Wien – Es ist das erste Minus über ein ganzes Jahr gerechnet, seit die Mindestsicherung 2011 eingeführt wurde: 2018 bezogen durchschnittlich 142.571 Personen in Wien die Sozialleistung, ein Rückgang um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr (150.150 Personen). Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die Leiterin der Abteilung Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht (MA 40), Agnes Berlakovich, präsentierten am Freitag im Rathaus aktuellste Zahlen.

Die Zahlen auf einen Blick.
Grafik: APA

Sieben von zehn Bezieher sind Aufstocker

Finanziell betrug der Gesamtaufwand 659,6 Millionen Euro. Im Jahr 2017 – dem Allzeithoch – waren es 680,6 Millionen. "Für das nächste Jahr rechnen wir mit einem weiteren Rückgang", sagt Hacker. An der Gesamtbevölkerung gemessen beträgt der Anteil der Mindestsicherungsbezieher in Wien 7,5 Prozent. 71 Prozent und damit der überwiegende Teil der Bezieher verfügen über ein anderes Einkommen und sind sogenannte Aufstocker. Damit erklärt sich auch der verhältnismäßig geringe durchschnittliche Betrag, der monatlich ausgezahlt wird: 345 Euro bei einem möglichen Höchstsatz von 870 Euro im Jahr 2018.

Starker Rückgang bei Jungen

Besonders stark ist der Rückgang bei der Gruppe der jungen Beziehenden: Rund 6.600 Personen zwischen 15 und 24 Jahren, die im Dezember 2017 noch Mindestsicherung bezogen, waren im Dezember 2018 seit mindestens drei Monaten nicht mehr darauf angewiesen. Damit sieht es auch bei dem Ziel, 10.000 Personen zwischen 15 und 24 Jahren bis 2020 aus dem Leistungsbezug zu bekommen, gut aus. "Wir gehen davon aus, dass wir das Ziel nächstes Jahr erreichen", sagt Hacker. Außerdem sank die Verweildauer, also wie lange jemand die Leistung bezieht, in der Gruppe der Jungen.

Die positive Entwicklung führt der Stadtrat auf das neue Wiener Mindestsicherungsgesetz zurück, das Anfang des Jahres in Kraft trat. Hier wurde stark auf die Gruppe der jungen Bezieher fokussiert. Leistungen wurden an die Teilnahme an Bildungsprogrammen geknüpft. Natürlich mache sich aber auch die gute Konjunkturlage bei dieser Gruppe besonders bemerkbar.

Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) freut sich über einen Rückgang bei den Beziehern von Mindestsicherung in Wien.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Plus bei Asylberechtigten

Hacker hat aber nicht nur gute Nachrichten, "es gibt einige Entwicklungen, die mir Sorge bereiten". Einige Gruppen können von der guten Wirtschaftslage nicht profitieren. Bei den Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten gibt es Zuwächse, wobei das Plus mit zehn Prozent geringer ausfiel als 2017. 2018 befanden sich 49.349 Asyl- und subsidiär Schutzberechtige in der Wiener Mindestsicherung – in absoluten Zahlen ein Plus von 4.433 Personen. Die Zahl der österreichischen Bezieher ging im Jahresvergleich um zehn Prozent zurück (66.266 Personen).

Die langsamen Asylverfahren würden sich einerseits noch immer bemerkbar machen, sagt Hacker. Andererseits treffe die Armutsbekämpfung – und das sei die Mindestsicherung für ihn – nicht die Ursachen von Problemen. Im Fall der Gruppe der anerkannten Flüchtlinge habe man diesbezüglich zu Recht einen Disput mit der Bundesregierung gehabt. "13.000 Menschen warten in Wien darauf, dass sie einen Platz für einen Deutschkurs bekommen. Gleichzeitig hat die Ex-Regierung bei den AMS-Deutschkursen deutlich gekürzt." Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte die Bundeshauptstadt bekanntlich mehrmals scharf für die dort an den Tag gelegte Sozialpolitik.

