Wien – Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten sind vor Gericht Alltag, der Fall von Manuel R. ist dennoch ungewöhnlich. Denn es sind sogar zwei Dolmetscherinnen nötig, um seine Aussagen vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Andreas Böhm ins Deutsche zu übersetzen. Der Grund: Der 28-jährige Chilene ist gehörlos und kommuniziert in chilenischer Gebärdensprache. Die wiederum unterscheidet sich teilweise von der österreichischen – jede Frage und Antwort muss also zweimal übersetzt werden.

Gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahl in Wohnstätten wirft Staatsanwältin Anja Oberkofler dem Südamerikaner vor. Die Beute bestand vor allem aus Schmuck, Uhren und Bargeld. Beim letzten Versuch am 5. März wurden er und ein Komplize von der Polizei auf frischer Tat ertappt, an einem weiteren Tatort wurde ein zum Aufzwängen der Terrassentür verwendeter Schraubenzieher mit R.s DNA sichergestellt.

Verräterische Aufgabescheine

Auch mit einem dritten Einbruch kann er in Verbindung gebracht werden. Bei seiner Festnahme hatte der Angeklagte nämlich zwei Paketaufgabescheine bei sich – die zehn und 17 Kilogramm schweren Pakete gingen nach Chile. Das heimische Bundeskriminalamt scheint über gute transatlantische Beziehungen zu verfügen – tatsächlich gelang es dem alarmierten chilenischen Zoll, die Sendungen sicherzustellen. Der Inhalt: Wertgegenstände, darunter Uhren, die bei Einbrüchen in Wien erbeutet worden waren.

Vorsitzender Böhm, der es gemeinhin bevorzugt, Verhandlungen à la Strache – also zack, zack, zack – zu führen, hadert nicht nur mit der doppelten Übersetzung, sondern auch mit den Antworten des Angeklagten. "Was machen Sie überhaupt in Österreich?", will er zunächst wissen. "Ich wollte als Tourist kommen und mir die Stadt anschauen." – "Das ist doch völlig unglaubwürdig. Sie haben vorher erzählt, dass Sie als Einkommen Geld von der Familie und Gehörlosenunterstützung des Staates bekommen!" – "Ich habe ein Jahr lang gespart." – "Um nach Österreich auf Urlaub zu fahren." – "Ich wollte auch nach Italien, wo ein Teil meiner Familie lebt."

Mühsame Wahrheitsfindung

Auch bei der Frage, wann er nach Österreich eingereist sei, gestaltet sich die Wahrheitsfindung schwierig. Zunächst sagt R., er sei einen Monat vor der Festnahme gekommen – womit er für die ersten beiden Einbrüche ein Alibi hätte. Der Vorsitzende hält ihm daraufhin vor, dass seine SIM-Karte schon seit 13. Dezember in Betrieb sei und sein Mobiltelefon ab 17. Jänner in österreichischen Netzen protokolliert worden ist. R. schwenkt plötzlich um und sagt, er sei zwei Wochen vor der Festnahme gekommen, schließlich hält er doch Mitte Jänner für möglich.

Das Spiel wiederholt sich: "An wen haben Sie die Pakete geschickt?", will Böhm wissen. "Weiß ich nicht. Die Polizei hat mich geschlagen ...", behauptet der Angeklagte. "Was hat das damit zu tun, an wen Sie die Pakete geschickt haben?" – "An die Mama." – "Und warum schicken Sie gebrauchte Uhren an Ihre Mutter?" – "Damit meinem siebenjährigen Kind Essen gekauft werden kann." – "Wo haben Sie die Uhren her?" – "Freunde haben sie teilweise billig gekauft, teilweise sind sie gestohlen."

Drohung mit Vertagung

Da Böhm immer grantiger wird und droht, die Verhandlung zu vertagen, um weitere Zeugen zu laden, bespricht sich Verteidiger Andreas Schweitzer mit seinem Mandanten unter Verwendung beider Dolmetscherinnen vor der Tür. "Er wird seine Verantwortung modifizieren", kündigt der Rechtsvertreter nach der Rückkehr an. "Was sagen Sie uns jetzt?", ist der Vorsitzende hoffnungsfroh, die Sache rasch zu Ende zu bringen. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", antwortet der Angeklagte.

Erst nach den Zeugenaussagen stimmt er den Anklagevorwürfen zu. Bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren erhält der unbescholtene R. schließlich zwei Jahre Haft, acht Monate davon unbedingt. (Michael Möseneder, 21.6.2019)