Bild nicht mehr verfügbar.

Spurensuche am Tatort.

Foto: REUTERS/Ralph Orlowski

Trauergottesdienst für Walter Lübcke

Foto: APA/dpa/Swen Pförtner

Die Indizien, dass es sich beim Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke um einen Anschlag mit politischem Hintergrund handeln könnte, verdichten sich. In der Nacht auf Sonntag hatte die Polizei in Kassel einen Verdächtigen verhaftet. Wie sich nun herausstellt, handelt es sich dabei um einen 45-jährigen Mann, der laut verschiedenen Medien zumindest früher Kontakte ins rechtsextreme Milieu unterhalten hatte. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Ein Sprecher der Behörde bestätigte am Montagnachmittag entsprechend Medienberichte. Man gehe von einem rechtsextremistischen Hintergrund für die Tat aus. WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung berichten davon, dass die Ermittler inzwischen auch Hinweise auf mögliche Mittäter prüfen.

Lübcke war Anfang Juni im Garten seines Hauses in der Nähe von Kassel aus nächster Nähe mit einer Kleinkaliberpistole in den Kopf geschossen worden. Der hochangesehene CDU-Politiker erlag noch in derselben Nacht in einem Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Lübcke wurde 65 Jahre alt.

Lange rechte Vorgeschichte

Verdächtig gemacht hatte den nunmehr Verhafteten ein DNA-Treffer. An der Kleidung des getöteten CDU-Politikers sollen sich demnach Spuren befunden haben, die einen Treffer in der DNA-Analysedatei des Bundeskriminalamtes ergeben hatte.

Der 45-jährige mutmaßliche Täter ist laut Medienberichten polizeibekannt. Wegen einer früheren, schweren Straftat war der Mann erkennungsdienstlich registriert. Die Zeit berichtet außerdem online, der Mann habe zu Beginn der 1990er-Jahre mit einer Rohrbombe eine Asylwerberunterkunft in der hessischen Provinz angegriffen. Der Verdächtige, den Medien Stephan E. nennen, habe ein Auto angezündet, Bewohner der Unterkunft hätten den Brand aber rechtzeitig vor der Detonation der Bombe löschen können.

Stephan E. wurde daraufhin zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. 1992 habe sich der Mann dann wegen versuchten Totschlags gegen einen Ausländer schuldig gemacht. Auch wegen Verstößen gegen das Waffengesetz soll der mehrfach Vorbestrafte bereits in Erscheinung getreten sein. Der Rechercheverbund von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" berichtet darüber hinaus von Verbindungen zur militanten Rechtsextremen-Szene, worauf Stephan E. ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sei. Außerdem heißt es, Stephan E. sei zu Jahrtausendbeginn mit der besonders militant geltenden Neonazi-Gruppierung "Combat 18" in Verbindung gestanden, um die es zuletzt etwas ruhiger geworden sei. Allerdings gibt es Indizien, so Spiegel online, dass "Combat 18" sich zuletzt wieder aktiver gezeigt habe. Auf seinem persönlichen Youtube-Kanal soll der Tatverdächtige jedenfalls zuletzt Mordfantasien gegenüber Politikern geäußert haben.

Seit 2015 auf Todesliste

Ob er noch heute aktiv in der Szene ist oder mit ihr sympathisiert, ist unbekannt. Laut Berichten soll der Tatverdächtige den Behörden in den letzten Jahren nicht mehr aufgefallen sein. Ein persönliches Verhältnis zum getöteten CDU-Politiker liegt laut dem Bericht jedenfalls nicht vor.

Ein politischer Hintergrund der Tat wurde schon kurz nach dem Tod Walter Lübckes in den Medien in Betracht gezogen, obschon die Behörden zunächst auch im persönlichen Umfeld des Getöteten ermittelt hatten. Am Pfingstwochenende wurde ein Sanitäter, der am Tatort geholfen hatte, als Tatverdächtiger vorübergehend in Gewahrsam genommen, später aber wieder freigelassen.

Der Verdacht einer politischen Tat kam auf, da Lübcke, als 2015 die Zahl der nach Deutschland reisender Flüchtlinge anstieg, aus rechtsradikalen Kreisen mit dem Tod bedroht worden war und vorübergehend Polizeischutz erhielt. Lübcke verteidigte bei einem Bürgertreff in der hessischen Provinz den Bau einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, worauf er von Rechten ausgepfiffen worden war. Der CDU-Politiker hielt den Störern daraufhin entgegen, dass es jedem, dem es nicht passe, dass in Deutschland Flüchtlinge aufgenommen würden, freistehe, "dieses Land zu verlassen."

Lübckes damalige Rede tauchte erst im Februar dieses Jahres erneut im Internet auf – gänzlich aus dem Zusammenhang gerissen. Abermals stieß Lübcke damals in der rechtsextremen Szene auf Hass und Ablehnung.

Für Empörung sorgten – über den Tatverdacht hinaus – Kommentare aus dem rechtsextremen Milieu nach Bekanntwerden von Lübckes Ermordung. Hämische und zynische Kommentare wie "Da mache ich mir gleich mal einen Sekt auf" oder "Jetzt schmort er in der Hölle" tauchten im Internet auf. Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete die Reaktionen als "zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig".

Der Verdächtige schweigt

Grüne, FDP und AfD im Bundestag forderten am Montag wegen "der dramatischen und beunruhigenden Entwicklung", wie ein Sprecher der Grünen sagte, eine Sondersitzung des Innenausschusses. Die Behörden wollen weitere Informationen erst im Verlauf der Woche bekanntgeben. Ungeklärt ist auch die Frage, ob die Tat allein geplant und durchgeführt worden war oder ob es weitere Tatverdächtige gibt.

Wegen der Bedeutung des Falles und des Verdachts "eines rechtsextremistischen oder rechtsterroristischen Hintergrunds" war der Fall erst nach Bekanntwerden des Verdächtigen bei der Generalbundesanwaltschaft gelandet. Der Mann schweige zu den Vorwürfen, heißt es. (Christoph Reichmuth aus Berlin, 18.6.2019)