Anselm Pahnke radelt 40.000 Kilometer durch 40 Länder. Auf dem afrikanischen Kontinent filmt er sich selbst dabei – der Film "Anderswo. Allein in Afrika" entsteht.

Foto: Anselm Pahnke

Als 24-Jähriger löst Anselm Pahnke seine Hamburger Wohnung auf und fliegt nach Südafrika. Sein Plan: mit zwei Gleichgesinnten, die er über das Internet kennenlernt, ein paar Wochen lang durch die Gegend zu radeln. Mitten in der Wüste entscheiden sich seine Begleiter, die Tour abzubrechen.

414 Tage lang fährt der Hamburger Anselm Pahnke mit seinem Fahrrad von Südafrika quer durch den afrikanischen Kontinent bis nach Ägypten.
Avalia Studios

Pahnke bleibt allein in der Kalahari zurück und beschließt weiterzufahren – in 414 Tagen radelt er vom Süden des Kontinents 15.000 Kilometer durch 15 Länder bis in den Norden nach Ägypten. Dabei nimmt er rund 40 Stunden Filmmaterial mit einer Kompaktkamera auf. Gleich nach der Afrika-Tour wird er weitere 25.000 Kilometer durch 40 Länder bis nach Australien radeln – ohne Kamera. Als er mehr als drei Jahre später nach Deutschland zurückkehrt, sichten Profis die Aufnahmen aus Afrika und überzeugen Pahnke, daraus den Film Anderswo. Allein in Afrika zu machen. Schon in den ersten zwölf Wochen sehen ihn mehr als 50.000 Kinozuschauer. RONDO trifft Pahnke bei einer Vorführung in Wien, zu der er natürlich mit dem Rad anreist.

STANDARD: Warum Afrika und warum mit dem Rad?

Anselm Pahnke: Während meines Studiums der Geophysik beschäftigte ich mich mit der Küstenlinie Angolas und dachte mir: Kannst ja mal nach Afrika fliegen und das Rad mitnehmen.

STANDARD: Sie haben sich bestimmt intensiv auf diese Reise vorbereitet.

Pahnke: Ich habe zwei Tage für die Vorbereitungen gebraucht und nur das Nötigste eingepackt. So bin ich ohne Schlafsack im Gepäck hingeflogen, weil ich dachte, in Afrika ist es eh immer warm. Schon in den ersten Tagen in Südafrika habe ich in den Nächten gefroren. Ich hatte keine Vorstellungen, was mich erwartet oder wo ich als Nächstes hinwollte. Ich plane nie lange im Vorhinein, denn Ziele erzeugen immer Scheuklappen.

Drei Monate lang kämpft sich Pahnke durch die Sahara. Hier findet er erstmals Schutz vor dem unerbittlichen Nordwind.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Gingen Ihre Begleiter auch so unbedarft an die Sache heran?

Pahnke: Nein, die beiden sind erfahrene Radler. Ich habe im Internet nach Begleitern gesucht, weil aus meinem Freundeskreis niemand nach Afrika mitkommen wollte. Erst fünf Tage vor meinem Abflug nach Kapstadt haben sich die beiden bei mir gemeldet.

STANDARD: Zwei völlig Fremde?

Pahnke: Ja, aber der Wunsch, die Tour durchzuziehen, war größer als die Angst, mit Unbekannten aufzubrechen. Und ich hatte zu diesem Zeitpunkt große Angst vor dem Alleinsein.

STANDARD: Die vermutlich nicht kleiner wurde, als die beiden die Tour abbrachen und Sie allein in der Kalahari zurückließen.

Pahnke: Nein, aber sie hatten ernsthafte private Gründe, für die ich Verständnis habe. Der Moment ihres Aufbruchs kam dennoch plötzlich, was mich vor die Entscheidung stellte: Soll ich aufgeben oder mich meinen Ängsten stellen und alleine weiterfahren?

Mit einer einfachen Kompaktkamera schießt Pahnke tausende Fotos von sich und seiner Fahrt durch Afrika: Menschen am Bunyonyisee in Uganda.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Was haben Sie gegen das Gefühl der Einsamkeit unternommen?

