Der britische Booker-Preisträger Ian McEwan (70) hat schon "kräftigere" Romane abgeliefert. In "Maschinen wie ich" stellt er faszinierenderweise die Frage nach dem Ursprung.

Foto: Vudi Xhymshiti

Rein äußerlich macht der klügste Androide der neueren Literaturgeschichte einiges her. Um das 85 Kilo schwere Geschöpf zum Leben zu erwecken, reicht es aus, es via Kabel mit einer Dreizehn-Ampere-Steckdose zu verbinden. "Adam" ist kein Einzelfall. Er entstammt einer Produktionsreihe von insgesamt zwölf männlichen und 13 weiblichen Robotern ("Eve").

Der höchstentwickelte Gefährte des Menschen ist ein wahres Schmuckstück. Starautor Ian McEwan hat ihm in seinem neuesten Roman Maschinen wie ich ungeahnte Möglichkeiten der Entfaltung zugedacht. Adam besitzt nicht nur überragende intellektuelle Kapazitäten. Er verfügt über "funktionierende Schleimhautmembrane" und ist auch gesonnen, diese sexuell nutzbar zu machen. Doch die meiste Zeit über hockt das Kerlchen eher still am Küchentisch seines Besitzers. Dieser heißt Charlie Friend (sic!) und ist ein unfokussierter Anfangsdreißiger, der sich ohne Ziel durch den britischen Alltag laviert. Charlie, der etwas Ahnung von Justiz und Anthropologie hat, musste sogar das elterliche Erbteil antasten, um die geforderten 86.000 Pfund für die posthumane Lebensform hinzublättern.

Das Ladekabel versorgt Adam mit dem Energieäquivalent von zwölf Tagen Palavers. Aber ein notorischer Schwätzer ist der brave Doppelgänger ohnehin nicht. Das wahnwitzige Vergnügen, das McEwans Buch bereitet, beruht auf der beinahe unmerklichen Umwertung aller Werte.

Das Desaster bei den Falklands

Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, würde Adam 1982 das Licht der Welt mit täuschend echten Augen erblicken. Die britische Navy sticht in See und wird kurz vor den Falkland-Inseln schmählich versenkt. Ganz England trägt schwarze Schleifen im Gedenken an 2920 Kriegstote. Die Demütigung für das einstige Weltreich ist perfekt. Margarete Thatcher verbeißt sich in Würde ihre Tränen und erregt solidarische Gefühle, sodass sie die Katastrophe politisch vorerst überlebt. Wie mit kleinen Nadelstichen piekt und piesackt McEwan den Leser. Er malt die Geschichte Großbritanniens zur Gänze neu und taucht den Pinsel in kontrafaktische Farben. Irgendwann hat die gesamte Zivilisation eine andere Abzweigung genommen. Spätestens dann nämlich, als das Attentat auf Kennedy in Dallas vereitelt wurde.

Manche von McEwans Neuschöpfungen kitzeln kolossal das Zwerchfell. Nach zwölf Jahren kommt es zur Wiedervereinigung der Beatles. Das neue Album der Fab Four heißt Love and Lemons und wird "wegen seines Bombasts allgemein verspottet". Leider hatte die Band "der Verlockung und Übermacht eines achtzigköpfigen Symphonieorchesters nicht widderstehen können". Immer noch singen die Vier, dass wir nichts als Liebe brauchen. Doch wer wollte ihnen da widersprechen?

Charlie, dem Ich-Erzähler, gefällt so viel "kraftvolle Sentimentalität" ausnehmend gut. Er hat auch wirklich alle Hände voll zu tun, um seine schöne Freundin Miranda davon abzuhalten, Adam, seinem künstlichen Kumpel, schöne Augen zu machen.

Schöne, parallele Welt

Adams Lernfähigkeit ist auch deshalb so exorbitant, weil der britische Computerentwickler Alan Turing noch am Leben ist. Überhaupt hat sich die schöne, neue Welt in McEwans Paralleluniversum unglaublich beeilt, ihre Potenziale zu verwirklichen. Die Autos sind selbstfahrend, die Rechner so leistungsfähig wie anno 2019. Charlie aber missdeutet als notorischer Tollpatsch die einfachsten Signale seiner Mitgeschöpfe. Voran diejenigen seines synthetischen Freundes, der sich als starrsinniger Moralist zu erkennen gibt.

Die wahre Pointe des genial unterkühlten Buchs liegt in einem Detail. Charlie reist gemeinsam mit Miranda zum Schwiegervater aufs Land hinaus: einem bärbeißigen Schriftsteller, McEwans Double. Der Greis fasst den Ankömmling kalt ins Auge. Dann lobt er ihn, für seine "Programmierung". Charlie muss die Kröte schlucken. "Eine gute Anekdote für künftige Abendessen. Oder mir war gerade etwas zutiefst Bedauernswertes über mich selbst offenbart worden." So sollte jeder von uns achtsam bleiben. Und kontrollieren, ob sein Bauchnabel nicht doch eine Buchse ist: fürs Ladekabel. (Ronald Pohl, 20.6.2019)