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Mit 8.848 Metern ist der Mount Everest der höchste Berg der Welt. Der Stau dort oben ist Normalzustand, erzählt Keck.

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Der Tiroler Stephan Keck ist seit 20 Jahren in Nepal als Bergsteiger und -führer tätig.

Foto: Stephan Keck

Erst zog es Stephan Keck zu den 6.000ern in Südamerika, dann zu den höchsten Bergen der Welt im Himalaja. Der Bergsteiger hat mehr als zehn 8.000er-Expeditionen geleitet, zuletzt im Mai auf den Mount Everest. Nach seiner Rückkehr erzählt der Tiroler, wie es ist, auf 8.000 Metern im Stau zu stehen.

STANDARD: Wie sind Sie zum Everest gekommen?

Stephan Keck: Ich war 2008 das erste Mal auf dem Everest, allein und ohne Sauerstoff. Es war damals schon das gleiche Desaster wie dieses Jahr. Es sind immer so viele Leute oben, und es sterben immer so viele. Bisher habe ich verweigert, mit Sauerstoff zu gehen. Ich sehe es als Form von Doping. Ich denke, jeden Menschen, der in Österreich auf den Glockner geht, bringe ich mit Sauerstoff auch auf den Everest. Die körperliche Leistung wird unglaublich gepusht. Und es gibt keine Erfrierungen mehr. Sobald ich die Maske aufsetze, werden Finger und Zehen warm.

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150 bis 200 Menschen wollen an schönen Tagen auf den Gipfel des Everest.
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Aus Sicherheitsgründen macht Sauerstoff auf dem Everest kommerziell mit Gästen also Sinn, es ist gar nicht mehr anders möglich. Wenn man aus dem Zelt rausgeht, stellt man sich in einen Stau. 180 bis 200 Leute gehen an Fixseilen entlang hinauf. Die meisten Menschen haben nicht die Fähigkeit, sich ohne Fixseil überhaupt zu bewegen. Wenn die sich aus dem Seil aushängen, sind sie nicht in der Lage, so zu gehen, dass sie nicht abstürzen.

STANDARD: Ist es nicht fahrlässig, dass sie überhaupt oben sind?

Keck: In Nepal kann jeder jeden hinaufbringen. Für meinen Veranstalter Russell Brice war es die 43. Everest-Expedition, er hat noch nie einen Toten gehabt. Aber es gibt auch weniger seriöse Veranstalter, die hatten auf ihren 8.000er-Expeditionen allein in dieser Saison 36 Tote.

STANDARD: Das Problem sind also nicht die vielen Bergsteiger, sondern die Anbieter?

Keck: Bei Seven Summits kann man den Everest um 25.000 US-Dollar buchen. Bei Brice kostet er 75.000. Wir haben für je drei Gäste einen Bergführer und pro Gast einen Sherpa. Wir haben tägliche Wettermeetings mit anderen Anbietern. Sie stimmen sich darüber ab, wer sich wann und wo am Berg bewegt. Ein nepalesischer Veranstalter hatte eine 57-jährige Inderin mit. Sie hat erklärt, sie brauche für eine Strecke, für die man im Schnitt drei Stunden braucht, 15. So einen Gast würden wir nach Hause schicken. Manche nehmen aber alle mit rauf. Der Guide meinte: "Die kriegen wir schon irgendwie rauf." Zum Thema Wetter sagte er, er gehe immer am 22. Mai auf den Gipfel, deswegen gehe er auch dieses Jahr wieder am 22. Mai.

Oder: Ein US-amerikanischer Veranstalter, der für die Fixseile zuständig ist, konnte keine Wetterkarten lesen. "Wo ist auf der Karte der Everest", hat er gefragt. Am Everest muss niemand sterben. Der Schlüssel zum Erfolg ist eine Kombination aus Wetter, Taktik, Ausbildung der Leute und sich an Regeln zu halten. Aber viele Leute da oben wissen technisch nicht, was sie tun, können nicht mit dem Sauerstoff umgehen, halten keine Zeiten ein und können keinen Wetterbericht lesen. Deswegen sind so viele Leute gestorben.

STANDARD: Aber gerade wegen des guten Wetters sind doch so viele gleichzeitig raufgegangen.