Im von der schwarz-blauen Regierung beschlossenen Gesetz zur neuen Mindestsicherung, die nun wieder Sozialhilfe heißt, wurde bekanntlich festgelegt, dass, um die Leistung in voller Höhe beziehen zu können, ein Pflichtschulabschluss mit Deutsch als primärer Unterrichtssprache oder der Nachweis des Sprachniveaus Deutsch als Zweitsprache auf B1-Niveau oder Englisch auf C1-Niveau notwendig ist. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, bekommen Betroffene mindestens 300 Euro pro Monat weniger.

Das Grundsatzgesetz der Ex-Bundesregierung sieht bei Kindern teilweise Kürzungen vor.
Grafik: APA

Plus bei Menschen ab 60

Sorgen bereitet Hacker aber auch ein Anstieg der Altersarmut. Bei Älteren – also Beziehern über 60 Jahren – ist die Gruppe der Mindestsicherungsbezieher in Wien gewachsen. In der Altersgruppe 61 bis 65 stieg die Zahl der Bezieher um zwei Prozent (5.103 Bezieher), bei den Menschen ab 66 Jahren gab es ein Plus von drei Prozent (8.917 Bezieher). Hacker kommt diesbezüglich auf die aktuelle Debatte zu sprechen, die Mindestpensionen anzuheben. ÖVP und FPÖ wollen ja gemeinsam beschließen, dass mit 1. Jänner 2020 Personen mit 40 Beitragsjahren 1.200 Euro Pension bekommen statt 995. "Die 40 Beitragsjahre sind hierbei das Kleingedruckte. Denn wen trifft das hauptsächlich? Männer", sagt Hacker, der in dem Zusammenhang die Streichung der Aktion 20.000 kritisiert.

Viele Kinder

Die dritte Gruppe, die dem Sozialstadtrat Kopfzerbrechen bereitet, ist jene der Kinder. Über 14 Prozent der Kinder in Wien sind auf Mindestsicherung angewiesen. "Ein Großteil dieser Kinder wäre von geplanten Kürzungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz der Bundesregierung betroffen", sagt Hacker. In Wien lege man "die größte Aufmerksamkeit" auf diese Gruppe, vor allem in der Frage, wie man in der Bundeshauptstadt das Grundsatzgesetz umsetzen wird. Eigentlich ist nur bis Jahresende Zeit dafür. Wien hat bekanntlich mehrmals Widerstand angekündigt und geht – allerdings über den Bundesrat – bis an den Verfassungsgerichtshof, um das neue Gesetz zu bekämpfen.

Hacker bleibt bei seiner Kritik am Grundsatzgesetz der ehemaligen Bundesregierung und hat mit der Umsetzung keine Eile.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Widerstand gegen Gesetz der ehemaligen Regierung

Hacker ist deswegen bezüglich der Umsetzung "nicht in Eile". Man befinde sich ja nicht im rechtsfreien Raum, "wir haben ein Gesetz, das den Sinn und Zweck der Armutsbekämpfung gut erfüllt. Aber natürlich sitzen wir nicht herum und schlürfen Caipirinha." Der Stadtrat setze sich demnächst mit der neuen Sozialministerin zusammen. Fest stehe aber eines: "Wir werden kein Gesetz beschließen, das 40.000 Kinder in die Armut schickt."

Die SPÖ-Bundesräte haben die Klage beim Verfassungsgerichtshof übrigens noch nicht eingebacht, wie der STANDARD auf Nachfrage erfuhr. Das werde aber "noch vor dem Sommer" geschehen.

Kritik der ÖVP

Die ÖVP erkennt zwar den leichten Rückgang bei den Beziehern an, sieht aber "Realitätsverweigerung", wie es in einer ersten ÖVP-Aussendung heißt. "Die massiven Mängel des Wiener Mindestsicherungssystems bleiben bestehen", sagt der nichtamtsführende Stadtrat Markus Wölbitsch. "In Anbetracht der derzeitigen Hochkonjunktur und der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen würde alles andere als ein Rückgang jeder Logik widersprechen." Gefordert wird von den Schwarzen auch, das Grundsatzgesetz rasch umzusetzen. "Die Reform bringt neue Gerechtigkeit, gerade für Wien. Daher appellieren wir an die SPÖ Wien, hier nicht länger zu blockieren. Wien darf nicht länger der Sozialmagnet Österreichs sein." (lhag, krud, 14.6.2019)