Wien – Österreich ist bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie säumig, welche die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärkt, die als Verdächtige oder Beschuldigte in Strafverfahren geführt werden. An sich hätte die Richtlinie bis zum 11. Juni 2019 umgesetzt werden müssen, eine innerstaatliche Regelung ist bisher allerdings nicht in Kraft getreten.

Damit ist Österreich nicht allein. Bisher hätten lediglich sechs Mitgliedstaaten die Richtlinie in innerstaatliches Recht gegossen, berichtete Helmut Sax, auf Kinderrechte spezialisierter Experte am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, der APA. Sax begrüßte es, dass die EU nach dem Opferschutz nun auch die Verfahrensrechte von beschuldigten Jugendlichen forciert.

Seit 11. Juni unmittelbar anwendbar

Mangels eines nationalen Gesetzes ist die Richtlinie seit 11. Juni unmittelbar anwendbar, bestätigte am Freitag Michaela Sanda, stellvertretende Leiterin der Fachgruppe Jugendstrafrecht in der Richtervereinigung. Man habe daher den Jugendrichtern empfohlen, als Tatverdächtige festgenommene Jugendliche grundsätzlich nicht mehr ohne anwaltlichen Beistand zu vernehmen, um der Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates vom Mai 2016 genüge zu tun. "Notfalls wird man auf sogenannte Verteidiger in Bereitschaft zurückgreifen müssen, die in der entsprechenden Liste der Anwaltskammer ausgewiesen sind", erläuterte Sanda im Gespräch mit der APA.

Die Richtlinie schreibt vor, dass Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr unverzüglich von einem Rechtsanwalt unterstützt werden müssen, sobald sie Kenntnis davon haben, dass sie als Verdächtige oder Beschuldigte gelten. Das bezieht sich schon auf den Zeitpunkt vor der polizeilichen Erstbefragung. Die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, mit dem Anwalt unter vier Augen zusammenzutreffen und sich mit diesem zu besprechen, bevor sie formal vernommen werden.

Ohne Anwalt keine U-Haft

Zur Wahrung der Verteidigerrechte der Betroffenen kann ohne anwaltliche Vertretung über unter 18-Jährige auch keine U-Haft verhängt werden. Gerichte dürfen über diese Personengruppe keine Freiheitsstrafe mehr verhängen, wenn kein Verteidiger anwesend ist. Ist kein Anwalt zugegen, müssen die Behörden "die Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen für eine angemessene Zeit verschieben", sieht die Richtlinie vor.

Aus dem Justizministerium hieß es auf APA-Anfrage, in Entsprechung der EU-Richtlinie sei ein Gesetzentwurf vor der Fertigstellung. "Es müssen nur mehr letzte notwendige Abstimmungen vorgenommen werden. Dann geht der Entwurf in Begutachtung", versicherte die Sprecherin von Justizminister Clemens Jabloner, Britta Tichy-Martin, der APA. (APA, 14.6.2019)