"An der Med-Uni Wien wird hervorragende Arbeit geleistet", sagt Walter Klepetko. Eine Überprüfung der OP-Protokolle habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben.

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Ein guter Chirurg ist ein Teamworker und bewahrt sich die Fähigkeit für Selbstkritik, sagt Walter Klepetko und schlägt damit neue Töne an der Universitätsklinik für Chirurgie an.

STANDARD: Sie werden ab 1. Juli die Nachfolge von Michael Gnant antreten und als Leiter für die Chirurgie an der Medizinischen Universität Wien verantwortlich sein. Wollten Sie diesen Job?

Klepetko: Sagen wir so: Ich hatte diese Aufgabe nicht in meiner Lebensplanung vorgesehen, habe mich aber entschlossen, diese große organisatorische Herausforderung anzunehmen. Nach einer Periode der Verunsicherung an der chirurgischen Universitätsklinik soll wieder Ruhe einkehren und ein produktives und angstfreies Arbeiten möglich sein.

STANDARD: Sie sprechen von den mutmaßlich gefälschten OP-Protokollen Ihres Vorgängers (die Gerichtsverfahren sind noch nicht abgeschlossen, Anm.) und den Patientinnen, die nicht informiert waren, wer sie operiert, wie Patientenanwältin Sigrid Pilz aufgedeckt hat?

Klepetko: Durch diesen Einzelfall hat der Ruf der gesamten Chirurgie vollkommen zu Unrecht gelitten. An der Med-Uni Wien wird hervorragende Arbeit geleistet. Eine umfassende Überprüfung der Operationsdokumentation hat gezeigt, dass es keinen ähnlichen Fall gab und dass sich die Dokumentation bis auf die bei großen Datenmengen üblichen Unschärfen und Unwesentlichkeiten als genau und verlässlich herausgestellt hat.

STANDARD: Sie und Ihr Team haben die Thoraxchirurgie an der Med-Uni Wien von null an aufgebaut, die Abteilung für Lungentransplantation ist eines von global drei führenden Zentren weltweit. Ist das die Latte, an der Sie auch die anderen chirurgischen Bereiche messen?

Klepetko: Wir müssen am Puls der Zeit sein, ganz sicher. Die akademische Forschung ist extrem kompetitiv, und das Ziel einer universitären Einrichtung muss die internationale Sichtbarkeit sein. Wir sind in vielen Bereichen bereits sehr gut unterwegs, aber natürlich kann man noch weiter verbessern. Eine wichtige Aufgabe ist vor allem auch, die Ausbildung der nachkommenden Chirurginnen und Chirurgen zu optimieren, denn die Medizinische Universität Wien ist die größte Ausbildungsstätte für den chirurgischen Nachwuchs.

STANDARD: In der gesamten Medizin ist eine Spezialisierung zu beobachten. Trifft das auch auf die Chirurgie zu?

Klepetko: Ich bin sozusagen aus der alten Schule, meine Generation hatte ein breites Spektrum abzudecken, musste sich also in zahlreichen Organsystemen sehr gut auskennen. Klarerweise haben sich heute die Methoden immer mehr verfeinert, das erfordert eine hohe Spezialisierung. Ich denke, dass in einer akademische Spitzeninstitution wie der Med-Uni Wien beide Kompetenzen gebraucht werden, also sowohl Generalisten als auch Spezialisten. Wichtig ist, die richtige Mischung zu finden.

STANDARD: Wo sehen Sie die großen Probleme in Ihrem neuen Verantwortungsbereich?

Klepetko: In Bereichen, die wir wirklich schwer beeinflussen können. Ganz konkret ist es das Arbeitszeitgesetz. Seit wir gesetzlich nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen, hat sich die Situation der Chirurgie deutlich erschwert.

STANDARD: Inwiefern?

Klepetko: Weil man komplexe lange Operationen nicht einfach an den nächsten weitergeben kann und weil schwierige Patienten auch nach einer Operation kontinuierlich betreut werden müssen. Besonders im hochspezialisierten Bereich gibt es da nicht so viele Personen, die die dafür nötige Erfahrung mitbringen. Zudem ist es mit der derzeit gültigen Arbeitszeitregelung schwierig, Erfahrung ausreichend weiterzugeben, denn Auszubildende dürfen aus zeitlichen Gründen nicht anwesend sein.

STANDARD: Welche Lösungen könnte es geben?

Klepetko: Wenn wir unsere Spitzenposition halten wollen, dann müssen Ausnahmeregelungen für die akademischen Institutionen geschaffen werden, eine andere Lösung sehe ich nicht. Schließlich geht es ja auch darum, die Behandlungsqualität für die Patienten zu gewährleisten. Und abgesehen davon wird ein Chirurg, der auch wissenschaftlich erfolgreich sein will, mit einem Arbeitstag von acht Stunden einfach nicht auskommen. Da kommen wir in Europa gegenüber Amerika in einen massiven Nachteil.

STANDARD: Kann man das denn den Mitarbeitern zumuten?

Klepetko: Es ist niemand verpflichtet, an einer Universitätsklinik zu arbeiten, es gibt viele andere Möglichkeiten für Chirurgen. Das ist dann eine persönliche Entscheidung, die Entscheidung bleibt jedem Einzelnen überlassen. Wer mit der Weltspitze mithalten will, muss Zeit investieren. Umgelegt auf Tennis wäre es so, als ob man einem Tennisspieler, der ein Roger Federer werden will, nur eine halbe Stunde Training pro Tag erlauben würde. Das kann nicht klappen.

STANDARD: Wie teuer ist Spitzenmedizin?

