie man diese Fakten einer größtmöglichen Menge an Menschen präsentieren kann. Auf eine Weise, die keinen Zweifel an der Echtheit der Geschichte lässt.

STANDARD: Laut dem "Digital News Report 2019" des Reuters Institute vertrauen nur 32 Prozent der Amerikaner den Medien. Gleichzeitig steigen die Leserzahlen einiger Zeitungen, zum Beispiel der "New York Times". Wie geht man als Zeitung mit dieser Spaltung um?

Barstow: Wir müssen einfach härter arbeiten. Wir müssen Geschichten auf eine Weise erzählen, die Kompetenz, Fairness und Genauigkeit vermittelt und einen unerschütterlichen Willen, unparteiisch die Fakten aufzudecken. Ich glaube, wir befinden uns in einem enormen Kampf zwischen der Welt, in der wir leben, und einer Welt der Fakten. Ein Kampf zwischen der Welt der Wissenschaft, Argumente und Fakten und der Welt der Propaganda, Lügen und Verschwörungstheorien. Diese Welten prallen aufeinander, und das ist keine Frage von links oder rechts.

David Barstow sprach am Donnerstag im Presseclub Concordia.
Foto: Presseclub Concordia/Mathias Zojer

STANDARD: Wie gewinnt man das Vertrauen von jemandem zurück, der einem so gar nicht mehr vertraut – wie wahrscheinlich einige Trump-Wähler Ihnen?

Barstow: Es kümmert mich nicht, ob Donald Trump gefällt, was ich schreibe oder nicht. Was mich kümmert, ist, ob die Menschen, nachdem sie meine Geschichte gelesen haben, denken: Okay, dieser Kerl hat seine Hausaufgaben gemacht. Egal was sie sonst von der Geschichte denken. Ich möchte, dass die Leser zumindest respektieren, dass diese Arbeit mit dem Ziel gemacht wurde, Fakten ans Licht zu bringen und uns näher an die Wahrheit heranzubringen.

STANDARD: Wie wirkt es sich auf Ihre Arbeit aus, dass Trump sagt, Journalisten seien die Feinde des Volkes?

Barstow: Auf die Arbeit, die ich mache, hat es keinen Einfluss.

STANDARD: Gab es bei der Trump-Recherche keinen Druck von außen?

Barstow: Natürlich, aber es gibt immer Druck. Wenn man schwierige Dinge über mächtige Menschen schreibt, dann drohen sie dir und tun alle möglichen Dinge, aber das gehört zum Geschäft, und es stört mich nicht. Dass ich das so einfach wegschieben kann, liegt aber an der Art von Journalismus, die ich mache, indem ich mich sehr in meine Langezeitrecherchen eingrabe. Der Journalismus generell muss, glaube ich, äußerst besorgt sein über eine Rhetorik wie "die Feinde des Volkes".

STANDARD: Hat sich das Leben als Journalist in Amerika verändert?

Barstow: Natürlich, sehr sogar. Ich erhalte viel mehr Drohungen als früher. Wir haben gerade erst Betonblöcke rund um das "New York Times"-Gebäude aufgestellt, um uns gegen Autobomben zu schützen. Die Sicherheitsmaßnahmen im Newsroom werden laufend verstärkt. Wir tun das, weil wir viel mehr ernstzunehmende Drohungen erhalten als früher. Und wir sind damit nicht allein. Ich meine, um Gottes Willen, es sind Bomben an CNN und andere Medienunternehmen geschickt worden. Man kann die Wut, die von dieser Rhetorik angefacht wird, in unserer Arbeit jeden Tag spüren.

STANDARD: Sehen Sie die Pressefreiheit in den USA in Gefahr?

Barstow: Ich denke, es ist eigentlich eine unglaubliche Zeit für den Journalismus in den USA. Vielleicht so etwas wie das goldene Zeitalter. Die Qualität der Arbeit ist wirklich erstaunlich. Auf der einen Seite ist es eine extrem aufregende Zeit, auf der anderen Seite sind da Zeichen am Horizont, die wir sehr aufmerksam beobachten müssen. Erst vor kurzem sind Polizisten in San Francisco in das Haus eines Journalisten eingedrungen, weil sie seine Quellen herausfinden wollten.

STANDARD: Eines Ihrer Vorbilder ist Columbo. Was gefällt Ihnen an ihm?

Barstow: Was ich an Columbo liebe, ist, dass der Antrieb für seine Arbeit ausschließlich Neugierde ist und keine Rache. Außerdem fühlt er sich immer sehr wohl in seiner Haut. Er versucht nicht, so zu sein wie die Menschen, gegen die er ermittelt. Er versucht nicht, reich und mächtig zu sein, er versucht nur seinen Job zu tun. Ich finde das eine sehr gute Mentalität. (Johannes Pucher, 15.6.2019)