Alexander Pinwinkler und Johannes Koll (Hg.), "Zuviel der Ehre? Interdisziplinäre Perspektiven auf akademische Ehrungen in Deutschland und Österreich". € 52,- / 510 Seiten. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2019

Am Cover: Wolfgang Hefermehl und Konrad Lorenz (1. und 3. von rechts) bei der Verleihung des mittlerweile aberkannten Ehrendoktorats der Universität Salzburg im Jahr 1983.

Böhlau

Einer der jüngsten Fälle stammt aus der Mathematik und zeigt, dass die Problematik nicht auf Österreich oder Deutschland beschränkt ist: Die Internationale Mathematische Union (IMU) beschloss auf ihrer jüngsten Generalversammlung vor wenigen Wochen, den seit 1982 vergebenen Nevanlinna-Preis für theoretische Informatik umzubenennen. Die Auszeichnung war ehrenhalber nach dem finnischen Mathematiker Rolf Nevanlinna benannt worden. Doch wegen dessen NS-Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs gilt diese Benennung als unpassend.

Für die spektakulärste heimische Wissenschafter-Entehrung sorgte in den letzten Jahren die Uni Salzburg: Deren Leitung entschloss sich Ende 2015, dem Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz posthum das 1983 verliehene Ehrendoktorat abzuerkennen. Begründet wurde dieser ungewöhnliche Schritt einerseits mit der Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie durch Lorenz. Andererseits warf man dem Wissenschafter vor, sein insgesamt zehntes Ehrendoktorat wegen fehlender Angaben zur NS-Zeit erschlichen zu haben.

Umstrittene Aberkennung

Diese heftig diskutierte Maßnahme und ihre noch umstrittenere Begründung sorgten auch jenseits der Grenzen für Aufsehen und Kritik, was wohl mit dazu beigetragen hat, dass die Universität Salzburg mit einem Symposium darauf reagierte. Bei der Veranstaltung im November 2016, die von den Historikern Alexander Pinwinkler (Uni Salzburg) und Johannes Koll (WU Wien) organisiert worden war, spürte man noch einmal den nationalsozialistischen Verwicklungen von Konrad Lorenz und jenen des deutschen Juristen Wolfgang Hefermehl nach, dem auch das Ehrendoktorat entzogen worden war.

Zum anderen – und das war der innovativere Teil der Veranstaltung – wurden umstrittene akademische Ehrungen aus verschiedenen Perspektiven unter die Lupe genommen: aus jener der Zeitgeschichteforschung ebenso wie der Universitäts- und Erinnerungspolitik, aber auch aus juristischen Blickwinkeln. Pinwinkler und Koll haben aus einigen dieser Beiträge sowie einigen extra angefertigten Aufsätzen einen Sammelband kompiliert, der dieser Tage unter dem fragenden Titel Zuviel der Ehre? erscheint und den aktuell wohl besten interdisziplinären Überblick über den Umgang mit problematischen akademischen Ehrungen in Deutschland und Österreich liefert.

In den meisten Fällen geht es, wenig überraschend, entweder um Gelehrte mit NS-Belastung, um akademische Ehrungen, die aus der NS-Zeit stammen, oder um solche, die im Nationalsozialismus aberkannt wurden. Den Anfang machen Rechtswissenschafter, die zunächst einmal zu klären versuchen, um welche Rechtsmaterie es bei der Verleihung und beim Entzug akademischer Ehrungen durch Universitäten geht. Das Problem: Es gibt weder in Deutschland noch in Österreich Präzedenzfälle einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Der Fall Forsthoff

Umso heftiger wurde in den vergangenen Jahren erinnerungspolitisch über die Beurteilung von NS-belasteten Forschern diskutiert. Einzelne Beiträge – wie der von Katharina Kniefacz und Linda Erker – erinnern daran, dass die Diskussion darüber schon in den 1960er-Jahren geführt wurde, allerdings weniger konsequent: So zog die Universität Wien 1965 die Verleihung des Ehrendoktorats an den NS-belasteten deutschen Staatsrechtler Erwin Forsthoff 1965 wegen des befürchteten Skandals zurück, ehe Forsthoff den Dr. h. c. 1969 dann doch noch still und leise erhielt.

Den Schlussbeitrag des Bandes liefert die nun endlich publizierte Studie Alexander Pinwinklers, die Entscheidungsgrundlagen für die Aberkennung der Salzburger Ehrendoktorate lieferte. Auch nach Veröffentlichung dieses Gutachtens werden diese Entehrungen umstritten bleiben. Ebenso unbestritten ist aber, dass Pinwinklers Text und der von ihm mitherausgegebene und sorgsam edierte Sammelband die Debatte um akademische (Ent-)Ehrungen auf ein neues Niveau heben. (red, 22.6.2019)