Als Privatmann hat Ex-Abgeordneter Johann Gudenus keinen Immunitätsschutz mehr.

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Man stelle sich vor, wie dutzende Nationalratsabgeordnete gleichzeitig festgenommen werden, um das Ergebnis einer entscheidenden Abstimmung zu manipulieren: Ein demokratiepolitisches Schreckensszenario, das man aus autoritären Regimen kennt. Um das zu verhindern, verfügen Abgeordnete in den meisten europäischen Ländern über parlamentarische Immunität.

So auch in Österreich: Im Zusammenhang mit ihrer Abgeordnetentätigkeit dürfen Parlamentarier seit fast 150 Jahren nicht strafrechtlich verfolgt werden, wenn ihr Vergehen in Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit als Mandatar steht. Will die Staatsanwaltschaft ermitteln, muss sie den Nationalrat ersuchen, Abgeordnete auszuliefern. Das tat sie in der aktuellen Legislaturperiode bisher sechs Mal, wobei nur zwei Abgeordnete ausgeliefert wurden.

Der erste Fall betraf die türkise Abgeordnete Kira Grünberg, die kurz nach ihrem Einzug in den Nationalrat einen behindertengerechten Opel Insignia geschenkt bekommen hatte. Im Raum stand der Vorwurf der Geschenkannahme, Grünberg bat selbst um die Aufhebung der Immunität und gab an, den Kaufpreis des Autos spenden zu wollen – mittlerweile sind die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingestellt worden.

Kurze Schonfrist für Gudenus

Zurzeit ermittelt die WKStA in zwei Causen gegen den FPÖ-Abgeordneten Markus Tschank, der im Vorstand von FPÖ-nahen Vereinen saß, über die es womöglich zur illegalen Parteienfinanzierung gekommen war. Tschanks Auslieferung wurde ebenfalls einstimmig beschlossen.

Abgelehnt wurde im März 2019 hingegen die Auslieferung des damaligen freiheitlichen Klubobmanns Johann Gudenus, dem Verhetzung vorgeworfen wurde, sowie die Auslieferung des blauen Generalsekretärs Christian Hafenecker, gegen den wegen gefährlicher Drohung ermittelt werden sollte. Auch Neos-Mandatar Gerald Loacker behielt seine parlamentarische Immunität, nachdem er seinen Wohnsitz digital in das Wirtschaftsministerium verlegt hatte, um Schwächen der neuen Behörden-App zu zeigen.

Keine Stopptaste, nur Pause

Doch was passiert eigentlich, wenn Abgeordnete den Nationalrat verlassen? Entgegen der landläufigen Auffassung sind Ex-Mandatare dann nicht mehr vor der strafrechtlichen Verfolgung von Delikten geschützt, die sie während ihrer Zeit im Parlament begangen haben sollen – es sei denn, sie haben diese während einer Rede oder einer schriftlichen Äußerung im Nationalrat begangen, also entweder im Plenum oder in einem Ausschuss. In anderen Fällen hemmt die Immunität sogar die Verjährung.

Aktuell ist das problematisch für Gudenus, der ja sein Nationalratsmandat zurückgelegt hat. Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigt dem STANDARD, dass nach dem Verlust seiner Immunität nun gegen Gudenus ermittelt wird. Auslöser ist ein Video, das die FPÖ im Herbst 2018 veröffentlicht hat. Darin wird ein Herr namens "Ali" gezeigt, plump-rassistisch mit Fes auf dem Kopf dargestellt, der E-Card-Missbrauch begeht. Das Video, das ausgerechnet am Tag des Regierungsgipfels gegen "Hass im Netz" veröffentlicht worden war, sorgte für heftige Proteste. Die Neos brachten eine Sachverhaltsdarstellung wegen Verhetzung ein, doch die Ermittlungen dazu wurden wegen Gudenus' Immunität nicht aufgenommen.

Im Herbst könnte dem Liste-Jetzt-Abgeordneten Peter Pilz ein ähnliches Schicksal blühen. Ihm werden einige Vergehen vorgeworfen, wie die Staatsanwaltschaft Wien bestätigt – etwa die "verbotene Veröffentlichung" in zwei Fällen – einerseits in der Causa Kampusch, andererseits bei der Ekis-Affäre Anfang der 2000er-Jahre. Sorgen macht sich Pilz keine, die Verfahren bezeichnet er als "harmlos". "Zivilrechtlich sind wir sowieso nicht geschützt, und da hatte ich schon Klagen mit Höhe von hundert Millionen Euro", so Pilz zum STANDARD. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Schutz des Parlaments

Warum aber verlieren Abgeordnete den Schutz der Immunität, wenn sie aus dem Parlament ausscheiden? Ganz einfach: weil die Immunität nicht dem Schutz des einzelnen Abgeordneten, sondern des Parlaments insgesamt dient. Der Gesetzgebungskörper soll auf diese Weise von Eingriffen durch die Exekutive abgeschirmt werden. Deshalb kann auch nur das Parlament selbst die Immunität eines einzelnen Abgeordneten aufheben, der Parlamentarier selbst kann nicht auf sie verzichten.

Das Ziel der Immunität ist die Sicherstellung der freien Ausübung des Mandats. Abgeordnete sollen im Plenum des Nationalrats frei sprechen und debattieren dürfen, und die einzige Sanktion, die sie dabei zu befürchten haben sollen, ist der Ordnungsruf des Nationalratspräsidenten. Mit zwei Ausnahmen: Schwere Verleumdungen sind – im Gegensatz zur Verhetzung – nicht erlaubt, auch Verstöße gegen das Informationsordnungsgesetz sind nicht von der Immunität umfasst. Ein solcher Verstoß wäre beispielsweise das Zitieren aus geheimen Untersuchungsausschuss-Dokumenten. Auch für den Fall, dass ein Abgeordneter auf frischer Tat ertappt wird, ist eine Ausnahme vorgesehen. In jedem Fall muss die Staatsanwaltschaft aber den Nationalrat um Aufhebung der Immunität ersuchen. Der Immunitätsausschuss berät den jeweiligen Fall und legt ihn dann dem Plenum zur Abstimmung vor. (Fabian Schmid, Maria Sterkl, 22.6.2019)