Als Sebastian die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und die Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie:

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Sebastian ist durch ein Misstrauensvotum abgewählt worden. Ich aber sage euch: Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden!

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Sebastian hat schon mit dem Wahlkampf begonnen. Ich aber sage euch: Ich freue mich, dass ich mich nun in aller Ruhe mit den Menschen austauschen kann.

Okay, genug, sonst gibt's noch Ärger mit dem Blasphemieparagrafen. Es ist natürlich das gute Recht des ehemaligen Bundeskanzlers, keinen Sitz im Nationalrat anzunehmen und dann "das Parlament" (oder "Rot-Blau") gegen "das Volk" auszuspielen.

Es ist das gute Recht des Politikers Sebastian Kurz, mit aller Macht von dem Faktum abzulenken, dass er es war, der die nun gescheiterte Koalition mit der FPÖ wollte, obwohl jede Evidenz seit Jahren beweist, dass diese Partei nicht regierungsfähig ist.

Es ist auch das gute Recht des Sebastian Kurz, seine blendend eingespielte Maschine sofort anzuwerfen und über den Sommer durch Österreich zu ziehen und einen Wahlkampf zu machen, der aber nicht Wahlkampf heißen darf.

Pech für die Konkurrenz, besonders für die deroutierte SPÖ, wenn sie das nicht zusammenbringt, nachdem sie schon verabsäumt hat, den Haarriss zu erweitern, den die Erzählung durch seine Abwahl erhalten hat.

Schein der Veränderung

Kurz plakatiert: "Die Veränderung hat erst begonnen". Genauso gut könnte man sagen: "Die Inszenierung hat eben erst wieder begonnen". Aber was will Kurz?

Die Antwort ist auf drei Ebenen zu suchen. Auf der inhaltlichen: Was ist wirklich die Veränderung? Eine Übersicht im STANDARD ("Türkis-blaue Spuren") lässt sich so zusammenfassen: ein dickes Bündel von populären Schikanen für "Ausländer" und "Asylanten"; Entmachtung von "Roten" in der Sozialversicherung; Ansätze zum Umbau des Bildungssystems im konservativen Sinn; Zulassen, dass die FPÖ im Sicherheitsapparat die Macht ergreift; Ansätze zu einer Steuersenkung und wirtschaftsfreundliche Detailmaßnahmen. Sehr oft wurde der Schein der Veränderung erweckt, aber (noch?) keine substanzielle Veränderung erreicht.

Zweitens: die Metaebene. Kurz meint es da ernst mit der "Veränderung". Er will keine herkömmliche Partei mehr, sondern eine auf ihn zugeschnittene Erweckungs- und Erlösungsbewegung. Er will aber auch die herkömmliche Konsensdemokratie nicht mehr, sondern etwas, wo die Grenze zu einem soften Autoritarismus verschwimmt. Die konservative "FAZ" schreibt, man müsse Kurz allmählich fragen, welches politische System er anstrebt. Doch das muss man ihm lassen: Er flößt sehr vielen Menschen in Österreich Vertrauen ein.

Die dritte Ebene ist aber sozusagen die politisch-technische. Wie und mit wem will Kurz das nach den Wahlen umsetzen? Angenommen, es geht sich aus: Die Neos wären bereit für eine Koalition. Aber auch Beate Meinl-Reisinger sagt in der "Presse", sie wisse nicht, wofür Kurz steht.

Er will auf jeden Fall, dass "die Volkspartei nach den Wahlen eindeutig den Ton angibt". Das hat er sofort nach dem Aufkündigen der Koalition mit der FPÖ verkündet. Ob er das in einer neuerlichen Koalition mit einer verkleinerten FPÖ macht oder in einer mit den Neos oder (heimliche Überlegung) als Chef einer Minderheitsregierung, die sich jeweils Mehrheiten sucht – der jeweilige Partner hat nicht viel zu erwarten.

Sebastian Kurz will letztlich eine De-facto-Alleinregierung, das wollte er schon mit seinem Übergangskabinett. Bis das jemand begriffen hat und den Kanzlersturz einleitete. (Hans Rauscher, 14.6.2019)