Pahnke: Ich führte Selbstgespräche wie mit einem kleinen Kind. Und ich berührte mich selbst. Außerdem gaukelte ich mir immer vor, ich wäre nur noch den nächsten Tag unterwegs. Dann habe ich wieder einen Tag angehängt. Am zehnten Tag rief ich meinen Vater an. Er erzählte mir, wie orientierungslos er sich als junger Mann gefühlt hat. Ich habe ihn zum ersten Mal sagen gehört: "Ich war auch einmal schwach." Dadurch habe ich es geschafft, mit dem Alleinsein zurechtzukommen. Irgendwann war ich nicht mehr einsam, sondern bloß allein.

STANDARD: Aber was hat Sie motiviert, immer weiterzufahren? Sie sagen ja über sich, dass Sie nicht besonders sportlich sind.

Pahnke: Mein größter Antrieb ist die Skepsis gegenüber der Meinung anderer. Das hat schon vor der Reise in Deutschland begonnen, als ich anderen von meinen Plänen erzählte. Menschen übertragen gerne die eigenen Ängste auf ihre Umgebung. Davon darf man sich nicht beeindrucken lassen.

Pahnke auf dem Weg durch die Sahara.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Deshalb sind Sie auch durch das Niemandsland zwischen Kenia und Äthiopien geradelt, obwohl Sie ein Grenzer warnte, Sie könnten erschossen werden?

Pahnke: Der Mann an der Grenze hat eine Waffe getragen. Er sieht die Welt mit den Augen eines Soldaten. Ich dagegen bin wehrlos, wirke mit meinem Rad harmlos. Alles eine Frage der Ausstrahlung.

STANDARD: Ausstrahlung ist nicht kugelsicher ...

Pahnke: ... und am Ende ist man immer tot. Ich habe auf dieser Reise ja Situationen gesucht, wo ich das Leben auf die Probe stelle. Momente, in denen alle Sinne geschärft sind. Da weißt du ganz schnell, wem du vertrauen kannst. Am meisten vertraue ich mir selbst.

STANDARD: Sie bekamen unterwegs Malaria, mussten auch auf fremde Hilfe vertrauen.

Pahnke: Ich hatte enormes Glück, als ein Dorfarzt zu mir sagte: "So, Bürschchen, jetzt bleibst du erst einmal hier." Ich nahm das Fieber nicht ernst. Als klar war, dass ich Malaria hatte, bekam ich ein Medikament, das kostete nur 1,75 Euro. Mir ist bewusst, dass sich das trotzdem nicht jeder leisten kann. Aber mit falschem Mitleid durch Afrika zu reisen geht auch nicht. Die Leute dort hassen das falsche Mitleid der Europäer.

Ein anderer jugendlicher Radfahrer in Simbabwe.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Wie groß ist Ihr Interesse an dem Kontinent? Sie sagen immer nur "Afrika".

Pahnke: Das nervt mich selber. Tatsächlich ist Afrika der Kontinent, über den ich vor meiner Reise am wenigstens wusste. Vor Ort habe ich bemerkt, dass allein Äthiopien wie ein eigener Kontinent funktioniert mit so vielen verschiedenen Kulturen und Menschen.

STANDARD: Stichwort "viele Menschen": Im Film wirkt es so, als wären Sie außerhalb der Wüste ständig von Menschen umringt gewesen. Hat das manchmal genervt?

Pahnke: Selten. Ich bin ein höflicher, aber direkter Mensch. Ich sage, wenn mir etwas zu viel wird. Außerdem konnte ich mit meinem Rad ja jederzeit in den Busch abhauen. Aber es kam schon vor, dass ich morgens im Nirgendwo aus dem Zelt gekrochen bin in dem Glauben, ich sei ganz allein. Oft stand aber eine Traube von Menschen vor dem Zelt, die mein Auftauchen neugierig beobachtete.

STANDARD: Nie einen Skorpion im Zelt gehabt?

