Die schwer lädierte Kirche Notre-Dame taugt offenbar als Spielwiese für respektlose Städteplaner: Ein schwedisches Büro schlägt für die Restaurierung die Installierung eines Schwimmbades vor.

UMA Architects Stockholm

Erzbischof Michel Aupetit und zwei Dutzend Geladene mussten einen Schutzhelm tragen, als sie am Samstagabend in einer Seitenkapelle von Notre-Dame die erste Messe seit dem Brand vom 15. April feierten. Ein katholischer Sender übertrug den Anlass, der laut Aupetit "sehr emotionell" war.

Der kleine Gebetsraum hatte das Unglück unbeschadet überstanden. Anders das Kirchenschiff, dessen Holzdach völlig ausgebrannt ist. "Das Dachgewölbe kann nach wie vor einstürzen", warnt der designierte Chefarchitekt Philippe Villeneuve. Über hundert Arbeiter – und aus Sicherheitsgründen ein Roboter – sind weiter damit beschäftigt, die verkohlten oder eingestürzten Dachteile aus dem Kirchenschiff zu entfernen.

Brandursache Nachlässigkeit

Auch wenn sie andere Brandursachen nicht ausschließen, gehen die Ermittler derzeit von Nachlässigkeit aus. Die im April eingesetzten Renovierungsarbeiter haben dem Vernehmen nach zugegeben, dass sie im Gebälk ab und zu geraucht hätten. Das war streng verboten. Möglich scheint auch ein Kurzschluss: Elektrische Kabel des Baulifts sollen regelwidrig verlegt worden sein.

Das Hauptinteresse gilt indessen der Zukunft der Kathedrale, ihrem Wiederaufbau. Denkmalschützer sprechen allerdings eher von "Restaurierung" oder "Renovierung", die, was historische Monumente anbelangt, an weitaus strengere Vorgaben gebunden ist als ein "Wiederaufbau".

Vergleich mit Glaspyramide des Louvre

Konservative Geister werfen Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle der Kathedrale ein neues Antlitz verpassen und sich damit für die Nachwelt verewigen, wie es François Mitterrand mit der Glaspyramide im Louvre-Hof vorgemacht hatte. Die politische Rechtsopposition verdächtigt den liberalen Mitte-Politiker, er wolle mit der Notre-Dame-Erneuerung seinen progressiven Kurs gegen die Populisten um Marine Le Pen untermauern.

Tatsächlich hatte der Staatschef schon im April erklärt, er sei nicht gegen ein "zeitgenössisches" oder "innovatives" Vorhaben, das Notre-Dame "schöner denn je" machen soll. Das konservative Magazin Valeurs actuelles organisierte darauf ein Forum für eine "identische Wiederherstellung" der Pariser Kathedrale. Als der frühere Mitterrand-Berater Jacques Attali an dem Diskussionsabend vorschlug, ganz auf den eingestürzten Spitzturm – "la flèche" – zu verzichten, kanzelte ihn Starautor Michel Houellebecq ("Ich bin Katholik in dem Sinn, als ich den Horror einer Welt ohne Gott zeige") als "debil" ab und rief aus: "Die chinesischen Touristen kommen, um die völlig wiederaufgebaute Notre-Dame zu sehen!"

Bevölkerung wünscht Nachbildung

Die erste Aufwallung der konservativen Gefühle hat sich etwas gelegt, zumal die Europawahlen vorbei sind. Die große, aber nicht unbedingt schweigende Mehrheit der Franzosen wünscht laut mehreren Umfragen weiterhin eine originalgetreue Wiederherstellung, Sturmspitze inbegriffen.

Der Zuständige für das französische Kulturerbe, Stéphane Bern, erklärte, zahllose Bürger hätten nur deshalb kleine Beiträge für die Renovierung gespendet, "weil sie Notre-Dame wieder so sehen wollen, wie sie einmal war". Auch der konservative Philosoph und Exbildungsminister Luc Ferry meint: "Notre-Dame gehört allen Franzosen, nicht Macron und auch nicht dem Ego eines modernistischen Kreativen."

An Beispielen dafür mangelt es nicht: Ein französisches Architektenduo hat ein Treibhaus auf dem Kathedralendach angeregt, ein schwedisches Büro am gleichen Ort ein Schwimmbad. Damit leisten sie auch anderen "offenen" Ideen einen schlechten Dienst. Kulturminister Franck Riester verschafft sich mit seinem Argument, dass sich die Glaspyramide von Ieoh Ming Pei sehr gut in den Louvre-Hof eingefügt habe, kaum Gehör. Die Zeitung Le Figaro konterte sogleich, diese Pyramide habe am Louvre-Bau nichts verändert.

Ökologisches Zeichen?

Die gleiche Debatte dreht sich um den Ersatz der eingestürzten Turmspitze in der Mitte des Kathedralengiebels. Soll dieser feinziselierte Dachreiter neu und anders gebaut oder wiederherstellt werden? Die erste, aus dem 13. Jahrhundert stammende Version war 1792 demontiert worden. Den nun eingestürzten, 93 Meter hohen Nachfolger hatte Eugène Viollet-le-Duc 1859 in neogotischem Stil neu errichtet. Das "progressive" Lager argumentiert nun, Notre-Dame sei schon einmal 60 Jahre lang ohne "flèche" (Pfeil) ausgekommen. Es bestehe deshalb kein Zwang zu einer identischen Wiederherstellung.

Der Architekt Jean-Michel Wilmotte schlägt vor, die Pfeilspitze aus Kohlenstoff neu zu errichten, um ein ökologisches Zeichen des 21. Jahrhunderts zu setzen. Der Rektor der Kathedrale, Patrick Chauvet, will aber keine Experimente: Er sei zwar nicht gegen eine "kleine Note", welche die Erneuerung der Kathedrale symbolisiere, meint der Kirchenmann. "Aber aufgepasst, dass wir nicht einen auf dem Kopf stehenden Eiffelturm mit Blinklichtern bauen!"

"Gotischer denn je"

Auch Stararchitekt Jean Nouvel ruft zur Bewahrung auf und wünscht sich eine Restaurierung, die "gotischer denn je" ist. Ähnlich klingt es heute von rechts bis nach links: Bürgermeisterin Anne Hidalgo gibt sich "eher konservativ", was das künftige Erscheinungsbild des Pariser Wahrzeichens betrifft. Auch der sozialistische Listenführer bei den Europawahlen, Raphaël Glucksmann, wünscht einen Wiederaufbau, "ohne die Seele von Notre-Dame zu zerstören".

Stets dem Zeitgeist hold, wird Macron mit Näherrücken der Präsidentschaftswahlen von 2022 nicht gegen die öffentliche Meinung entscheiden. Die Kontrolle über den internationalen Architekturwettbewerb will er dennoch bewahren. Derzeit versucht er ein Gesetz durch das Parlament zu drücken, das der Exekutive – also ihm – Sonderrechte in Sachen Kulturgüterschutz, Urbanismus und Umweltauflagen einräumt. Die Wiedereröffnung hat er im Zuge der Olympischen Spiele von Paris im Jahr 2024 angesetzt, was laut Kunsthistorikern keine seriöse Wiederaufbauarbeit zuließe. (Stephan Brändle, 18.6.2019)