CHILE: Langzeitdiktator tritt ab

Als die Chileninnen und Chilenen im Dezember 1989 den Christdemokraten Patricio Aylwin zum Präsidenten wählten, kündigte sich eine neue Ära an. Vor allem deshalb, weil einer gar nicht auf dem Stimmzettel gestanden war: Langzeitdiktator Augusto Pinochet. Im Jahr davor hatten sich in einem von der Verfassung vorgesehenen Referendum knapp 56 Prozent gegen Pinochets Verbleib an der Macht ausgesprochen, daraufhin wurden freie Wahlen ausgeschrieben. Das Umfeld für den politischen Wandel war günstig. Im Kalten Krieg zwischen West und Ost hatten die USA rechte Diktaturen in Mittel- und Südamerika unterstützt, um marxistische Politiker von der Macht fernzuhalten und den Einfluss Moskaus in der Welt einzudämmen. Auch das Militärregime Pinochets hatte davon profitiert.

Nun, in der Zeit der Entspannung, gestattete der mittlerweile über 70-Jährige zunächst zag hafte Lockerungen bei Versammlungs- und Meinungsfreiheit und arrangierte sich schließlich mit seinem Abtritt von der Macht. Angeblich soll ihn auch Papst Johannes Paul II. dazu gedrängt haben – jener Pontifex aus Polen, der auch in seiner damals kommunistischen Heimat zum Katalysator der Demokratisierung wurde. Begonnen hatte die Ära Pinochet am 11. September 1973, als das Militär gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschte. Allende nahm sich im Präsidentenpalast, der aus der Luft bombardiert wurde, das Leben. Tausende Gegner der Junta wurden gefoltert, ermordet oder verschwanden unter bis heute ungeklärten Umständen. Pinochet starb 2006. Für die Verbrechen während seiner Diktatur wurde er nie verurteilt.

Augusto Pinochet (li.) und sein Nachfolger als Präsident Patricio Aylwin im Jahr 1993.
Foto: CRIS BOURONCLE/AFP/picturedesk.com


OSTMITTELEUROPA: Sechs Umstürze in einem Jahr

Mit den zahlreichen Revolutionen in den kommunistischen Diktaturen Ostmitteleuropas wurde die Region zum wichtigsten Brennpunkt des Umbruchjahres 1989. Unter dem Einfluss der Reformpolitik Michail Gorbatschows in der Sowjetunion gerieten die Regime der von Unfreiheit und Mangelwirtschaft geprägten Warschauer-Pakt-Staaten ins Wanken. In Polen, wo seit Beginn der 1980er-Jahre die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc im Zentrum der Oppositionsbewegung stand, kamen ab Februar Vertreter der Regierung und der kurz zuvor noch kriminalisierten Regimegegner am Runden Tisch zusammen. Bald darauf gab es die ersten halbwegs freien Wahlen, im August wurde der Bürgerrechtler Tadeusz Mazowiecki Regierungschef.

Noch schneller ging es in der damaligen Tschechoslowakei. Nach der gewaltsamen Niederschlagung einer Studentenkundgebung Mitte November solidarisierten sich weite Teile der Bevölkerung mit den Demonstranten. Führende Köpfe der Protestbewegung fanden sich im Bürgerforum zusammen. Die folgenden Demos erhielten immer mehr Zulauf, bis das Regime schließlich einknickte. Im Dezember zog der Dissident und Schriftsteller Václav Havel als Präsident in der Prager Burg ein. In Ungarn hatte sich bereits 1988 ein Systemwechsel angebahnt – inklusive Reisefreiheit. 1989 wurden die Grenzanlagen zu Österreich abgebaut, der Eiserne Vorhang bekam erste Löcher. Umbrüche gab es auch in Bulgarien und Rumänien, wo die Revolution in der Hinrichtung von Diktator Nicolae Ceau?escu gipfelte. Herausragendes Symbol des Wendejahres 1989 ist jedoch der Fall der Berliner Mauer am 9. November – der Anfang vom Ende der DDR und der deutschen Teilung.

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Der Dissident und Schriftsteller Václav Havel zog im Dezember 1989 als Präsident in der Prager Burg ein.
Foto: AP/Petr David Josek


BALTIKUM: Singende Revolution

Einen Sonderfall unter den demokratischen Revolutionen in Osteuropa stellen jene in den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen dar. Immerhin waren diese nicht bloß Satellitenstaaten, sondern sogar Teil der Sowjetunion. Am 23. August 1989 wurden ihre Hauptstädte Tallin, Riga und Vilnius durch eine etwa 600 Kilometer lange Menschenkette namens Baltischer Weg miteinander verbunden. Die Angaben über die Zahl der Teilnehmer schwanken zwischen einer und zwei Millionen. Anlass war der 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts, der Grundlage für die spätere Okkupation der baltischen Staaten durch die Sowjetunion. Die Menschenkette galt jedoch weniger dem Blick in die Vergangenheit als der erhofften Unabhängigkeit in der Zukunft. Die Singende Revolution, zu deren Soundtrack nationale Hymnen und patriotische Lieder gehörten, strebte ihrem Höhepunkt zu. Es folgten allerdings noch blutige Auseinandersetzungen – die Anerkennung der Unabhängigkeit durch die Sowjetunion erfolgte erst 1991.


