Ermittlungen am Tatort.

Foto: APA/AFP/dpa/SWEN PFORTNER

Berlin – Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hatte einem Medienbericht zufolge deutlich länger Kontakt in die rechtsextreme Szene als bisher angenommen. Stephan E. habe noch im März an einem konspirativen Treffen von Mitgliedern neonazistischer Organisationen teilgenommen, berichtete das ARD-Magazin "Monitor" am Freitag.

Nach Angaben der Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, könnte E. zum Umfeld des rechtsextremistischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gehört haben.

Anfang der Woche hatte der deutsche Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang noch erklärt, der Mordverdächtige sei seit zehn Jahren "unauffällig" gewesen. Nach den Erkenntnissen von "Monitor" nahm E. jedoch am 23. März an einer "konspirativen" rechten Veranstaltung im sächsischen Mücka teil. Dort sei er zusammen mit Mitgliedern der neonazistischen Organisationen Combat 18 und Vereinigung Brigade 8 fotografiert worden.

Stephan E. in Mücka, März 2019.

"Monitor" wertete die Bilder nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit einem Gutachter aus, der diese als authentisch eingestuft habe. Combat 18 wurde als bewaffneter Arm des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour gebildet, das wiederum als zentrale Unterstützergruppe des NSU gilt.

Die Ombudsfrau für die NSU-Opfer John fordert eine Untersuchung möglicher Verbindungen zwischen dem Mordfall Lübcke und der Terrorvereinigung. "Ich schließe nicht aus, dass der jetzt Festgenommene damals zu den NSU-Kreisen gehört hat, die im Hintergrund beteiligt waren", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland mit Blick auf die Ermordung von Halit Yozgat durch den NSU in Kassel im Jahr 2006.

E. könnte Lübckes Rede gehört haben

Wie der "Spiegel" berichtete, halten es die ermittelnden Beamten zudem für möglich, dass E. 2015 die Bürgerversammlung besucht hat, auf der sich Lübcke den Unmut rechtsgerichteter Zuhörer und Internetposter zugezogen hatte. Bei der Bürgerversammlung am 14. Oktober 2015 in Lohfelden hatte der Regierungspräsident den geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft verteidigt.

E. war dem Verfassungsschutz seit den 1980er-Jahren als Rechtsextremist bekannt. Dabei beging er laut Haldenwang auch politisch motivierte Straftaten und war seitdem "auf dem Radar des Verfassungsschutzes". Sein letzter Eintrag beim Verfassungsschutz stamme allerdings aus dem Jahr 2009, danach sei es ruhiger um ihn geworden.

Auch auf eine "Todesliste" der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) stand Lübckes Name, berichtet der "Tagesspiegel".

Kritik an Ermittlern

Der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser kritisierte die Ermittlungsbehörden. "Offenbar hat der bereits als 'Schläfer' bezeichnete Stephan E. weniger geschlafen, als die Behörden gedacht haben. Es stellt sich die Frage, wer hier wirklich gepennt hat."

Der Verfassungsschutz befragt bundesweit sämtliche V-Leute zu E. Allen V-Leuten werde ein Foto des Verdächtigen gezeigt.

Am kommenden Mittwoch befasst sich der Innenausschuss des Bundestags bei einer Sondersitzung mit dem Mordfall. Innenminister Horst Seehofer (CSU) stellt sich nach Angaben der Ausschussvorsitzenden Andrea Lindholz (CSU) den Fragen der Abgeordneten. Auch Generalbundesanwalt Peter Frank, Verfassungsschutzpräsident Haldenwang und der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, werden erwartet.

Angesichts sich häufender Drohungen gegen Politiker forderte Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) in der "Frankfurter Allgemeinen" eine Debatte über die Folgen von verrohter Sprache. "Es beginnt mit Worten, und auf Worte folgen Taten", sagte der Leipziger Oberbürgermeister. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin rief Politik, Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft auf, sich "schützend" vor diejenigen zu stellen, die Ziel von Anfeindungen seien.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) rief zum Kampf gegen Hetze auf. "Menschen, die sich ehrenamtlich für das Gemeinwesen einsetzen und deshalb mit Drohungen zum Teil übelster Art überzogen werden, brauchen den Rückhalt der gesamten Gesellschaft", sagte Günther den "Kieler Nachrichten". FDP-Chef Christian Lindner kritisierte im "Focus" den "maßlosen" Umgang mit Spitzenpolitikern.

Lübcke war Anfang Juni erschossen worden. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen und stufte die Tat als "politisches Attentat" ein. (red, APA, AFP, 21.6.2019)