Wollen Sie wissen, was das erste Essen war, das jemals im Weltall verspeist wurde? Steak mit Erdäpfeln. Das konnte der Astronaut Juri Gagarin fein püriert aus einer Tube in seinen Mund quetschen. "Food Intake", übersetzt Nahrungsaufnahme, nannte man die Mahlzeiten im Weltraum, als die ersten Astronauten wie Gagarin oder Neil Armstrong Richtung Mond flogen. Der Name war Programm. Was zählte, waren Haltbarkeit und platzsparende Verpackung – der Geschmack war völlig nebensächlich.

Sterneküche fürs All

So wie sich die Raumfahrt weiterentwickelt hat, wurde über die Jahre auch die Astronautennahrung revolutioniert. Mittlerweile hat sich sogar der französische Sternekoch Alain Ducasse des Essens im Weltraum angenommen und 30 Gerichte entwickelt, die allesamt frei von Bakterien sind, keine Brösel bilden oder Flüssigkeiten beinhalten, die in der Schwerelosigkeit davonfliegen und Probleme verursachen könnten. "Gewürztes Stubenküken" und "Thunfisch in Zitronensauce" oder "Spirulina Gnocchis" à la Ducasse landeten schon auf dem Mittagstisch der internationalen Raumstation ISS. Fun-Fact: Die in den Gnocchi verarbeitete Algenart Spirulina enthält nicht nur viele Vitamine und Spurenelemente, sondern könnte sogar im Weltraum gezüchtet werden. Um derlei sowie den Anbau von Tomaten und Co in unwirtlichen Bedingungen zu testen, experimentieren Forscher am irdischen Südpol mit dem Anbau von Gemüse.

Thomas Pesquet's erklärt den Speiseplan auf der ISS.
European Space Agency, ESA

Als weltraumtauglich gilt Nahrung, wenn sie mindestens zwei Jahre haltbar ist, ausreichend Nährstoffe liefert und wenig Wasser enthält (das spart Transportkosten). Mehr als 2.000 Weltraumspeisen fallen bereits in diese Kategorie – vom pulverisierten Orangensaft bis zur Suppe. "Die Qualität ist dabei seit Anfang der 2000er-Jahre enorm gestiegen", erklärt Petra Frings-Meuthen, seit 2004 Ernährungswissenschafterin am DLR, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, in Köln.

Petra Frings-Meuthen, Ernährungswissenschafterin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Foto: DLR

Mehr Schärfe im All

Dafür gibt es mehrere Gründe. Ging es früher vor allem um Kalorienaufnahme, so soll jetzt auch die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit der Astronauten durch gute Ernährung optimiert werden. "Die Anforderungen im All sind andere als an Land", sagt Frings-Meuthen. Der Wegfall der Schwerkraft wirkt sich auf die Knochendichte und Muskelmasse aus. Also muss das Essen unter anderem ausreichend Calcium liefern.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch die soziale Komponente, sagt Gernot Grömer, Leiter des Österreichischen Weltraum Forums ÖWF. Die Astronauten befinden sich auf Mission in einer Extremsituation. Obwohl sie auf engstem Raum ihren Alltag verbringen, verfolgt doch jeder eigene wissenschaftliche Ziele und arbeitet für sich. "Das gemeinsame Essen ist bisweilen die einzige Möglichkeit für einen Austausch untereinander, bleibt aber gleichzeitig auch ein Moment gefühlter Individualität im All." Denn wie viel Pfeffer in die mit Wasser angerührte gefriergetrocknete Suppe kommt, entscheidet jeder Astronaut für sich selbst.

Gernot Grömer, Leiter des Österreichischen Weltraumforums ÖWF.
Foto: Oewf/Florian Voggeneder

Übrigens wird im All generell stärker gewürzt als auf der Erde, das beobachtet ÖWF-Direktor Grömer bei den von ihm geleiteten Missionen der Analog-Astronauten, die zu Forschungszwecken auf der Erde die Bedingungen im Weltall nachstellen. Eine weitere Erklärung dafür liefert Ernährungswissenschafterin Frings-Meuthen: "Im Weltraum verteilt sich das Wasser im Körper anders. Es wandert in den Kopf. Dadurch schwellen die Geschmacksknospen an, dadurch verändert sich die Wahrnehmung von Schärfe."

All diese Erkenntnisse fließen in die Erstellung des Speiseplans ein. Als Analog-Astronauten in der Wüste des Oman acht Wochen lang eine Marsmission simulieren sollten, beauftragte das ÖWF die FH Gesundheitsberufe OÖ in Linz mit dem Projekt, eine ausgewogene Nahrungsfolge zu gewährleisten. Die Aufgabenstellung an die Diätologin Petra Eberharter und den Studienleiter Klaus Nigl: Rezepte zu entwickeln, welche die Crew mit einer minimalen Möglichkeit zur Kühlung selbst zubereiten kann. Dabei sollten auch nur Zutaten zum Einsatz kommen, die mehr als 200 Tage haltbar sind und zum Großteil aus der Region – in dem Fall dem Oman – kamen.

