Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) berät sich gern mit Christoph Kardinal Schönborn

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Sebastian Kurz bezeichnet sich als gläubigen Menschen. "Ich bin Katholik", sagt der ÖVP-Chef gerne, "aber ich sehe das vor allem als meine Privatsache." Konkreter wird er ungern. Zu Weihnachten soll er immer mit der Oma im Waldviertel in die Kirche gegangen sein. Ansonsten schaffe er es nicht jeden Sonntag in die Messe, aber in "einer gewissen Regelmäßigkeit". Darüber hinaus schätzt Kurz den Wiener Erzbischof und Kardinal Christoph Schönborn "sehr", lässt er dem STANDARD ausrichten. "Wir tauschen uns regelmäßig zu aktuellen Themen aus."

Gemeinsam mit Schönborn war Kurz am vergangenen Wochenende zu Gast bei der ökumenischen Großveranstaltung Awakening Austria, bei der ein australischer Prediger zehntausende Gläubige in der Wiener Stadthalle für Kurz beten ließ. Das sorgte österreichweit für Aufsehen. In den USA mögen derartige religiöse Events auf der Tagesordnung stehen – dort schwören US-Präsidenten bei ihrer Vereidigung ja auch auf die Bibel. Auf viele Österreicher dagegen wirkten die Bilder von Kurz mit Prediger irritierend. "Das Gebet war dem Ex-Kanzler sichtlich peinlich", erklärte Schönborn vergangene Woche im Rahmen der Bischofskonferenz. Aber an sich seien Gebete für Politiker nicht zu verurteilen, befindet der Geistliche: "Was sollen wir denn auch sonst machen, als dass wir für Weisheit, Klugheit, Augenmaß und Gottes Segen für Politiker beten?"

Die Nähe der Kirche zur ÖVP

Dass die Kirche Äquidistanz zu allen Parteien übe, sei falsch, ist Schönborn überzeugt. Die Parteien selbst bestimmten vielmehr durch ihre Programme, Praxis und Personen ihre Nähe und Distanz zur katholischen Kirche. So gebe es immer wieder Politiker, die ein Naheverhältnis zur Kirche pflegten – andere nicht.

Das Verhältnis der ÖVP zur katholischen Kirche war schon immer näher als das anderer Parteien. Dennoch haben sich mit dem Obmannwechsel zu Sebastian Kurz die Nuancen geändert. Als es darum ging, dass ihm der Nationalrat das Misstrauen aussprechen könnte, warnte die Bischofskonferenz davor, "leichtfertig staatliche Institutionen zu schwächen". Die katholische Kirche sprang dem damaligen Kanzler also indirekt zur Seite – wenn auch erfolglos, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigte. Gleichzeitig hat sich Kurz mit einem nicht unerheblichen Teil der Katholiken durch seine harte Flüchtlingspolitik angelegt. Sinnbildlich steht dafür die Caritas, deren Vertreter an der türkis-blauen Koalition immer wieder Kritik geübt hatten.

Prediger Ben Fitzgerald betet für den Altkanzler ...
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... tausende tun es ihm gleich
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Ex-Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) formuliert es ganz unverhohlen so: "Eine christdemokratische Partei ist die ÖVP heute nicht mehr. Kurz hat ein kulturelles Verständnis vom Christentum, ein theologisches nicht", sagt Busek zum STANDARD.

Pille, Pornos, Homo-Ehe

Die vielleicht letzte ÖVP-Abgeordnete mit lupenrein christlicher Agenda ist Gudrun Kugler. Bei Awakening Austria hielt sie eine Rede; das von Schönborn und Bernhard Bonelli, Kabinettschef von Kurz im Kanzleramt, gegründete Netzwerk katholischer Gesetzgeber (ICLN) ehrte Kugler 2018 mit dem Hauptpreis für ihren Einsatz. Als Inspiration für politische Ziele gibt die Organisation Bibelzitate an, die etwa gegen Scheidung, Pornografie oder die Pille sprechen.

DER STANDARD fragte Kugler, ob sie sich derartige Verbote für Österreich wünsche. Sie verneint. "Das würde unserer Pluralität und dem liberalen Staat nicht entsprechen." Politik dürfe nicht aufgrund von religiösen Überzeugungen gemacht werden. Was sie aber schon wolle: Die Bedürfnisse streng gläubiger Christen in ihr politisches Handeln miteinbeziehen.

Was heißt das beim Thema Abtreibung, was heißt das bei dem der Homo-Ehe? Kugler zeigt sich genervt davon, christliche Politik auf diese polarisierenden Fragestellungen zu beschränken. "Ich bin Menschenrechtssprecherin, ich setze mich für Verfolgte aller Religionen ein, auch für die Rechte homosexueller Flüchtlinge."