Klepetko: Sicher nicht billig. Aber um kompetitiv zu sein, braucht man die nötige technische und strukturelle Ausstattung – und das zeitgerecht. Aus der Erfahrung kann ich sagen, dass der Investitionsbedarf in Wellen kommt und es leider manchmal sehr lange dauert, bis eine neue Technologie zur Verfügung steht. Das ist aber nicht nur in der Chirurgie, sondern in allen Bereichen der Medizin so.

STANDARD: Und wie steht es um die Forschungsgelder?

Klepetko: Da stehen wir allgemein gut da. Es geht heute um die großen EU-Grants, einen davon haben wir im Bereich der bionischen Extremitätenrekonstruktion, wo Oskar Aszmann sicherlich an der Weltspitze arbeitet. Auch in der bariatrischen Chirurgie (auch als Adipositaschirurgie bekannt, Anm.) gibt es eine sehr rege Forschungstätigkeit, und in der Herzchirurgie haben wir auch große Erfolge zu verzeichnen. Auch in anderen Bereichen gibt es eine Unzahl von sehr gut ausgestatteten Forschungsgrants. Die moderne chirurgische Forschung ist zunehmend enger mit der Grundlagenforschung verbunden, der Schwerpunkt liegt im translationalen Ansatz.

STANDARD: Was genau ist translationale Forschung?

Klepetko: Es geht darum, Erkenntnisse aus dem Labor mit klinischen Erfahrungen zu verknüpfen, etwa in der Onkologie. Wenn wir Tumore operieren, dann werden die klinischen Daten des Patienten gesammelt, das Gewebe wird in Tumorbanken aufgenommen, beides steht dann der Forschung zur Verfügung. Fragestellungen aus der Klinik werden dann beispielsweise in Gewebekulturen oder in Experimente übertragen und die gewonnen Erkenntnisse dann zurück in die Klinik zum Patienten gebracht. Die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Bereichen haben deshalb einen extrem hohen Stellenwert.

STANDARD: Auch über die eigene Universität hinaus?

Klepetko: Aus meiner eigenen Erfahrung beim Aufbau der Lungentransplantation kann ich sagen, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit ist. Wenn wir heute einem Patienten mit Lungenfibrose das kranke Organ entnehmen und eine neue Lunge transplantieren, wird das entnommene Gewebe sofort an Uni nach Graz und nach Gießen in Deutschland geschickt. An beiden Orten gibt es pulmonale Fibrose-Forschungszentren, die dann hochspezielle Untersuchungen anstellen. Ohne Gewebe keine Forschung: Deshalb ist Kooperation wirklich essenziell.

STANDARD: Bleibt bei diesem Pensum noch Zeit für Patienten?

Klepetko: Mir war der Kontakt mit den Patienten immer ein zentrales Anliegen, es ist das Schöne an unserem Beruf. Als Chirurgen lernen wir die Menschen ja sehr unmittelbar und nahe kennen und haben eine sehr intensive Beziehung, aber auch eine große Verantwortung. Es ist längst nicht mehr so, dass wir für die Patienten unsichtbar nur in den Operationssälen agieren. Die Interaktion und Kommunikation vor und nach einem Eingriff ist von wesentlicher Bedeutung. Aber auch im Sinne eines gelungenen Arzt-Patienten-Verhältnisses möchte ich betonen, wie erschwerend in diesem Zusammenhang die Arbeitszeitregelung ist. Nach dem offiziellen acht Stunden darf kein Arzt mehr ein Patientengespräch führen, diese Aufgabe muss an den nächsten diensthabenden Arzt übergeben werden. Das führt dazu, dass Patientinnen und Patienten dann immer unterschiedliche Ärzte sehen und das als wenig befriedigend empfinden.

STANDARD: Wie wichtig sind Sonderklassepatienten?

Klepetko: Sie sind eine wichtige Einnahmequelle für die Klinik. Das ist unbestritten. Ich sehe aber ein Kapazitätsproblem. Schon jetzt sind die allgemeinen Wartezeiten auf bestimmte Operationen sehr lang, weil die strukturellen Ressourcen, etwa die Operationssaalzeiten, nicht ausreichen. Diese Wartezeit würden sich verlängern, wenn man vermehrt Sonderklassepatienten einschieben würde. Hier müssen erst entsprechende Ressourcen geschaffen werden.

STANDARD: Was werden Ihre ersten Aufgaben sein?

Klepetko: Die Besetzung des Lehrstuhls für Allgemeinchirurgie steht an, hier gilt es, die besten aller Kandidatinnen und Kandidaten zu finden.

STANDARD: Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Chirurgin oder einen guten Chirurgen aus?

Klepetko: Als Chirurg gilt es, sich ein hohes Ausmaß an Selbstkritik zu bewahren und sich selber und seine eigene Leistung permanent zu hinterfragen. Nur so kann man besser werden. Daneben ist es wichtig, eine Teamstruktur zu schaffen. Jeder Chirurg ist nur so gut, wie es sein Background und Team sind – und damit meine ich auch die Pflegekräfte, ohne die die Operationen überhaupt nicht durchgeführt werden könnten. Ein guter Chirurg muss respektvoll mit anderen Berufsgruppen sein. Eine gute Leistung ist niemals von einem Einzelnen abhängig, sondern ist immer das Resultat eines großen und gut funktionierenden Systems.

STANDARD: Klingt nach einem großen Plan.

Klepetko: Mein Erfolg wird von vielen anderen abhängig sein, und ja, Glück kann ich dabei brauchen. (Karin Pollack, 25.6.2019)