Birgit Hebein wird am 26. Juni als Wiener Vizebürgermeisterin angelobt.

Foto: Heribert Corn

Ihre Familie aus Kärnten reist kommende Woche erstmals nach Wien, wenn Birgit Hebein im Rathaus als Wiener Vizebürgermeisterin angelobt wird. Sie träumt in letzter Zeit oft von ihrer Kindheit: "Man vergisst nie, wo man herkommt. Meine Zehn-Groschen-Stücke für die Hochzeit waren gesammelt, und auch der Baugrund stand schon bereit." Es seien Menschen und Begegnungen gewesen, die es ihr ermöglicht hätten, einen anderen Weg zu gehen. "Diese Chance will ich auch für jedes Kind in Wien", sagt die Grünen-Politikerin, die das Erbe von Maria Vassilakou antritt. Ihre Entscheidungen möchte sie im Sinne des Klimaschutzes treffen.

STANDARD: Unter dem Abschiedsinterview mit Maria Vassilakou schrieb ein User: "Was Besseres wird voraussichtlich nicht nachkommen." Wie beweisen Sie das Gegenteil?

Hebein: Ich bin ein anderes Wesen, und es ist eine andere Zeit. Für mich ist die soziale und ökologische Frage entscheidend. Der Dialog mit der Bevölkerung wird dabei sehr wichtig sein.

STANDARD: Gab es in der Vergangenheit zu wenig Dialog mit der Bevölkerung?

Hebein: Nein. Wir hätten die Neugestaltung der Mariahilfer Straße nicht ohne Hausbesuche geschafft. Es schadet nicht, wenn ich den Dialog auch als Vizebürgermeisterin in den Fokus stelle.

STANDARD: Bei Vassilakou ist es die Mariahilfer Straße: Wofür soll man sich einmal an Sie erinnern?

Hebein: Ich will Wien zur Klimahauptstadt Europas machen. Unter diesem Blickwinkel will ich alle meine Entscheidungen stellen. Projekte wie die kühle Meile Zieglergasse sollen keine Ausnahme sein, sondern die Regel. Ich will, dass Hunderte von Bäumen gepflanzt werden, statt Parkplätze zu errichten. Wenn ich mir die Stadt vorstelle, werden Häuser in Zukunft CO2 absorbieren.

STANDARD: Beim Heumarkt hat Maria Vassilakou bereits eine Nachdenkpause verordnet. Nun die SPÖ. Was soll das bringen?

Hebein: Es gibt einen Baustopp, solange die Frage des Weltkulturerbes nicht geklärt ist. Bis dahin wird es mit mir keine weiteren Schritte geben.

"Der Heumarkt war keine Sternstunde der Grünen. Wir ziehen unsere Lehren daraus", verspricht die designierte Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein.
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STANDARD: Steht für Sie das Weltkulturerbe an vorderster Stelle?

Hebein: An vorderster Stelle steht der Klimaschutz. Wir müssen uns die Verhältnismäßigkeit der Debatte vor Augen halten.

STANDARD: Die Unesco ist eindeutig: Solange der Turm so hoch ist, fällt der Weltkulturerbestatus. Innerhalb der Grünen gab es eine große Diskussion über den Bau.

Hebein: Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Der Heumarkt war keine Sternstunde der Grünen. Wir ziehen unsere Lehren daraus. So etwas wird nicht mehr passieren.

STANDARD: Vassilakou wollte sich nicht zur Frage äußern, ob es einen Baustart des Lobautunnels unter grüner Regierungsbeteiligung geben wird. Was sagen Sie dazu?

Hebein: Wir Grünen haben uns immer dagegen ausgesprochen. Aber der Bau ist nicht die Entscheidung meines Ressorts, sondern eine der Bundesregierung. Alle Parteien schmücken sich mit dem Klimaschutz, vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt, zurück an den Start zu gehen.

STANDARD: Ist das ein Appell?

Hebein: Es wäre die logische Konsequenz und die Möglichkeit, zu zeigen, wie ernst es die anderen Parteien mit dem Klimaschutz nehmen.

STANDARD: Die SPÖ wird davon nicht begeistert sein.

Hebein: Ich habe mit Michael Ludwig ein korrektes Verhältnis. Für uns beide gilt Handschlagqualität. Wir kommen aus zwei Parteien, und manchmal – wie auch in diesem Fall – sind wir unterschiedlicher Meinung.

STANDARD: Klimaschutz ist längst nicht mehr nur Thema der Grünen, andere Parteien springen auf den Zug auf. Wo liegt der Unterschied?