Aber was ist, wenn ein Konditor keine Torte für ein homosexuelles Paar backen will? "Wenn der Konditor das Gefühl hat, mit dieser Torte würde er gegen seinen Willen seine Zustimmung zur Ehe eines gleichgeschlechtlichen Paares geben: Warum muss man ihn zwingen?", fragt Kugler. Inhaltlich ist das nicht so weit weg vom ÖVP-Chef: Auch Kurz hätte ohne höchstgerichtliches Urteil die Homo-Ehe nicht möglich gemacht. Kugler spinnt den Gedanken weiter: Weigerte sich dieser Konditor, eine Geburtstagstorte für einen Homosexuellen zu backen, würde sie sich "auf eine Demo dazustellen, damit er die Torte herstellt".

Beim Thema Abtreibung will Kugler nicht dogmatisch sein. "Da ist ein Herzschlag, der schützenswert ist", sagt Kugler. "Statt gemeinsam nach besseren Lösungen zu suchen, werde ich auf diese Position reduziert und dafür diffamiert."

Für ihre Kritiker ist Kuglers Art der Politik nicht so harmlos wie von ihr dargestellt. Die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl hat Kuglers Rede bei Awakening Austria analysiert. Sie sieht darin Positionen, die "anschlussfähig" nach rechts außen sind. "Es gab und gibt viele Formen von autoritärem, menschenfeindlichem und faschistischem Denken. Ein Thema, das sie alle gemeinsam haben, wird auch von Kugler vorgebracht: die vermeintliche Dekadenz der heutigen Zeit", sagt Strobl zum STANDARD. "Weil es die Europride gibt und Frauen sich scheiden lassen und über ihren Körper bestimmen können, sehen sich diese Gruppen im Eck – um da wieder rauszukommen, braucht es nicht weniger als ein 'Awakening', also ein Erwachen."

Die Politologin verweist darauf, dass es schon in der Ersten Republik ein Bündnis zwischen Rechtsextremen und religiösen Politikern gab. Das Gebet für Sebastian Kurz könnte auch so polarisierend gewirkt haben, weil im kollektiven Unbewussten Österreichs noch die Erinnerung an den Ständestaat präsent sei. Wie der Historiker Emmerich Tálos schreibt, bildete die katholische Kirche "einen der zentralen Stützpfeiler des austrofaschistischen Herrschaftssystems". Es gab ein "offenes Bündnis" mit der Regierung Dollfuß, die ab 1933 ein autoritäres Regime errichtete. Das fußte auch "auf dem traditionell engen Naheverhältnis" zwischen katholischer Kirche und Politikern der Christlichsozialen Partei.

Gedenken an Dollfuß

Noch 2004 veranstaltete die ÖVP eine Gedenkmesse für Dollfuß, bis 2017 hing ein Gemälde des Austrofaschisten im ÖVP-Parlamentsklub. Allerdings gab es vor allem in den letzten Jahren Distanzierung. Der langjährige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) sprach etwa davon, dass die ÖVP Dollfuß als "autoritären Regierungsdiktator" sehe.

Einen religiösen Einfluss auf Gesetzesvorschläge bemerkte man bei der ÖVP in der vergangenen Legislaturperiode nur selten. Kugler schlug etwa einen Pornofilter vor, der den Zugang zu Internetpornografie erschweren sollte – laut Kugler, um Kinder zu schützen. Die von vielen ÖVP- und FPÖ-Politikern unterstützte Initiative "Fairändern" sorgte für eine Debatte über Spätabtreibungen. Erst kürzlich sprach sich auch die ÖVP dafür aus, dass an Schulen keine Sexualberatungen von "Schulfremden" mehr durchgeführt werden sollten – das betraf jedoch auch den christlichen Verein Teenstar, der wegen seiner konservativen Positionen vor allem von linker Seite kritisiert worden war. Außerdem stimmte die ÖVP in der Vorwoche für ein Verbot sogenannter "Konversionstherapien", die Homosexuelle "heilen" wollen.

Besonders aktiv wurde Kurz in seiner Periode als Kanzler aber vor allem dann, wenn es um eine andere Religion ging: den Islam. Oder, wie ÖVP und FPÖ es bezeichneten: um ihren "Kampf gegen den politischen Islam". In Schulen und Kindergärten wurden Kopftücher verboten. Eilig wurden sieben Moscheen geschlossen, die kurz darauf wieder aufsperren durften. Auch Imame aus der Türkei ließ die Koalition ausweisen.

Kurz selbst betont gerne sein gutes Verhältnis zu allen Religionsgemeinschaften. Zumindest auf Muslime trifft das definitiv nicht zu. Mehrfach zog die islamische Glaubensgemeinschaft gegen die Vorhaben von Kurz vor Gericht. "Er ist bestimmt kein Vertreter des Dialogs", sagt Busek.

Im Parlament kam es unter Türkis-Blau immerhin zu einer Neuerung, die Christen und Juden verbinden sollte: Es wurden "Gebetsfrühstücke" eingerichtet. Den Raum dafür stellte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) zur Verfügung. Das Catering bezahlten die Klubs von ÖVP und FPÖ. Vom dritten Gebetsfrühstück ist überliefert, dass Altabt Gregor Henckel-Donnersmarck die Bibellesung vornahm. Er wählte eine Stelle aus dem Lukasevangelium zur Feindesliebe. Bei Kipferln und Kaffee wurde auch für politische Gegner gebetet. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 22.6.2019)