Benjamin Balint, "Kafkas letzter Prozess". Aus dem Englischen von Anne Emmert. € 25,70 / 336 Seiten. Berenberg, Berlin 2019

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Markus Gasser, "Die Launen der Liebe. Wahre Geschichten von Büchern und Leidenschaften". € 22,70 / 320 Seiten. Hanser, München 2019

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Dieter Forte, "Als der Himmel noch nicht benannt war". € 17,50 / 96 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019

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Michael Hagner, "Die Lust am Buch". € 14,40 / 168 Seiten. Insel, Berlin 2019

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Was war zuerst da, das Leben oder die Literatur, die vom Leben erzählte, von Beziehungen und Beziehungswirrwarr, von Rache und Opfer, Versagen und Verzweiflung? Was war zuerst da, die Liebe oder das Leiden an der Liebe? Hingabe und Passion oder Melodrama und ozeanisches Ringen, Erfüllung oder Ernüchterung, Versöhnung oder Verlust, Heimhimmelweh oder Wortschleifenpassion?

Von alldem erzählt Markus Gasser in Die Launen der Liebe aufregend erzählerisch, geradezu romanhaft. Dabei sind das alles wahre Geschichten von Romanciers und Autorinnen, von Dichterinnen und Schreibern. In acht Kapiteln hat er seine fünfzehn biografischen Vignetten aufgeteilt. Deren Titel lauten unter anderem: "Sehnsucht", "Verlangen", "Unerwidert", "Wiedervereint" oder "Zu zweit eins". Sie handeln von Janet Frame und Vladimir Nabokov, von Sylvia Plath und Ted Hughes, John Updike und Gabriel García Marquez, E. M. Forster und Lord Byron, Marguerite Duras und Malcolm Lowry.

Dass das Finale allerdings in einer eher schwachen Coda ausklingt, einem Kapitel, das in der ersten Hälfte überlebensgroß mit der Liebe der Poeten Elizabeth Browning und Robert Browning einsetzt, um mit Yoko Ono und John Lennon banal in Popmusikkulturellem zu enden, ist ein winziges Manko.

Gasser, in Bregenz geboren, bei Zürich lebend, unter anderem an der Universität Innsbruck lehrend, der über die Postmoderne promoviert und über den Widerstreit von Roman und Philosophie habilitiert wurde, hat bereits mit Das Buch der Bücher für die Insel und Weltgeschichte in 33 Büchern zwei gänzlich nicht germanistische, weil geistreiche Buch-Bücher geschrieben. Doch so passioniert hat er über die Passionen von Leben und Lieben, von Gelebtem und Aufgeschriebenem selten geschrieben. Das ist nicht nur famos, das ist wahrlich furios.

Passioniert widmet sich der 1976 geborene amerikanische, in Jerusalem lebende Journalist Benjamin Balint einem der vielleicht letzten großen Literaturprozesse der vergangenen Jahre, jenem, in dem vor einem Jerusalemer Gericht final über das Testament Max Brods entschieden wurde. Der 1968 verstorbene Prager, viel bekannter heute als bester Freund Franz Kafkas und als dessen erster Editor denn als Autor, hatte seiner Sekretärin und Freundin Ilse Hoffe Kafka-Manuskripte und Unterlagen vermacht, die sie ihren Töchtern Ruth und Eva vererbte.

Infolge der amtlichen Einreichung ihres Testaments entbrannte ein jahrelanger Rechtsstreit darüber, ob Schenkungen zu Lebzeiten Brods rechtens erfolgt waren und ob nicht der Letzte Wille Brods, die Unterlagen mögen die Hoffes nach eigenem Ermessen einem Archiv übergeben, unrechtmäßig oder gar arglistig ignoriert worden war. Das Gericht entschied schließlich für eine Übergabe des gesamten, recht ungeordneten Materials, das in Eva Hoffes von vielen Katzen und noch mehr Kakerlaken bewohnter kleiner Behausung lagerte, an den Staat Israel.

Passion und Klagen

Recht spannend erzählt Balint vom gerichtlichen Prozedere. Er konnte mehrfach mit der betagten Eva Hoffe, die das Urteil zu ihren Ungunsten nicht lange überlebte – sie starb Anfang August 2018 -, reden. Er saß im Gerichtssaal. Er interviewte viele Beteiligte, israelische Juristen, den Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar, das sich lange um das Kafka-Konvolut bemüht hatte, einen Archivar der Israelischen Nationalbibliothek und Kafka-Experten in mehreren Ländern.