Pahnke: Doch, doch. In Namibia wachte ich auf und hatte drei Skorpione auf der Brust. Ich blieb zwei Stunden lang reglos liegen und wartete ab, bis sie wieder wegkrabbelten. Die Situation mit dem Löwen, der plötzlich zwei Meter vor mir stand, war gefährlicher. Ich schlug ihn mit einem selbstgebastelten Molotowcocktail in die Flucht. Das hat zum Glück funktioniert.

Eine Panzergrille auf einer Asphaltstraße in Namibia.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Denken Sie, dass Sie viel Glück hatten auf Ihrer Reise?

Pahnke: Eigentlich nicht. Wenn ein Pfeil das Herz nur knapp verfehlt, sagen die meisten, das war Glück. Dabei ist es doch Pech, dass man überhaupt erst getroffen wurde.

STANDARD: Aber so unvorbereitet, wie Sie an die Sache herangegangen sind, war es wahrscheinlich, dass Ihnen etwas passiert.

Pahnke: Mit dem Glück ist es wie mit der Angst. Das ist eine Außensicht, die einem aufgedrängt wird. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ich brauche viel Glück, wäre ich nie quer durch Afrika geradelt. Ich hatte einfach Vertrauen in mich und meine Umgebung. Und im Alleinsein hört sogar die Angst auf.

STANDARD: Das heißt, Sie sind jetzt völlig angstfrei?

Pahnke: Natürlich habe ich noch Ängste. Etwa die Angst, nur darüber nachzudenken, mir einmal ein Haus zu kaufen. In Afrika habe ich mich oft gefragt, warum man bei uns in viereckigen Gefängnissen wohnt, obwohl die Menschen doch viel lieber draußen sind.

STANDARD: Apropos Gefängnis. Kurz vor dem Ziel saßen Sie ein, weil Sie in Ägypten militärische Einrichtungen fotografiert hatten. Kam da die Angst wieder?

Pahnke: Das war schon eine krasse Erfahrung. Als ich mit dem Gewehrkolben im Nacken auf dem Boden lag, wusste ich, die hören nicht zu – egal, was ich sage. Eine Erfahrung, die ich schon mit bewaffneten Rangern im Kongo gemacht hatte, weil ich ohne Erlaubnis in einen Nationalpark geradelt bin. Ich habe eine halbe Stunde lang sehr arrogant herumdiskutiert, wollte unbedingt recht haben. Als ich merkte, das bringt nichts, habe ich mich nackt ausgezogen. Drei Minuten später war die Sache erledigt, weil ich mich schwach und verletzlich gezeigt hatte.

Anselm Pahnke vor seiner Verhaftung in Ägypten beim Erreichen der Pyramiden von Jebel Barkal im Sudan.
Foto: Anselm Pahnke

STANDARD: Hat das auch in Ägypten geholfen?

Pahnke: Nein, denen war ich komplett egal. Die Militärs meinten nur, sie würden sich 60 bis 70 Tage Zeit lassen, um mein gesamtes Fotomaterial zu sichten. Bis dahin bliebe ich eingesperrt. Also zeigte ich ihnen ein gefälschtes Rückflugticket auf meinem Handy, um sie glauben zu lassen, ich wolle das Land sofort verlassen. Sie ließen mich laufen, und ich bin weitergeradelt...

STANDARD: ...bis nach Australien. Drei Jahre später kehrten Sie nach Deutschland zurück, wo die Arbeiten zur Doku begannen. Der Film war nie geplant, oder?

Pahnke: Eine Freundin meiner Mutter sah das Material nach meiner Rückkehr und meinte, es sei etwas ganz Besonderes. Ich dachte mir eigentlich, das wäre für andere nur langweilig. Dennoch gab sie das Material weiter an einen befreundeten Cutter, der den Hamburger Tatort schneidet. Nach der ersten Sichtung sagte, er wolle sich vier Monate frei nehmen, um diesen Film zu schneiden.

STANDARD: War es nicht enorm anstrengend neben dem Radeln auch noch zu filmen?

Pahnke: Durch das Filmen kam die Kraft. Auch wenn ich dafür kurze Abschnitte zweimal gefahren bin, wusste ich danach immer: Dieser Moment ist gesichert. Das verschaffte mir Befriedigung. (Sascha Aumüller, RONDO, 21.6.2019)