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Stand beim Stadthallen-Auftritt von Sebastian Kurz der billige Stimmenfang im Vordergrund, oder gibt es gar inhaltliche Überschneidungen?

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Im göttlichen Weingarten ist Platz für alle Arbeiter – offensichtlich sogar für türkise Altkanzler im Wahlkampfmodus. Sebastian Kurz war also Überraschungsgast bei der großen Jesus-Sause der Kampagne Awakening Europe – betrieben von Godfest Ministries, einer von dem Australier Ben Fitzgerald gegründeten Glaubensorganisation – in der Wiener Stadthalle. Ja darf dort ein Politiker auftauchen? Wird da nicht die heilige Trennlinie zwischen Kirche und Staat zum weit dehnbaren Gummiseil?

Aus wahlkampftaktischer Sicht scheint solch ein Auftritt für einen christlich-sozialen Politiker fast zwingend zu sein – vor mehr als 10.000 vorwiegend jungen Menschen, die sich in uneingeschränkter Gottesliebe in den Armen liegen und offen sind für jegliche Botschaft eines Predigers.

Freikirchen, in Österreich als Religionsgemeinschaften anerkannt und mit stetem Wachstum gesegnet, sind in den letzten Jahren mehr und mehr attraktiv geworden – für Gläubige, für die katholische und die evangelische Kirche, und auch für die Politik.

Die evangelisch geprägte Gemeinschaft präsentiert sich gern als locker-lustige Heiligen-Truppe. Viel Event-Charakter, einfache religiöse Botschaften: Gott liebt dich, Jesus liebt dich, und wir lieben uns sowieso. Dazu die flotte Band mit dem Moses-Double an der E-Gitarre. So etwas zieht mitunter die (jungen) Massen an. Da kann man dann schon einmal von "Kreuzzügen und Gottes Armee, die bis auf die Zähne mit Liebe bewaffnet ist", predigen. Immer locker bleiben im Gebetskreis. Starr und streng konservativ ist nur die innere Haltung.

Billiger Stimmenfang

Die Verknüpfungen insbesondere mit der ÖVP gibt es nicht erst seit Sebastian Kurz. ÖVP-Nationalrätin Gudrun Kugler, streng konservative Katholikin, machte in einem "Profil"-Interview kein Hehl daraus, dass in ihrem erfolgreichen Vorzugsstimmen-Wahlkampf 2017 "die Unterstützung durch christlich inspirierte Gruppen stark spürbar" gewesen sei. Ihr Grundmandat sicherte sich Kugler in Wien-Nord – 16 freikirchliche Gemeinden gibt es allein dort.

Es drängt sich damit rund um den Messias-Auftritt von Sebastian Kurz eine Frage auf: Stand beim Stadthallen-Auftritt der billige Stimmenfang im Vordergrund, oder gibt es gar inhaltliche Überschneidungen? Denn blickt man hinter die Kulissen der freikirchlichen Glanz- und Glitzerwelt, wird es schnell dunkel und grob bedenklich.

Nur ein kleiner Auszug: 2017 fand der Awakening-Europe-Event in Prag statt. Und mit dabei war auch Reinhard Bonnke. Der umstrittene deutsche Prediger und "Pfingstler", der sich selbst gern als "Mähdrescher Gottes" bezeichnet, mobilisiert bei seinen Predigten in Afrika tausende Gläubige. Seine Anhänger halten ihn für einen "Propheten des 20. Jahrhunderts", seine Gegner werfen ihm vor, bei seinen Predigten Millionenbeträge zu kassieren.

Wer einmal als Außenstehender an Bonnkes "Full-Flame-Feuerkonferenz" teilgenommen hat, der weiß rasch um die Gefährlichkeit dieser Bewegung. Höhepunkt sind nämlich mitunter spontane Heilungen durch den Evangelisten. Aids, Krebs, Rückenschmerzen, Fersensporn – alles kein Problem. Menschen schreien, winden sich auf dem Boden, erbrechen, weinen.

Was bleibt, ist die Frage, ob Kurz tatsächlich nur das Stimmvieh im Auge hatte oder er sich deutlich wie nie zuvor ins erzkonservative Eck stellt. Ein Segen ist beides nicht. (Markus Rohrhofer, 17.6.2019)