Balint blendet auch zurück in Kafkas Leben. Es entsteht ein lebendiges Bild von dessen Leben in Prag, als Sohn, als Freund, als Reisender, als Schreibender und habituell sich Grund-Anzweifelnder. Etwas fahler ist die Skizze Max Brods, wohl auch deshalb, weil dieser nicht so komplex fragmentiert war wie sein 1924 verstorbener genialer bester Freund. Nur den Anhang, der mehr als fünfzig Seiten ausmacht, hätte Balint kürzer halten können, hier wird er mitunter geschwätzig. Am Ende stellt sich die Frage: Wem gehört Kafka, wem gehört überhaupt eigentlich Literatur? Einem Land, einer Kultur, einer territorialen Sprache?

Ausgreifend abgehobener, dabei prägnanter ist Als der Himmel noch nicht benannt war des seit einem halben Jahrhundert in Basel lebenden 84-jährigen Dieter Forte. Der deutsche Romancier und Dramatiker unternimmt eine sprachlich ausgefeilte, stilistisch kristallklare Promenade durch eine Bibliothek, die halb real, zum größeren Teil imaginär ist, die von Käuzen wimmelt und von weißen geschlossenen Irrenhauszimmern.

Es ist ein Gang durch die Menschheitsgeschichte und die Schriftzeichen, durch Erkenntnis und in Bewegung gesetzte Globen, durch frei flottierende Fantasie und auf Schreibpulten aufgeschlagene Folianten, durch Mythen und Sagen und Überlieferung und Vergessen und Erzählen. "Die Welt und die Worte wurden eins. Die Worte waren die Welt." Und: "Sie entdeckten, dass das Erzählen eine Ordnung schuf.

Sie lebten gerne in dieser erzählten Welt, die man ausschmücken konnte – die Tiere waren größer, die Jagd wilder, das Leben aufregender. Da sie immer wieder von vorn begannen, wussten sie oft nicht mehr, ob das die wirkliche Welt war, die sie in ihrer Erzählung schilderten, oder ob die Welt sich in eine Erzählung verwandelt hatte."

Bibliophil und biblioman

Der seit 2003 in Zürich lehrende deutsche Wissenschaftshistoriker Michael Hagner wählt für seinen Band Die Lust am Buch, der in der Insel Bibliothek, in einem feinen, schmeichlerischen und überaus praktischen Format also, dabei stabil gebunden, erscheint, einen anderen Zugang. Zehn Mal schreibt er sich in Einträgen durch die Buchstaben des Alphabets.

Natürlich will und kann der Ordinarius bibliophile und bibliomane Vorgänger und Vordenker, von Walter Benjamin über Ludwig Wittgenstein bis zu den Strukturalisten, nicht verleugnen. Und doch ist das Buch demokratisch. Man kann an einer Stelle einsteigen und an ganz anderer wieder aussteigen. Man kann kurz hineinblättern und es wieder zurückstecken. Hagner ist weder elaboriert harsch noch abweisend schroff.

Seine Reflexionen über Buch und Bibliotheken, die Wissensgesellschaft, die an der Klippe zur erkenntnistheoretisch analphabetischen Unwissensgesellschaft steht, über antiquarische Bücher und Bücherfunde, auf deren historisch-biografische Voreigentümerspuren er sich mittels eingeklebter Exlibris heftet, über die Ordnung des Schreibtischs und Stifte und die schiere Unmöglichkeit, zu Weihnachten ein E-Book zu verschenken, erinnern an die Notizen, Gedankenweitflüge und pointierten Miniaturbeobachtungen des vor zwei Jahrzehnten verstorbenen kosmopolitischen deutschen Journalisten und Zeitschriftenchefredakteurs Johannes Gross. Dieser publizierte sie in den 1980er-Jahren alle zwei Wochen als Kolumne im Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in zwei Bänden gesammelt wurden sie später.

Vieles von Hagner will man memorieren: "Wer der Meinung ist, alles aufschreiben zu müssen und nichts auslassen zu dürfen, ist ein Zensor." Oder: "Und dann gibt es noch den, der die Gedanken jagt, die meisten jedoch wieder laufen lässt, weil er sich nicht reif genug fühlt. Dem bleibt die Hoffnung, ihnen irgendwann wieder zu begegnen." Oder: "Zitat. Wie mit Parfum. Alle, die ihren Duft elaborieren wollen, benötigen es.

Aber wehe, man nimmt zu viel davon." Man will Die Lust am Buch des studierten Mediziners, der in die Wissenschaftshistorie abbog, tatsächlich am liebsten neben die Bücher des studierten Juristen, der in den Wirtschaftsjournalismus abbog, einreihen. Und ein kleines Kärtchen füllen, hinten ins Buch einzulegen, eine Manier Hagners, über die er schreibt, oder doch bei O wie Ordnung. Oder bei B wie Bezüge. Oder unter dem Buchstaben P. P wie Passion. (Alexander Kluy, Album, 22.6.2019)