Keck: Das war kein Problem, weil es vier Tage lang möglich war, auf den Gipfel zu gehen. Wir wussten, pro Tag gehen 150 bis 200 Leute auf den Gipfel. Wir konnten den eigenen Gipfeltag also so weit wie möglich nach hinten verschieben. Wir haben durch die richtige Sauerstoffnutzung bis zum Südgipfel 120 von ihnen überholt, obwohl wir als Letzte weggegangen sind. Das ist alles keine große Wissenschaft, aber man muss sich an gewisse Regeln halten, denn es ist ein kommerzieller Berg.

STANDARD: Das heißt, die Staus sind eigentlich nicht vermeidbar?

Keck: Die Regierung könnte es vermeiden, indem sie wie in China die Besteigungen limitiert. Dort sind pro Jahr 300 Bergsteiger zugelassen. Ich bin ein Gegner solcher Gesetze, aber sinnvoll wäre: Es darf niemand auf den Everest, der nicht schon einen 8.000er bestiegen hat. Ich befürworte auch, die Todesfälle besser zu hinterfragen und fahrlässige Veranstalter nicht mehr am Berg zuzulassen. China hat das schon alles.

STANDARD: Die 16 Toten waren in den Gruppen der billigen Anbieter?

Keck: Zu 90 Prozent kann man die Toten diesen Agenturen zuordnen. Ich habe damit gerechnet, dass ich Tote sehen werde – nicht aber damit, dass es frische Tote sein werden. Bei Lager vier habe ich einen toten Bulgaren gesehen, der im Fixseil hing. Jeder, der auf den Everest gegangen ist, ist über den drübergestiegen. Vom Südsattel auf den Balkon war eine tote Inderin. Und ganz am Gipfel war dort, wo früher der Hillary Step war, ein toter Amerikaner. Der sah so aus, als würde er sich gerade ausruhen. Er ist zwei Tage zuvor an Erschöpfung gestorben. Es muss einem bewusst sein, dass das dort oben passiert. Am Mont Blanc sterben jedes Jahr sicher mehr als 16 Leute, und es redet niemand darüber.

STANDARD: Am Mont Blanc sterben sie auch durch Fahrlässigkeit?

Keck: Es ist das gleiche Szenario. 200 Leute hab ich an schönen Tagen auch am Glockner, am Matterhorn oder am Mont Blanc. Es ist ein normaler Zustand für den berühmten Namen dieses Berges. Ändern können wir es nicht.

Tonnen von Müll werden nach einer Sammelaktion am Mount Everest abtransportiert.
Foto: AFP / Mathema

STANDARD: Und was ist mit dem Müll, der zurückgelassen wird?

Keck: Den meisten Veranstaltern ist es ein ehrliches Anliegen, dass der Berg sauber wird. Ich denke, dass die Luftverschmutzung durch die Abgase der vielen Hubschrauber mittlerweile das größere Problem ist. Man sitzt auf dem höchsten Berg der Welt, und dann fliegen täglich 60 bis 70 Hubschrauber ins Lager 2. Im Basislager fliegen von sechs Uhr in der Früh an durchgehend die Helikopter, manchmal bis zu 140 am Tag. Man denkt, man ist am Flugplatz. Die Erlebniswelt ist kaputt.

STANDARD: Warum macht man es dann?

Keck: Bei manchen Teilnehmern frage ich mich: Warum tun sie sich das an, wenn sie im Lager zwei ihrer Finger nicht mehr spüren? Warum stehe ich im Stau und speibe mich halb an? Die meisten Leute machen es fürs Ego, damit sie dann erzählen können: Ich war oben.

Ich mach es aus geschäftlichen Gründen. Und ich mag den Berg. Es ist mir aber eigentlich egal, welcher Achttausender. Ich mag das Expeditionsgeschehen, die Nepalesen und Sherpas. Am Everest mag ich die Herausforderung der Logistik. Und es ist für mich wie in jedem anderen Job, am Abend krieche ich in den Schlafsack und sage: Heute haben wir das richtig gemacht.

STANDARD: Und wenn man auf 8.000 Metern im Stau steht?

Keck: Das zipft irrsinnig an. Wenn du fit genug bist und in dem Stau stehst, dann zuckst du aus. Am Gipfeltag haben wir neben dem Fixseil eine eigene Spur raufgezogen. Dadurch konnte ich die Leute ausblenden. Und wenn dann die Sonne aufgeht und du weißt, du gehst jetzt auf den höchsten Punkt der Welt, ist es trotz allem ein superschönes Erlebnis. Aber nur, wenn du in der Lage bist, dein Tempo zu gehen und die Schwierigkeiten zu umgehen. (Anna Sawerthal, 22.6.2019)