Hebein: Ich bin froh, dass das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, das ist auch der Jugendbewegung zu verdanken. Die Menschen spüren seit vergangenem Sommer die Hitze. Es ist kein abgehobenes Thema mehr. Jetzt geht es ums Handeln. Ich mache keine Politik mit Angst, ich werde Eltern im 22. Bezirk nicht sagen, dass sie nicht mit ihren Kindern im Auto fahren dürfen.

STANDARD: Sie wollen niemandem das Auto wegnehmen, aber Bäume statt Parkplätze. Sind die Grünen autofahrerfeindlich?

Hebein: Klimaschutz ohne eine andere Verkehrspolitik ist nicht möglich. 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in unserer Stadt macht der Autoverkehr aus. Mein Job ist es, Alternativen zu bieten: einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel vor allem in den Außenbezirken und Sharingmodelle.

STANDARD: Das war keine Antwort auf die Frage, ob Sie autofeindlich sind.

Hebein: Ich habe kein Auto. Ich fahre gelegentlich mit dem Auto. Weil es bequem ist, wenn ich meinem Sohn beim Siedeln helfe, das ist Praxis. Ich kann den Wunsch nach Bequemlichkeit also nachvollziehen. Ich bin nicht perfekt und habe nicht vor, es zu werden. Ja, es wird Widersprüche und eine Auseinandersetzung geben. Aber ich will niemanden gegeneinander ausspielen.

STANDARD: Künftig sollen Wiener nicht mehr als 250 Meter gehen müssen, um eine Grünoase zu finden. Ist das gerade in dichtbebauten Gebieten realistisch?

Hebein: Wenn ich mir nur realistische Ziele setzen würde, wäre ich fehl am Platz.

STANDARD: Das Alkoholverbot am Praterstern soll evaluiert werden. Sie haben scharfe Kritik geübt. Soll es abgeschafft werden?

Hebein: Alkoholkranke lösen sich nicht auf, wenn man Verbote schafft. Vereinbart ist, dass wir die Evaluierung abwarten.

"Ich bin nicht perfekt und habe nicht vor, es zu werden", sagt Birgit Hebein, Wiens nächste Vizebürgermeisterin. Zu Bürgermeister Michael Ludwig habe sie ein korrektes Verhältnis.
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STANDARD: Können Sie als Sozialarbeiterin eine Koalition mit der SPÖ schließen, wenn diese auf dem Alkoholverbot beharrt?

Hebein: Das Entscheidende wird sein, ob es eine Klimakoalition geben wird. Außerdem muss man abwarten, was die Wähler sagen. Was soll ich zum Alkoholverbot sagen? Ich ändere nicht meine Haltung. Demokratie bedeutet aber auch Kompromisse.

STANDARD: Das Alkoholverbot ist also kein Ausschlussgrund für eine Koalition?

Hebein: Wir haben auch bisher die Koalition nicht beendet. Wir haben zusätzliche soziale und medizinische Maßnahmen verhandelt. Ich kann mich nicht ins Schmolleckerl stellen. Meine Aufgabe ist es, die Situation zu verbessern.

STANDARD: Bevorzugen Sie eine Citymaut oder ein Ostregionticket, um den Pendlerverkehr zu reduzieren?

Hebein: Beides. Man kann die Pendler nicht im Stich lassen. Wir müssen mit Niederösterreich und dem Burgenland verhandeln. Wenn es bessere Konzepte als eine Citymaut gibt, her damit.

STANDARD: Spitzenkandidat für die Nationalratswahl ist Werner Kogler. Wie rechtfertigt man, dass er sein Mandat im EU-Parlament nicht annimmt?

Hebein: Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Antworten. Werner Kogler steht für Klimaschutz und Korruptionsbekämpfung. Bei der Listenerstellung für die EU-Wahl war noch nicht klar, dass das Ibiza-Gate auf uns zu kommt.

STANDARD: Was können Sie von Ihren Kollegen in Deutschland lernen?

Hebein: Mich beeindruckt ihr Optimismus. Es ist ein guter Weg, Alternativen aufzuzeigen und weniger über die anderen zu reden.

STANDARD: Was sagen Sie zur Kandidatur von Daniela Kickl auf der Wiener Landesliste für die Nationalratswahl?

Hebein: Gut, ja sicher.

STANDARD: Eine Kickl würde den Grünen stehen?

Hebein: Wir haben vor einem Jahr den Neustart bei den Grünen begonnen. Auch bei den Wiener Grünen haben wir gesagt, wir wollen uns öffnen. Worten muss man Taten folgen lassen. (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 18.6.2019)