Falafel-Burger für den Mars

Als Ergebnis der Tüftelei entstanden Gerichte wie "Falafel-Burger mit Humus-Dip" oder "Truthahn-Curry mit Mais" (aus tiefgefrorenem Fleisch). Im Gewächshaus in der Wüste konnte sogar Kresse für die Gerichte gezogen werden. Eberharter: "Frische Kräuter waren ein Highlight im Ernährungsplan." Erschwerend war, dass sich auf der simulierten Mission zwei Veganer befanden, für die die Diätologin einen individuellen Plan entwickeln musste.

Auch vor tatsächlichen Weltraummissionen wird der Bedarf jedes Astronauten genau errechnet, werden die Speisen auf kulturelle Unterschiede oder spezielle Ernährungsformen angepasst. Dazu vergibt die Crew in sogenannten "Tasting Panels" Punkte von eins bis neun an eine Vorauswahl an Speisen. Nur Gerichte, die im Schnitt mit mehr als sechs Punkten bewertet werden, dürfen mit ins All. "Das Essen ist ein wesentlicher Faktor, um die Leute da oben bei Laune zu halten", sagt die auf Weltallnahrung spezialisierte Wissenschafterin Petra Frings-Meuthen. Weshalb es auch immer mehr Bestrebungen gibt, Weltraumessen aus Frankreich, Deutschland, Japan, Kanada und auch Österreich zu kreieren.

Noch wird die Allnahrung vorwiegend in den USA oder Russland produziert. Die Freude an einer hitzebehandelten Linzertorte im Glas sei aus soziokulturellen Gründen kaum zu übertreffen, so Grömer. Süßes ist ohnehin wichtig, um bei solchen Missionen die Motivation zu erhalten, sagt auch Frings-Meuthen. So ist bei fast jeder Mission "Candy Coated Chocolate" an Bord, kleine Schokolinsen, die aus Markengründen im Weltraum nicht "M&Ms" genannt werden dürfen. In der Testumgebung im Oman hatte die Mannschaft als Snack den gefriergetrockneten Eisriegel "Astronauts Ice Cream" an Bord. Der sei für die "Trockenübung" geeignet, fürs All jedoch nicht. Und was taugt er für den Alltag? Die STANDARD-Redaktion hat ihn verkostet. Das Ergebnis lesen Sie hier:

Test: "Astronaunts Ice Cream" im Gourmet-Check

Die "Astronauts Ice Cream" ist das, was eine Google-Suche zu "Space Food" mit als Erstes ausspuckt – und wurde sogar zur Simulation einer Marsmission in der Wüste des Oman mitgenommen. Das aber eher als kleiner nostalgischer Gag für die Test-Crew, denn, so bestätigen Weltraumexperten: Von echtem Weltraumessen könnte dieser Eisriegel nicht weiter entfernt sein – von echtem Eis übrigens auch nicht. Zwar ist die Neapolitaner-Schnitte sehr knusprig, dies führt aber dazu, dass die Stücke beim Teilen wild in alle Himmelsrichtungen springen. Ein No-Go im All. Damit der Riegel zumindest ansatzweise echter Astronautennahrung entspricht, wurde dem "Astronauts Ice Cream" das Wasser entzogen.

Süß und mit Schaumstoffnote: Astronauts Ice Cream
Foto: heidi seywald

Übrig bleibt ein Riegel-Leichtgewicht von 28 Gramm in den Geschmacksrichtungen Vanille, Erdbeere und Schokolade, optisch bereits an den Farben Rosa, Gelb und Braun zu erkennen. Dieses Farbleitsystem hilft, denn geschmacklich lassen sich die Nuancen leider gar nicht wahrnehmen. Auf dem Gaumen entwickelt sich nach dem ersten Biss stattdessen eine interessante Note aus PU-Schaum und Wattebausch.

Oder, um es noch deutlicher zu sagen: Der Eisriegel schmeckt zunächst nach nichts. Doch dann breitet sich Süße aus, massive Süße. Derlei überdeckt bekanntlich vieles. Nach dem Schlucken zeigt sich eine weitere interessante Facette der Konsistenz: Trotz durch die Schnitte verursachten Schaumstoffbreis legt sich das Eis wie Karamell über die Zähne – und bleibt dort. Ein langer Abgang, würde man in der Weinwelt sagen. Bleibt die Vorstellung, dass der Astronaut, wenn er im luftleeren Raum an der Außenseite der ISS herumschraubt, so immerhin länger etwas von seiner Schoki haben könnte. (Nina Wessely, 17.6.2019)