Im blauen Paralleluniversum ist Heinz-Christian Strache nicht mehr der Prototyp des korrupten Politikers, sondern das Opfer einer bösen Intrige

Foto: Heribert CORN

Vier Wochen ist es her, dass sich Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video als Mann entlarvt hat, der für Macht und Parteispenden bereit ist, die Republik zu verkaufen. Doch zumindest für die FPÖ scheinen diese dramatischen Bilder in eine ferne Vergangenheit gerückt. Im blauen Paralleluniversum ist Strache nicht mehr der Prototyp des korrupten Politikers, sondern das Opfer einer bösen Intrige, das für ein paar unbedachte Aussagen in einer heißen Sommernacht mit seinem Rücktritt als Vizekanzler und Parteichef schon ausreichend gebüßt hat – und seine tierliebende Frau Philippa noch mehr.

Dass Strache das EU-Mandat annimmt, das ihm aufgrund der zehntausenden Vorzugsstimmen zusteht, will sein Nachfolger an der Parteispitze, Norbert Hofer, unbedingt verhindern. Denn das würde im kommenden Nationalratswahlkampf nicht gut ausschauen. Aber danach scheint dem politischen Comeback des gefallenen Helden, etwa in Wien, nicht viel entgegenzustehen. Denn in Teilen der blauen Basis hat Strache durch Ibiza sogar an Popularität gewonnen.

Besser ein Außenseiter als ein Vizekanzler

Das Image des beherzten Außenseiters, der mit unzähligen Facebook-Postings gegen ein feindliches Establishment kämpft, passt besser zu ihm als das des saturierten Vizekanzlers. Und mit Philippa steht ihm eine Frau zur Seite, die mit Tier- und Kinderliebe dem Idealbild vieler Wähler entspricht. Ihre Kandidatur für die Nationalratswahl ist ein klares Zeichen, dass die Partei die Ibiza-Affäre als erledigt betrachtet.

Was Strache und der FPÖ in die Hände spielt, ist die Dominanz des Scheins in der österreichischen Politik. Zwar erlebt die Sachpolitik dieser Tage eine unerwartete Renaissance. Der Nationalrat wird von Gesetzesinitiativen überflutet, die dank wechselnder Mehrheiten auch verabschiedet werden. Manches davon hat vor allem Symbolwert, etwa das Verbot der Wasserprivatisierung; anderes wie das Glyphosat-Verbot oder die Schließung des Wiener Abdullah-Zentrums könnte bei der Umsetzung die Erwartungen enttäuschen.

Phase gesetzgeberischer Aktivität

Insgesamt aber erleben wir gerade eine Phase gesetzgeberischer Aktivität, in der die SPÖ und die Liste Jetzt ihre Vorstellungen am besten durchbringen können. Das sind genau jene Parteien, denen für die Nationalratswahl im September schlechte Erfolgschancen eingeräumt werden. Konkrete Sachpolitik, das zeigt die Erfahrung, wird bei Wahlen nur selten belohnt.

Da kann die neue Inszenierung von Altkanzler Sebastian Kurz mit mehr Applaus rechnen. Er nutzt seine neu gewonnene Freizeit, um mit einer Botschaft durchs Land zu wandern, die vor allem aus seinem Namen besteht. Dank seiner Popularität kann die ÖVP die kleinen Niederlagen im Nationalrat leicht wegstecken. Die Wähler mögen sich über Wohltaten wie den Rechtsanspruch auf den Papamonat oder ein erhöhtes Pflegegeld freuen, aber werden dann doch für jene Partei stimmen, die das verhindern wollte.

Die Kunst der Kanzlerin, nichts zu sagen

Darüber schweben eine Regierung und eine Kanzlerin, die ganz bewusst der inhaltlichen Politik eine Absage erteilt. Ihr erster Versuch, Medienkontakte abzuwürgen, ging zwar nach hinten los. Aber nun hat Brigitte Bierlein die Kunst, in Interviews gar nichts zu sagen, perfektioniert. Ihr einziges Ziel ist es, das durch Ibiza stark beschädigte Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen.

Wie ihr das gelingen soll, wenn gleichzeitig der Verursacher der Krise zurück auf die politische Bühne drängt, ist ein Rätsel. Aber in einem Land, in dem der Schein ständig das Sein verdrängt, muss man sich gar nicht wundern, was alles möglich ist. (Eric Frey, 15.6.2019)