SÜDAFRIKA:
Kampf gegen Apartheid

Jahrzehntelang hatte die Apartheid Südafrika fest im Griff. Gleiches galt für Südwestafrika, das heutige Namibia, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unter südafrikanischer Fremdverwaltung stand. Die weiße Minderheit herrschte über die schwarze Mehrheit, die Rassentrennung bestimmte das öffentliche Leben. UN-Wirtschaftssanktionen wurden von den USA zwar zunächst verhindert, da Südafrika den Amerikanern im Kalten Krieg auch als Bollwerk gegen den Kommunismus galt. Gegen Ende der 1980er-Jahre beschlossen aber viele westliche Staaten, darunter die USA, eigene Handelssanktionen. Gleichzeitig wurde die Opposition im Land selbst immer stärker. 1989 markierte den Wendepunkt: Mit Frederik Willem de Klerk wurde ein Mann Präsident, der zwar bereits Ministerämter bekleidet hatte und als Repräsentant des Systems galt, der aber die Zeichen der Zeit erkannte. Er nahm Gespräche mit dem inhaftierten Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela auf, der bald darauf, nach insgesamt 27 Jahren, das Gefängnis verließ. Beide erhielten 1993 zusammen den Friedensnobelpreis. Ein Jahr später wurde Mandela de Klerks Nachfolger als Präsident.

Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela saß 27 Jahre im Gefängnis.
Foto: APA/AFP/WALTER DHLADHLA


CHINA:
Blutiges Ende in Peking

Zunächst schien es, als würden die Ereignisse in China perfekt in die globale Dramaturgie der Freiheitsrevolutionen von 1989 passen: Der Tod Hú Yàobangs, eines reformorientierten ehemaligen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei, war am 17. April Anlass für eine Trauerkundgebung tausender Studenten auf dem Pekinger Tian'anmen-Platz. Dabei wurde auch an frühere Proteste angeknüpft, die eine Öffnung und Demokratisierung der Gesellschaft gefordert hatten, von den Behörden aber unterdrückt worden waren. Die Kundgebungen gingen in darauffolgenden Tagen weiter, bald war der Tian'anmen-Platz von den Studenten besetzt. Nachdem sich ihnen auch Arbeiter angeschlossen und die Proteste sich immer weiter ausgedehnt hatten, beschloss die Regierung, hart durchzugreifen. Anfang Juni wurde die Demokratiebewegung mit Panzern niedergewalzt. Hunderte Menschen kamen ums Leben, genaue Opferzahlen gibt es nicht. Bis heute versucht Peking, die Erinnerung an das Massaker zu unterdrücken.

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Peking reagierte mit Panzern auf die Demokratiebewegung auf dem Pekinger Tian'anmen-Platz
Foto: AP/Jeff Widener


AFGHANISTAN: Rückzug vom Hindukusch

Die Besetzung Afghanistans durch Sowjettruppen im Dezember 1979 und der nachfolgende, fast zehnjährige Bürgerkrieg stellten einen der vielen Stellvertreterkonflikte zwischen den Supermächten im Kalten Krieg dar. Die Mujahedin, islamistisch-konservative Rebellengruppen, erhielten in ihrem Kampf gegen die Besatzer Unterstützung aus dem Ausland, darunter von islamischen Staaten wie Saudi-Arabien, allen voran aber auch von den USA. Moskau und die Regierung der damaligen Demokratischen Republik Afghanistan erkannten bald, dass das militärische Kräftemessen nicht zu gewinnen war. Einmal mehr war es der sowjetische Reformer Michail Gorbatschow, der die Wende einläutete. Unter seiner Führung zogen am 15. Februar 1989 die letzten Soldaten der UdSSR aus Afghanistan ab. Es folgte jedoch nicht Friede, sondern ein neuer Krieg, diesmal zwischen verschiedenen Mujahedin-Gruppen. Die siegreichen Taliban sollten bald zu den Hauptfeinden der USA zählen.

Der Abzug der Roten Armee aus Afghanistan begann 1988.
Foto: VITALY ARMAND/AFP/picturedesk.com

(Gerald Schubert, 22.6.2019)